Fremde, die in Stuttgart leben und hier doch nur selten auch zu Hause sind. Menschen mit gemischter, gebrochener Identität. Ganz offensichtlich wollte er deren Lebenserfahrungen in einer eigenen, neu entwickelten Spielfassung des Euripides-Stücks an der Kunstfigur Medea, der Fremden schlechthin, spiegeln. Und so gibt es in Stuttgart 19 Medeas, 3 Schauspielerinnen und 16 türkisch-deutsche Frauen.
Die Figur - das ist der Chor. Ein bunt zusammengewürfelter, auch chorisch sprechender Chor. Eine starke, hochmotivierte Truppe, mit der es die beiden einzigen Männer auf der Bühne zu tun bekommen: ein knatschorgangefarbiger Hallodri alias Jason, Medeas Ehemann, und ein ebenso fragwürdiger Kreon als rechthaberischer Bürokrat mit Dokumentenköfferchen. Erst schwadronniert er wichtigtuerisch über die Themen Migration und Terror. Nach Medeas Mord an seiner Tochter verliert er Halt und Haltung.
Wer würde da nicht aufhorchen: der über 2000 Jahre alte Stoff, der Klassiker der Klassiker, ganz nah an uns herangeholt und aktuell - jedenfalls aktualisiert wie nie! Gut gemeint - und über weite Strecken auch gut gemacht: wilde, dabei streng choreographierte Volkstanz-Zitate, ansteckende Lebensfreude mit exotischem Schwung.
Die türkischen Akteurinnen geben ihr Bestes in Carola Reuthers Lochblechzelle, deren mächtige mittlere Trennwand um die Achse der Drehbühne rotiert und die Bühnenwelt in zwei Hälften teilt, mit nur engen Durchschlupfmöglichkeiten ab und an, bei Schrägstellungen. Ein auf die Dauer doch recht penetrantes Symbol: Integration als Falle, Migration von einer Bühnenhälfte in die andere als Zeichen doppelter Heimatlosigkeit. Natürlich sind das Parallelen zur Medea. Und die aneinander gelagerten, übereinander gelegten Lebensberichte werfen eine Art Echo über die Jahrtausende hinweg.
Aber der Kern des Medea-Stücks ist doch so sehr anders, dass im Verlauf des Abends der einmal eingeschlagene Weg immer fragwürdiger wird. Medea ist das größtmögliche Gegenteil zu jeder noch so traurigen, in vielen Varianten kolportierten deutsch-türkischen homestory nach dem Muster: verschüchtert, erniedrigt, malträtiert, zwangsverheiratet.
Medea ist kein Opfer. Sie ist rabiate Einzeltäterin, die sich jedes schwesterschaftliche Geraune verbietet. Sie ist Liebende, passioniert, blind, besitzergreifend, verrückt, hörig. Und sie ist Akteurin. Für ihre Liebe geht sie über Leichen, auch die ihrer Kinder. Maßlos auch in ihrer Eifersucht, rächt sie sich an Jason, dem Wort- und Treuebrüchigen und trifft ihn an seiner vielleicht einzigen empfindlichen Stelle: als Vater, von Söhnen.
Ihr triumphales Siegesgefühl über ihn zeigt, vielleicht, auch, das Maß ihrer Selbstentfremdung. Medea in die Moderne übersetzen zu wollen, ist legitim, sie zu einer Allerweltsmigrantin zu machen, zeugt von einem groben Missverstehen; sie zu verdoppeln, zu verdrei-, vervielfachen, bedeutet eine Verdrei-, Vervielfachung dieses Irrtums.
In Löschs Bühnenspiel kann man dabei zusehen, wie dieser schiefe Vergleich zunehmend beiden Vergleichspartnern nicht bekommt: Nicht dem sich von Chor abspaltenden Medea-Trio, die situationslos über die Bühne kreischen und sich allenfalls durch Aktionen mit umgestülpten Umzugskisten oder dem Übereinanderziehen und Wiederausziehen von Kleidungsstücken für die Verbannung rüsten und selbdritt den ungetreuen Jason in die Zange nehmen. Und nicht den türkischen Frauen, die, zu immer-gleicher chorischer Diktion verdammt, zu einer Mischung aus Gebetsmühle und Klagedrehorgel mutieren.
Dadurch geht der Blick für den einzelnen traurigen Fall, das empörende Einzelschicksal verloren. Alle müssen dem gleichen Druck, einer hier mechanisch-anonym bleibenden Gewalt weichen, obwohl sie sich gemeinsam gegen die unaufhaltsam vordringende Mittelwand stemmen oder gegen Jason den Schulterschluss üben.
