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Flüchtlinge
Clausnitz, drei Jahre danach

Eine Menschengruppe, die einen Bus mit Flüchtlingen umringt und hasserfüllt grölt: 2016 sorgten Bilder aus dem sächsischen Ort Clausnitz für Empörung. Nun, drei Jahre später, will Sachsens Ministerpräsident Kretschmer beim Ortstermin nach vorn schauen. Das "Thema Clausnitz" sei für ihn "durch". Und auch die Bürger wollen damit abschließen.

Von Alexandra Gerlach | 10.01.2019
    Das mit Parolen beschmierte Heimat-Haus in Clausnitz. Am 18.2.2016 hatte in dem sächsischen Ort eine grölende Meute einen Bus blockiert, der Geflüchtete in eine Unterkunft bringen sollte.
    Das mit Parolen beschmierte Heimat-Haus in Clausnitz. Am 18.2.2016 hatte in dem sächsischen Ort eine grölende Meute einen Bus blockiert, der Geflüchtete in eine Unterkunft bringen sollte. (dpa / picture alliance / Jan Woitas)
    "Keine Chance", sagt Bürgermeister Michael Funke am Telefon und winkt ab. Es mache keinen Sinn, im Ort nach Interviewpartnern zu suchen. Das Dorf sei nach den Ereignissen von 2016 pressetechnisch "verbrannte Erde". Einzige Chance um Stimmen einzufangen biete eventuell eine Veranstaltung mit dem Ministerpräsidenten in ein paar Tagen, rät Funke und bleibt selbst dabei skeptisch. Schon vor drei Jahren war er Bürgermeister in der mittelsächsischen Gemeinde Rechenberg-Bienenmühle mit rund 1900 Einwohnern, zu der auch Clausnitz zählt.
    Ortsbesuch des Ministerpräsidenten
    Fünf Tage später trifft der sächsische Regierungschef Michael Kretschmer zu einem Bürgergespräch in Clausnitz ein. Der Saal in der örtlichen Agrargenossenschaft ist brechend voll. Das Interesse der Bürger ist riesig, die Skepsis in den Gesichtern ebenso und die Freude des Bürgermeisters nicht zu überhören:
    "Ich freue mich ganz besonders, dass Sie auch in eine kleine Gemeinde wie Rechenberg-Bienenmühle kommen und sich den Fragen der Menschen stellen."
    Alle Sitzplätze sind belegt, viele Gäste müssen stehen. Aufmerksam hören Sie, was Michael Kretschmer ihnen zu sagen hat. Ein prägnanter, knapper Ritt durch die Themen der aktuellen Politik, verbunden mit der Botschaft, dass man die Fehler der Vergangenheit erkannt und korrigiert habe. Die Landesregierung sei bereit und in der Lage die Infrastruktur-, Verkehrs- und Versorgungs-Probleme des ländlichen Raumes aktiv anzupacken, sagt Michael Kretschmer.
    "Die Dinge, die wir miteinander besprochen haben, die werden realisiert, und wenn etwas nicht geht, dann müssen wir das auch sagen, aber das in dieser Deutlichkeit, das ist meine Meinung. Mich interessieren die Fragen, was wollen wir gemeinsam hinkriegen?"
    Entfremdung von der CDU
    Das traditionell konservative Erzgebirge war lange fest in CDU-Hand, doch das ist vorbei. Bei der Bundestagswahl 2017 lag die AfD hier in Rechenberg-Bienenmühle mit über 40 Prozent sowohl bei den Erst- wie bei den Zweitstimmen auf Platz 1 vor der CDU. Schon in den ersten Redebeiträgen der reichlich bemessenen Fragestunde für das Publikum wird die Entfremdung deutlich:
    "Und ich kenne, zumindest namentlich, von der CDU Leute, die einen guten Eindruck auf mich machen, kann ich Ihnen sogar das Kompliment machen, aber man wählt doch nicht bloß einzelne Personen, sondern man wählt eine Partei und was die CDU angeht, frage ich mich, was an dieser Partei überhaupt christlich zu nennen ist? Ich kann nichts entdecken, seit Jahren!"
    Tiefes Misstrauen
    Viele Bürger aus Clausnitz und Umgebung beklagen an diesem Abend, dass sie sich seit längerem im wahrsten des Wortes "abgehängt" fühlen. Es fehlt an Breitband und Personennahverkehr, ärztlicher Versorgung und an Schulausstattung. Tiefes Misstrauen gegenüber Justiz und Politik wird nicht nur einmal sichtbar.
