Wie wollen wir mehr Geld in die Hand nehmen, um die negativen Folgen der Globalisierung in den Herkunftsländern [der Flüchtlinge] und in Deutschland abzufedern, stellte Thomas Straubhaar zur Diskussion. Er forderte, diese Zukunftsinvestitionen auch mit privaten Mitteln zu ergänzen.
Auf die Frage, ob das Geld in die Flüchtlingspolitik richtig investiert sei, sagte der Ökonom: "Absolut." Dazu sei jedoch wichtig, zu diskutieren, wo Deutschland in zehn Jahren stehen solle und wie entsprechende Ziele aussähen. Dabei stelle sich die Frage, wie diese Ziele mit ökonomisch klugen Mitteln erreicht werden könnten. Wir lösen einen "Scheck auf die Zukunft ein", sagte er.
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Dirk Müller: Gibt es noch etwas anderes als Flüchtlingspolitik, etwas anderes auf der politischen Agenda? Schön und gut: Es gibt viele Gründe dafür, dass die Situation der Flüchtlinge ganz oben auf der Agenda steht, auch in den Medien. Aber wie steht es beispielsweise mit der Wirtschaft, mit der Konjunktur, mit Reformen, über die wir sonst sprechen würden, Rentenpolitik, Steuern, Digitalisierung, Gesundheit oder Straßen, Internet, Wohnungsbau? Schließlich werden Milliarden über Milliarden gebraucht, um den Asylsuchenden zu helfen. Wie stark ist die deutsche Wirtschaft, wie gut die Konjunktur, was muss verändert werden? Unser Thema nun mit dem Hamburger Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Thomas Straubhaar. Guten Morgen.
Thomas Straubhaar: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Straubhaar, haben wir vergessen, zu reformieren?
Straubhaar: Das würde ich so nicht sagen. Ganz im Gegenteil. Bei aller Dramatik bietet vielleicht gerade so etwas wie eine Flüchtlingskrise auch eine riesengroße Chance, zu erkennen, dass letztlich Deutschland nicht alleine in der Welt dasteht und eben sehr oft auf europäische, auf internationale Hilfe und Zusammenarbeit angewiesen ist. Und das ist auch für ganz andere große, wichtige Zukunftsthemen der Fall. Das Eurothema ist ja nicht vom Tisch, der Grexit kann jederzeit wieder als Phantom auftauchen. Und da zeigt sich, wie wichtig es sein wird, dass Deutschland nicht alleine versucht, Lösungen zu finden, sondern zusammen mit anderen.
Müller: Haben wir das denn bisher häufig getan, versucht, alleine Lösungen zu finden, wie Sie sagen?
Straubhaar: Ich denke, vielleicht gerade der durchaus ja beträchtliche wirtschaftliche Erfolg der letzten Jahre hat uns vielleicht etwas die Illusion verschafft, dass wir nicht vor riesengroßen anderen Zukunftsproblemen stehen. Und auch da wieder der Kontext zur Flüchtlingskrise. Ich glaube, das Allerwichtigste in einer Gesellschaft ist doch, dass wir darüber viel stärker diskutieren, wo soll Deutschland in zehn Jahren stehen, damit es ein lebenswertes Land für unsere Kindeskinder sein wird? Was sind die Ziele und wie können die mit politisch und ökonomisch klugen Mitteln erreicht werden? Sie haben ja einige schon genannt. Die ganz großen Themen der Zukunft werden sein: Bildung - war es schon immer, aber da müssen wir viel, viel mehr tun, auch wiederum im Kontext der Internationalisierung der Arbeitsmärkte. Digitalisierung haben Sie angesprochen, dann aber sicher auch die Integration der vielen, vielen Menschen mit Migrationshintergrund, die schon lange vor der Flüchtlingskrise in Deutschland gewesen sind. Es gibt viele, viele andere Themen, die wir etwas glaubten, vernachlässigen zu können, wo durchaus Reformbedarf besteht.
Müller: Nun habe ich immer noch nicht ganz verstanden, inwieweit jetzt nun die Flüchtlingsproblematik, die Flüchtlingswelle in irgendeiner Form Katalysator sein könnte, damit Deutschland noch besser wird.
Straubhaar: Dass wir es gerade jetzt in diesem Kontext ja gewagt haben, dass wir wieder eine Diskussion über ein Leitbild oder eine Leitkultur - leider im Kontext, dass das nur eine deutsche Vormachtstellung ist - aufgegriffen haben. Und ich denke, das ist unverzichtbar, über eine Leitkultur - ich würde das eher Leitbild nennen - zu diskutieren, nämlich zu sagen, wie wollen wir mit der Digitalisierung umgehen, wie können wir mehr Geld in Bildung setzen, wie können wir aber auch viel mehr Geld in die Hand als bis jetzt nehmen, um die negativen Seiten der Globalisierung abzufedern, die nicht nur in Deutschland sich abspielen, sondern auch in den Herkunftsländern der Flüchtlinge? Dass wir erkennen, wir können die Folgen der Globalisierung nicht rundum in Deutschland mindern, sondern wir müssen da auch im Bereich der internationalen Zusammenarbeit viel mehr Geld in die Hand nehmen, um Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen.
