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Flirtkurs und Einwanderung

Bei den Stücken der Künstlerkollektive Lundahl & Seitl, Ontroerend Goed und Signa steht das Bühnengeschehen dem Besucher nicht gegenüber, sondern er ist mitten drin und muss mitagieren. Nur die amerikanische Gruppe "The Team" zwingt einen wieder in die Position des Zuschauers, der unbeteiligt zuschauen muss.

Von Sven Ricklefs |
    Man stelle sich vor: ungefähr 50 Personen in einer großen Villa als Gäste einer Dinner-Party, die Gäste sind die Zuschauer des Theaterprojekts Dinner-Club des schwedischen Performance-Trios Poste Restante, das von Beginn an keinen Hehl daraus macht, dass es auch ein Kurs darüber ist, wie man sich in Gesellschaft benimmt.

    Denn über drei Stunden des Abends lernt man in verschiedenen Mini-Workshops die Grundregeln von Gastgeben und Benehmen, lernt Wein probieren und einschenken als Mann, Häppchen bereiten als Frau, lernt Tischregeln und Rumbaschritte, bekommt einen Grundkurs in Flirten oder Konversation, um dann schließlich als Examen durch ein dreigängiges Menü mit abschließendem Tanz zu gehen.

    Wer gegen die gelernten Regeln verstößt, wird mahnend von dem allgegenwärtigen Personal zurechtgewiesen, das gerade eben noch die Kurse gegeben hat. Dabei wirken diese Figuren, die ihre Sache überaus streng und völlig humorfrei sehr ernst nehmen, mindestens ebenso leblos und antiquiert wie das Regelwerk, das sie vermitteln. Wie überhaupt das ganze Ambiente samt Mobiliar und Musik irgendwo aus den 50er- oder 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts entsprungen scheint.

    Während einen also das Ambiente zu einem Protagonisten einer anderen Zeit macht, stellt man zugleich fest, dass viele der oftmals absurden Regeln noch immer zum guten Ton gehören, und dass damit im Höflichkeitskodex noch immer ein Regelwerk perpetuiert wird, dessen Konsequenzen weder einem modernen Rollenverständnis noch einer modernen Gesellschaftsordnung entsprechen.

    Zugleich wird man sich ebenso der Sicherheit bewusst, die einem diese Regeln vermitteln, wie man auch die Genussfeindlichkeit wahrnimmt, die mit dieser strengen Kontrolle einhergeht. Und so ist man nun schon zum vierten Mal auf höchst intelligente Weise selbst zum Akteur einer Inszenierung des diesjährigen Young Directors Project bei den Salzburger Festspielen geworden.
    Vielleicht lässt einen auch deswegen die letzte Produktion des diesjährigen Projekts so merkwürdig kalt, weil sie einen plötzlich wieder in die klassische Position des Zuschauers zwingt, der unbeteiligt einem Spiel zuschauen muss. Vielleicht urteilt man aus dieser Position heraus sogar ungerecht, nachdem man in den anderen Produktionen auf so überraschende und erfrischende Weise einbezogen war. Aber auch auf diese Gefahr hin, muss man sagen, dass sich von dem Stück Mission Drift des New Yorker Kollektivs "THE TEAM" kaum mehr als der vage Eindruck vermittelt, dass einem hier etwas über den amerikanischen Traum, den amerikanischen Mythos, den amerikanischen Way of Live und die amerikanische Geschichte erzählt werden soll.
    "Before time there were two twin brothers, beast brothers, big scale, they slept between mountains, with their legs in separate valleys, their names were love and wrestling ..."
    Was man versteht ist, dass sich da verschiedene Lebensläufe über die Jahrhunderte kreuzen, da gehen zwei 14-Jährige an Bord eines Schiffes nach Neu-Amsterdam, dem heutigen New York, um im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ihr Glück zu suchen, zugleich verliert eine Kellnerin im Jahr 2008 dem Jahr des Börsencrashs nicht nur ihren Job sondern auch ihren Glauben an den American Dream. Dazwischen, so scheint es hat das Kollektiv THE TEAM was abgekürzt das Theatre of the Emerging American Moment heißt, tatsächlich wohl in sein sichtbar überambitioniertes Stück alle amerikanischen Momente untermischen wollen, die dem Amerikanischen schlechthin zugrunde liegen.

    Und während man vom Drang nach Westen, den immer mal wieder auftauchenden Indianern, dem Traum eines schönen Kapitalismus und seiner Perversion in Gestalt von Las Vegas ziemlich überrannt wird, kommt die Produktion mit ihren sieben sympathischen jungen Darstellern eher als naives Vorführtheater mit seltsam eingelegten Turnübungen daher.

    Einzig die kraftvolle Livemusik der New Yorker Sängerin Heather Christian gibt dem Ganzen dann und wann den Schmiss eines Konzerts, das aber kann den Abend dann auch nicht wirklich retten.

    Link:

    Young Directors Project in Salzburg