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Flüchtlinge in Russland
"Genau zwei Syrer haben Asyl bekommen"

Die russische Bürgerhilfe und ihre Leiterin Swetlana Gannuschkina setzen sich für Flüchtlinge unter anderem aus Syrien und der Ostukraine ein. Aus Moskau kommt keine Unterstützung. 2016 wurde das unermüdliche Engagement - auch gegen viele Widerstände - mit dem Alternativen Nobelpreis gewürdigt.

Von Sabine Adler |
    Neuankömmlinge aus dem Konfliktgebiet Ostukraine werden am 09.07.2014 von russischen Helfern im Flüchtlingslager in Nowoschachtinsk zu Zelten gebracht.
    Russland ist in vielen Fällen Mitproduzent von Migrationsströmen. Hier Neuankömmlinge aus der Ostukraine in einem Zeltlager im russischen Nowoschachtinsk. (dpa / Ulf Mauder)
    Der erste im Büro der Bürgerhilfe an diesem Morgen ist ein junger Mann aus Syrien, der Probleme mit seiner Aufenthaltserlaubnis hat. Schnell füllt sich das Wartezimmer mit Menschen unterschiedlichster Herkunft, die eine juristische Beratung oder einen Arzt brauchen. Doch wer Asyl sucht, dem macht Swetlana Gannuschkina wenig Hoffnung:
    "Mit den Syrern war es immer schwierig, genau zwei Syrer haben Asyl bekommen. Einer vor dem Krieg, einer während. Rund 900 haben eine befristete Aufenthaltserlaubnis."
    Russland steht seit 2015 militärisch an der Seite des syrischen Präsidenten Assad. Ein Einsatz, der offiziell mindestens einige Dutzend russische Soldaten das Leben gekostet hat. 7.000 Syrer befinden sich derzeit in Russland, davon 2.000 mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis. Die Bereitschaft, Syrer als Flüchtlinge aufzunehmen ist selbst bei russischen Behörden gering, sagt Swetlana Gannuschkina, die mit dem russischen Migrationsdienst fast täglich zu tun hat:
    "Eine ziemlich hochrangige Mitarbeiterin im Migrationsdienst hat einen Bruder, der bei den Truppen des Innenministeriums ist, die in Syrien kämpfen. Sie ist gegen die Aufnahme von Syrern, denn sie versteht nicht, warum ihr Bruder in Syrien kämpfen soll, aber diese jungen syrischen Männer nicht. Weder für die eine noch für die andere Seite dort."
    Zahl russischer Gefallener ist Staatsgeheimnis
    Wie viele russische Soldaten oder Söldner in Syrien getötet wurden, ist Staatsgeheimnis. Der russische Journalist Maxim Borodin schrieb dennoch über die russischen Verluste und stürzte auf mysteriöse Weise von seinem Balkon. Swetlana Gannuschkina ist der Auffassung, dass die Flüchtlinge im Land ein hausgemachtes Problem sind:
    "Die Flüchtlinge in Russland waren immer Resultat der sowjetischen oder russischen Politik. Die ersten Flüchtlinge, die Armenier, flohen aus Aserbaidschan. Russland als Rechtsnachfolger der Sowjetunion weigerte sich, die sowjetische Nationalitätenpolitik zu korrigieren. Und die Syrer jetzt sind eine Folge unserer Politik in Syrien ist. Ein anderer Konfliktherd ist die Ukraine, deswegen haben wir ukrainische Flüchtlinge hier. Wobei ich mich bei ihnen schon frage, wie man in das Land des Aggressors fliehen kann."
    Nach der in Russland umjubelten Annexion der Krim wurden die ukrainischen Flüchtlinge zunächst mit Begeisterung in Russland aufgenommen, die sich aber schon Ende 2014 gänzlich in Luft auflöste. Wer damals nicht die russische Staatsbürgerschaft angenommen hat – und das waren von den rund 400.000 geflohenen Ukrainern immerhin 180.000, fast die Hälfte –, hat es jetzt schwer, noch als Flüchtling anerkannt zu werden. Die Stimmung hat sich gewandelt. Gegenüber den Ukrainern, wie auch Syrern.
