Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Flüchtlingspolitik
"Wir reden sicherlich über Milliarden-Beträge"

Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund erwartet vom Flüchtlingsgipfel ein klares Signal einer Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik. Die Länder müssten vor allem die Zahl der Erstaufnahmeeinrichtungen deutlich erhöhen, sagte er im DLF. Er forderte außerdem einen anderen Umgang mit Flüchtlingen vom Balkan - für sie sei das deutsche Asylrecht nicht geeignet.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Christiane Kaess | 11.06.2015
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes (dpa / picture alliance)
    Christiane Kaess: Die Ströme der Flüchtlinge, die vor allem über das Mittelmeer nach Europa kommen, die reißen nicht ab. Ganz im Gegenteil: Es werden immer mehr, was auch nicht erstaunlich ist, angesichts der weltweiten Krisen und Kriege. Hierzulande versuchen die Bundesregierung, die Länder und die Kommunen mit den Herausforderungen umzugehen, auch teilweise unerwartet viele Menschen aufzunehmen. Und wie wir wissen ist neben großer Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung auch immer wieder heftiger Widerstand zu spüren.
    In Berlin will man sich dem auf einem sogenannten Flüchtlingsgipfel widmen. In einer Woche soll der stattfinden. Heute Abend gibt es ein weiteres Vorbereitungstreffen dazu mit den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer, Bundeskanzlerin Angela Merkel ist dabei und mehrere Bundesminister. Mit dabei auch die kommunalen Spitzenverbände, und darüber sprechen möchte ich jetzt mit Gerd Landsberg. Er ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Guten Morgen, Herr Landsberg.
    Gerd Landsberg: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Bei den letzten Gesprächen im Mai saßen die Kommunen ja nicht mit am Tisch. Fühlen Sie sich jetzt ernst genommen?
    Landsberg: Wir haben uns auch vorher ernst genommen gefühlt. Es hat ja auch nach dem letzten Treffen sehr schnell eine Einladung des Innenministers an die kommunalen Spitzenverbände gegeben, und da haben wir natürlich auch deutlich gemacht, das Problem ist ja nur mit und niemals ohne die Kommunen zu lösen, und offenbar hat dieser Appell dann auch Früchte getragen, so dass das Gespräch heute mit den Verbänden stattfindet.
    Kaess: Aber bei einer Ihrer wichtigsten Forderungen, nämlich zusätzlichem Geld, ist bisher nichts Konkretes besprochen worden. Was erwarten Sie von heute?
    Landsberg: Ich erwarte schon ein klares Signal einer Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik, sowohl personell wie organisatorisch wie auch finanziell. Um das Finanzielle mal als erstes vorwegzunehmen: Im letzten Jahr hat der Bund bei 200.000 Flüchtlingen gesagt, okay, wir helfen den Kommunen und investieren zweimal 500 Millionen pro Jahr, also 2016/2017. Jetzt reden wir nicht über 200.000, sondern wir reden über 450, vielleicht auch 500.000, und dann ist das eigentlich eine einfache Milchmädchenrechnung, dass der Bund natürlich die Mittel deutlich aufstocken muss.
    Aber es ist nicht nur der Bund. Das ist so ein Spiel, dass immer gesagt wird, der Bund muss alles bezahlen. Natürlich sind auch die Länder gefordert. Sie müssen insbesondere die Zahl der Erstaufnahmeeinrichtungen deutlich erhöhen. Das ist ja unser Hauptproblem. Die Leute werden so schnell auf die Kommunen verteilt, dass wir kaum Zeit haben, uns vorzubereiten, und daraus entsteht natürlich auch vor Ort dann der Frust.
    Enorme Kosten bei der Gesundheitsversorgung
    Flüchtlinge gehen am 05.06.2015 in Meßstetten (Baden-Württemberg) auf dem Gelände der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) für Flüchtlinge
    Flüchtlinge in Baden-Württemberg (picture-alliance / dpa / Daniel Maurer)
    Kaess: Und, Herr Landsberg, wenn die Rechnung so einfach ist, wie viel Geld wollen Sie denn vom Bund?
    Landsberg: So ganz einfach ist die Rechnung natürlich nicht. Aber ich will einen anderen finanziellen Aspekt nennen: Das ist die Gesundheitsversorgung. Diese Menschen sind ja nicht nur mal krank, die sind teilweise schwerst traumatisiert. Es gibt Fälle, wo die Gesundheitskosten im Monat 50 bis 60.000 Euro ausmachen. Das können und das sollten aus unserer Sicht die Kommunen nicht tragen. Deswegen plädieren wir jedenfalls dann, wenn die betroffenen Personen Asyl bekommen haben, für eine Gesundheitskarte und die Kosten dieser Gesundheitskarte müssen sich aus meiner Sicht Bund und Länder teilen.
    Kaess: Jetzt haben Sie immer noch nicht beziffert, wie viel Geld der Bund zur Verfügung stellen sollte.