Die Medea-Handlung läuft, seltsam unverbindlich, unverbunden nebenher. Ganz fatal das hilflos anmutende Ende: Nachdem Jason und Kreon ihr Unglück am Boden liegend, zappelnd, keuchend herausgeschrieen hatten, wird es dunkel, nur die Lochblechwände zeigen Lichtpünktchen - und der Medea-Chor gerät, wieder, wie am Anfang, tanzend, ins Zwielicht dieser Inszenierung.
Die Figur - das ist der Chor. Ein bunt zusammengewürfelter, auch chorisch sprechender Chor. Eine starke, hochmotivierte Truppe, mit der es die beiden einzigen Männer auf der Bühne zu tun bekommen: ein knatschorgangefarbiger Hallodri alias Jason, Medeas Ehemann, und ein ebenso fragwürdiger Kreon als rechthaberischer Bürokrat mit Dokumentenköfferchen. Erst schwadronniert er wichtigtuerisch über die Themen Migration und Terror. Nach Medeas Mord an seiner Tochter verliert er Halt und Haltung.
Wer würde da nicht aufhorchen: der über 2000 Jahre alte Stoff, der Klassiker der Klassiker, ganz nah an uns herangeholt und aktuell - jedenfalls aktualisiert wie nie! Gut gemeint - und über weite Strecken auch gut gemacht: wilde, dabei streng choreographierte Volkstanz-Zitate, ansteckende Lebensfreude mit exotischem Schwung.
Die türkischen Akteurinnen geben ihr Bestes in Carola Reuthers Lochblechzelle, deren mächtige mittlere Trennwand um die Achse der Drehbühne rotiert und die Bühnenwelt in zwei Hälften teilt, mit nur engen Durchschlupfmöglichkeiten ab und an, bei Schrägstellungen. Ein auf die Dauer doch recht penetrantes Symbol: Integration als Falle, Migration von einer Bühnenhälfte in die andere als Zeichen doppelter Heimatlosigkeit. Natürlich sind das Parallelen zur Medea. Und die aneinander gelagerten, übereinander gelegten Lebensberichte werfen eine Art Echo über die Jahrtausende hinweg.
Aber der Kern des Medea-Stücks ist doch so sehr anders, dass im Verlauf des Abends der einmal eingeschlagene Weg immer fragwürdiger wird. Medea ist das größtmögliche Gegenteil zu jeder noch so traurigen, in vielen Varianten kolportierten deutsch-türkischen homestory nach dem Muster: verschüchtert, erniedrigt, malträtiert, zwangsverheiratet.
Medea ist kein Opfer. Sie ist rabiate Einzeltäterin, die sich jedes schwesterschaftliche Geraune verbietet. Sie ist Liebende, passioniert, blind, besitzergreifend, verrückt, hörig. Und sie ist Akteurin. Für ihre Liebe geht sie über Leichen, auch die ihrer Kinder. Maßlos auch in ihrer Eifersucht, rächt sie sich an Jason, dem Wort- und Treuebrüchigen und trifft ihn an seiner vielleicht einzigen empfindlichen Stelle: als Vater, von Söhnen.
Ihr triumphales Siegesgefühl über ihn zeigt, vielleicht, auch, das Maß ihrer Selbstentfremdung. Medea in die Moderne übersetzen zu wollen, ist legitim, sie zu einer Allerweltsmigrantin zu machen, zeugt von einem groben Missverstehen; sie zu verdoppeln, zu verdrei-, vervielfachen, bedeutet eine Verdrei-, Vervielfachung dieses Irrtums.
In Löschs Bühnenspiel kann man dabei zusehen, wie dieser schiefe Vergleich zunehmend beiden Vergleichspartnern nicht bekommt: Nicht dem sich von Chor abspaltenden Medea-Trio, die situationslos über die Bühne kreischen und sich allenfalls durch Aktionen mit umgestülpten Umzugskisten oder dem Übereinanderziehen und Wiederausziehen von Kleidungsstücken für die Verbannung rüsten und selbdritt den ungetreuen Jason in die Zange nehmen. Und nicht den türkischen Frauen, die, zu immer-gleicher chorischer Diktion verdammt, zu einer Mischung aus Gebetsmühle und Klagedrehorgel mutieren.
Dadurch geht der Blick für den einzelnen traurigen Fall, das empörende Einzelschicksal verloren. Alle müssen dem gleichen Druck, einer hier mechanisch-anonym bleibenden Gewalt weichen, obwohl sie sich gemeinsam gegen die unaufhaltsam vordringende Mittelwand stemmen oder gegen Jason den Schulterschluss üben.
Die Medea-Handlung läuft, seltsam unverbindlich, unverbunden nebenher. Ganz fatal das hilflos anmutende Ende: Nachdem Jason und Kreon ihr Unglück am Boden liegend, zappelnd, keuchend herausgeschrieen hatten, wird es dunkel, nur die Lochblechwände zeigen Lichtpünktchen - und der Medea-Chor gerät, wieder, wie am Anfang, tanzend, ins Zwielicht dieser Inszenierung.