    Die Bürgerhilfe bekommt das beim Einsatz für diese Menschen zu spüren:
    "Im Migrationsdienst weigern sie sich, den Ukrainern die Aufenthaltserlaubnis um ein weiteres Jahr zu verlängern. Ich hörte, wie ein Mitarbeiter sagte: Verschwinde, fahr in Deine Heimat zurück und verteidige deinen Donbass!"
    Putins Außenpolitik nicht offen diskutiert
    Solche Sätze hat auch Igor, der seinen richtigen Namen nicht sagen möchte, schon zu hören bekommen. Er kämpfte zunächst auf der Seite der aufständischen Separatisten in der Ostukraine.
    "Ich versuche, eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, denn in der Ukraine droht mir ein Gerichtsverfahren. Aber hier fragen sie mich, warum ich nicht kämpfe. Ich bin aus einem Ort, der jetzt in der Pufferzone liegt, dort kommt die ukrainische Armee hin, und ich habe doch gegen die ukrainische Seite gekämpft."
    "Hier ist das Lager", sagt Swetlana Gannuschkina, "dort ist die Buchhaltung und da hinten sind die Kabinette, in denen die Juristen die Flüchtlinge beraten."
    Sie stellt Maig Land vor, der selbst anerkannter Flüchtling aus Afghanistan ist, und jetzt als Jurist in der Bürgerhilfe seine Landsleute berät. Gerade ist jemand bei ihm, dem der Flüchtlingsstatus verweigert wurde.
    Swetlana Gannuschkina
    Swetlana Gannuschkina (Mitte) bei der Arbeit (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Konstantin setzt sich für die Flüchtlingskinder ein, denen häufig der Schulbesuch verwehrt wird:
    "Wir schreiben die Behörden an und ziehen auch schon mal vor Gericht."
    Putins kriegerische Außenpolitik wird in Russland nicht offen diskutiert. Was dringend nötig wäre, findet Gannuschkina, denn die Wahrheit sei kompliziert, sagt sie. Sie schaut sich immer das individuelle Schicksal an, denn so versteht sie die Flüchtlingshilfe.
    "Wir sind die Verräter. Wir Russen haben die Ukrainer aufgehetzt, wir haben sie in diesen Krieg getrieben und nehmen selbst daran teil. Wenn ein Ukrainer für die Separatisten gekämpft hat und jetzt sieht, dass das ein Fehler war, kann er kaum zurückkehren. Denn in seinem Land war er Teil eines bewaffneten ungesetzlichen Aufstands gegen die Regierungstruppen, und deswegen wird er verurteilt werden, wie mir meine ukrainischen Kollegen sagten."
    "'Ausländischer Agent' ist keine Beleidigung mehr"
    So differenziert blickt in Russland kaum jemand auf das Problem, deswegen ist die 76-jährige frühere Mathematikdozentin immer wieder Ziel von Hetzkampagnen. Sie lässt sich davon nicht beeindrucken, so wenig wie von der staatlich verordneten Bezeichnung 'ausländischer Agent' für ihre Organisation, die sie auf jede eigene Veröffentlichung drucken müssen:
    "Am Anfang hat uns das sehr geschadet. Aber das ist vorbei, die Leute erkennen, dass ihnen außer uns in diesem Land niemand hilft. Deswegen ist der Titel 'Ausländischer Agent' keine Beleidung mehr."
    2017, im 30. Jahr ihres Bestehens, hat die Bürgerhilfe rund 3.500 Konsultation durchgeführt und fast 2.000 Flüchtlinge ärztlich behandelt, mit Dutzenden Freiwilligen und einer Handvoll festangestellter Aktivisten. So viel Durchhaltevermögen hat das Alternative Nobelpreiskomitee 2016 gewürdigt. Gannuschkina:
    "Das Preisgeld brachte uns prima durch das vorige Jahr, nur leider gibt es ja nicht jedes Jahr eine solche Prämie."