Müller: Wenn das so wichtig ist, was ja oft wichtig ist, das Geld in die Hand zu nehmen, das Geld auch aufzutreiben, was ja noch wichtiger ist, dann haben wir doch jetzt - das ist meine Frage - ja das Problem, dass viele, viele Milliarden - man weiß es ja nicht: Es sind 10, 12, 15, 18 -, die jetzt anstehen in den kommenden Monaten und Jahren allemal, für die Lösung der Flüchtlingskrise investiert werden muss. Ist das Geld, was gut investiert ist?
Straubhaar: Absolut! Und ich denke, der große Fehler, der auch in der Öffentlichkeit meines Erachtens gemacht wird, besteht ja darin, dass man jetzt Obdachlose gegen Flüchtlinge gegeneinander auszuspielen beginnt. Und sagt, den Euro, den wir für Flüchtlinge ausgeben, können wir nicht mehr für Sozialhilfe in Deutschland ausgeben. Die beiden Dinge haben eigentlich letztlich miteinander nichts zu tun. Letztlich haben wir sehr, sehr viel Geld in öffentlicher Hand. Und jetzt ist doch die Frage, wie können wir es viel effizienter ausgeben, als das bis dahin der Fall gewesen ist. Und das hat eben auch etwas mit Reformen zu tun, dass beispielsweise nicht an verschiedensten Stellen versucht wird, das gleiche Ziel zu erreichen, sondern beispielsweise mit einem Einwanderungsgesetz Dinge auch vereinheitlicht werden, Doppelspurigkeiten verhindert werden. Dass hier auch die europäische Ebene unmittelbar mit gedacht wird. Es ist nicht so, dass wir kein Geld hätten. Der Staat hat mehr Geld als jemals zuvor.
Müller: Aber verstehen Sie das, Herr Straubhaar, wenn sich jetzt viele fragen, wo kommt plötzlich dieses Geld her? Wir haben keine Turnhallen mehr, die mit vernünftigen Duschen ausgestattet sind, wir haben keine Schwimmbäder mehr, weil die permanent geschlossen werden, Sportstätten insgesamt gerade ein Problem auch für Schüler, für die Jugendlichen. Und jetzt auf einmal sind Milliarden da, ohne dass es offenbar Steuererhöhungen gibt. Wo kommt das plötzlich her?
Straubhaar: Ganz genau! Verstehen kann ich das sehr gut, dass gerade in den Quartieren, in denen ein sehr, sehr hoher Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund schon gelebt hat und jetzt noch mehr leben werden, sich diese Fragen stellen. Noch einmal: Das Geld, das ist genau das, was wir versäumt haben, auch im Finanzwesen die Reformen so voranzutreiben, dass wir mit dem vorhandenen Geld viel, viel mehr erreichen können. Das ist letztlich das ökonomische Prinzip. Was jetzt gemacht wird, ist sozusagen ein Scheck auf die Zukunft eingelöst, indem wir das Flüchtlingsthema - das haben wir, das müssen wir jetzt auch kurzfristig lösen, da muss mehr Geld in die Kommunen kommen - entbindet uns aber nicht, diese Reformen anzuschieben und mehr Effizienz im Finanzwesen, im Bildungswesen, in der Infrastruktur zu fordern. Auch mehr das Geld mit privaten Mitteln zu ergänzen. Das Stichwort Effizienz, Wettbewerb spielt hier eine ganz, ganz wichtige Rolle.
Müller: Ich weiß nicht, wie das Ihnen geht, wenn wir ganz kurz noch über die Mittelschicht reden. Da werden sich viele ja gefreut haben bei dieser konjunkturellen Entwicklung in den vergangenen Jahren, die zumindest eine große Stabilität dann erfahren hat. Auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt, der recht solide im Moment funktioniert, sehen jedenfalls die meisten so. Endlich Zeit, mal wieder die Steuern zu senken, was ja selten genug der Fall ist. Das können doch alle, die da Hoffnung hatten, jetzt vergessen?
Straubhaar: Das fürchte ich auch. Da muss man realistisch sein. Ich denke nicht, dass im Moment Steuern gesenkt werden können. Aber das entbindet uns nicht, gerade diese Themen anzusprechen: Wofür brauchen wir das Geld? Das muss das erste sein. Was ist das Ziel? Dann muss man zweitens die Mittel wählen. Und erst dann drittens die Frage, wie finanzieren wir das? Da, denke ich, haben wir bis dahin eher eine Ad-Hoc-Politik betrieben. Da haben wir eigentlich genau diesen Plan nicht gehabt. Deshalb sehe ich bei allen Problemen die Chance, jetzt über solche Themen nachzudenken, wo liegen welche Prioritäten, die gemeinsam zu finanzieren sind.
Müller: Aber wir haben ja jetzt immer noch dieselben Politiker, die entscheiden. Wenn die vorher Murks gebaut haben, warum soll das jetzt besser sein?
Straubhaar: Ja gut. Aber ich denke, bei aller Schelte, im internationalen Vergleich sind wir sehr, sehr gut regiert. Das habe ich jetzt gerade wieder auf vielen internationalen Reisen immer wieder gedacht. Man schimpft in Deutschland über die Politik, man schimpft in Deutschland über Verwaltung. Wenn man es aber international vergleicht, ist das ein Schimpfen auf sehr, sehr hohem Niveau. Letztlich haben wir die Politikerinnen und Politiker, die wir wählen, und von daher gesehen: Das ist kein einfaches Amt, weil man oft nur die Prügel kriegt, obschon eigentlich vieles sehr, sehr gut in diesem Lande läuft. Das darf man einfach auch mal sagen.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Hamburger Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Thomas Straubhaar. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
Straubhaar: Gern geschehen.
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