    Eine junge Frau, die 10 Jahre im Westen war und nun wieder in der Heimat lebt, fasst ihr Unbehagen mit Blick auf die angekündigten Infrastruktur- und Breitbandverbesserungen in klare Worte:
    "Wenn ich mir die Politik der letzten Jahre anschaue und die Regierung, dann frage ich mich einfach, wie verlässlich, wie vertrauensvoll ihre Worte sind? Also, ich finde Sie gut, sie machen das hervorragend, gar keine Frage, allerdings sind das doch alles keine neuen Themen, die da im Programm stehen. Warum soll ich Ihnen trauen, dass Sie das tatsächlich umsetzen werden, mit der Regierung hier in Sachsen?"
    Flüchtlinge - Ein Thema am Rande
    Das Thema Flüchtlinge spielt an diesem Abend fast keine Rolle, dennoch steht es latent im Raum. In der einen oder anderen Frage klingen die Ereignisse und Folgen von vor drei Jahren an, bis Kretschmer reagiert:
    "Und ich will Ihnen mal eins sagen zum Thema Clausnitz! Für mich ist das Thema durch! Ich bin hierhergekommen, im Sommer und auch jetzt, weil ich diesen Ort gut leiden kann, und weil ich die Leute gut leiden kann und weil ich Leute suche, mit denen ich in die Zukunft gehe, mit denen ich etwas gemeinsam bewegen kann, und nicht andauernd darüber reden muss, was da gewesen ist. Das war keine schöne Sache, da gibt es 1000 Gründe, kann man auch drüber reden. Nach vorn will ich mit Ihnen gemeinsam, darum geht es mir! Punkt!"
    Bürger sehen andere Probleme
    Die Entspannung der Menschen im Raum ist mit Händen greifbar als diese Worte fallen. Den fremdenfeindlichen Vorfall habe man in der Gemeinde nicht gesondert aufgearbeitet, sagt Bürgermeister Funke. Die Flüchtlingsbetreuung sei danach geordnet abgelaufen. Die Gemeinde sei jedoch damals anfänglich überrollt und die Bürger überfordert gewesen, sagt er in der Rückschau.
    Die Menschen vor Ort fühlten sich bis heute gebrandmarkt und seien misstrauisch geworden, vor allem gegenüber Journalisten:
    "Weil wir ja weltweit dort zum Teil berechtigt, zum Teil unberechtigt alle in eine Tonne geschmissen wurden und letzten Endes dann auch einen gewissen Schaden davon getragen haben, was die Leute glücklicherweise hier verarbeiten konnten."
    Heute beschäftigten die Bürger ganz andere Probleme, sagt Michael Funke, und er als Bürgermeister schaue in die Zukunft. Er brauche dringend mehr Bauland, damit die Gemeinde für junge Familien und Zuzügler aus der Stadt attraktiv wird. Die letzten Flüchtlinge sind vor drei Monaten aus Clausnitz weggezogen, ihre Wohnungen werden demnächst neu vermietet.
    Skepsis gegenüber der Presse
    Geblieben ist das Misstrauen gegenüber den Mikrophonen:
    Reporterin:
    "Darf ich Sie gleich mal fragen, wie es Ihnen gefallen hat?"
    Bürger:
    "Ne, ich sage nichts!"
    Reporterin:
    "Warum nicht?"
    Bürger:
    "Ne!"
    Reporterin:
    "Darf ich Sie mal fragen, wie es Ihnen gefallen hat?"
    Bürgerin:
    "Ich würde da och nich reden."
    Reporterin:
    "Wie hat es Ihnen gefallen heute Abend?"
    Bürger:
    "Sehr, sehr!"
    Reporterin:
    "Haben Sie etwas Neues mitgenommen?"
    Bürger:
    "Bestimmt! Also erst mal nachdenken."
    Bürger:
    "Es war sehr interessant, er hat Volksnähe gezeigt."
    Weiterer Bürger:
    "Ich nehme auf jeden Fall mit, dass ich sehr begeistert war, welche Diskussion hier geführt worden ist. Es gab von allen Rändern etwas, es gab sehr viel Mitte und es gab sehr gute Antworten, eine sehr gute Atmosphäre."