    Landsberg: Wir reden sicherlich über Milliarden-Beträge. Es kommt ja ein dritter Punkt hinzu, deswegen kann ich das gar nicht alles so zusammenzählen. Wir wissen ja, dass dieser Flüchtlingsstrom - und das ist das Neue - nicht abnehmen wird. Wir wissen auch - und das ist auch neu -, die können nicht zurück. Die Heimatländer sind zerstört und die Menschen werden ethnisch verfolgt. Das heißt, wir werden auch nach 2017, nach 2018 Unterkünfte brauchen, und zwar möglichst dezentral, denn dann gibt es weniger Stress vor Ort. Und das heißt, wir brauchen ein Bauprogramm, und auch das ist eine Summe, wo wir sicherlich über Milliarden sprechen.
    Kaess: Und wir sprechen nicht über einstellige, sondern über mehrstellige Milliarden-Beträge?
    !Landsberg: Davon müssen Sie über die Jahre auf jeden Fall ausgehen. Und auch wenn das schwerfällt: Es gibt ja keine Alternative. - Und man muss einen anderen Aspekt vielleicht noch sehen. Sie haben ja anmoderiert, übers Mittelmeer kommen viele Menschen, und das nimmt zu, das stimmt auch. Aber es gerät etwas aus dem Blick: Wir haben ja einen enormen Zuzug von Asylbewerbern aus den Balkan-Staaten. Um mal eine Zahl zu nennen: Allein von Januar bis April aus dem Kosovo 27.767 Personen, während aus Syrien "nur" 20.498 kommen. Und da muss man auch konsequent sagen, unser deutsches Asylrecht ist nicht dafür geeignet, Wirtschaftsflüchtlingen zu helfen. Da muss man mit den Herkunftsländern sprechen und man muss auch klar sagen, ihr müsst ausreisen, und wenn ihr nicht ausreist, werdet ihr abgeschoben. Das ist eine Aufgabe übrigens der Länder, die das nach meinem Eindruck so sehr konsequent nicht handhaben. Wir kennen Fälle, wo jemand verpflichtet ist auszureisen, er bekommt einen Bescheid und dann wird die Abschiebung sage und schreibe dreimal angedroht. Da können Sie sich vorstellen, dass der spätestens nach dem zweiten Mal natürlich nicht mehr da ist.
    "Die Balkan-Problematik lösen wir nicht über Asylrecht"
    Kaess: Und um diese Abschiebungen zu erleichtern, sollen genau diese Flüchtlinge aus den Westbalkan-Staaten in Sammelunterkünften untergebracht werden. Das kritisieren wiederum die Flüchtlingsorganisationen, weil sie eine Sorge haben vor rassistischer Stigmatisierung. Teilen Sie diese Sorge?
    Landsberg: Die teile ich nicht. Ich glaube, auch die Flüchtlingsorganisationen müssen sich darauf konzentrieren, den Menschen wirklich zu helfen, die verfolgt sind. Das sind die Bürgerkriegsflüchtlinge. Denen müssen wir schneller helfen. Aber die Balkan-Problematik lösen wir nicht über Asylrecht und deswegen sagen wir auch, generell sollten die Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben, bis entschieden wird, jawohl, Du bekommst Asyl, dann Verteilung auf die Kommunen und dann - das ist mir auch ein ganz wichtiger Punkt - sofort die Erlaubnis, arbeiten zu dürfen. Arbeit ist die beste Form der Integration. Nur wenn wir wissen - und das ist ja bei 99,9 Prozent der Menschen aus den Balken-Staaten so; die haben überhaupt keinen Anspruch auf Asyl und die kriegen ihn in der Regel auch nicht -, dann sollten die auch nicht entsprechend verteilt werden.
    Ich glaube, dass die Chance eher darin liegt, mit den Herkunftsländern zu sprechen, die ja teilweise auch gar nicht glücklich sind, dass so viele sich auf den Weg machen, und auch mit der EU zu reden, ob es Hilfsprogramme gibt, damit die in ihrem eigenen Land eine Lebensperspektive haben. Aber ich glaube, ehrlich gesagt, gerade für die Akzeptanz auch in der Bevölkerung für die Flüchtlinge, die politisch verfolgt werden, ist das ein ganz wichtiger Baustein, auch wenn das teilweise unangenehm ist. Das sehe ich schon ein.
    "Länder müssen sich mehr anstrengen"

    Kaess: Herr Landsberg, noch mal zurück zu den Sammelunterkünften. Die Länder betreiben diese Sammelunterkünfte ja. Das ist auch mit ein Grund, warum das Geld nicht alles bei den Kommunen landet. Wären denn die Kommunen bereit, diese Sammelunterkünfte zu übernehmen, wenn sie das Geld dafür bekämen?
    Flüchtlinge sitzen auf Feldbetten in einem Zelt der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen.
    Wenn die Kapazitäten der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen ausgelastet sind, müssen Neuankömmlinge in Zelten untergebracht werden. (picture alliance / dpa/ Boris Roessler)
    Landsberg: Nein, ganz sicherlich nicht. Das ist eine Landesaufgabe, auch die Verteilung auf die Kommunen innerhalb des Landes. Das sollte bei den Ländern bleiben. Das ist da auch gut aufgehoben. Die Länder sind da unterschiedlich stark aufgestellt. Nur sie müssen halt die Zahlen erhöhen der Erstaufnahmeeinrichtungen. Da muss man auch mal ein bisschen was für die Länder sagen. Natürlich ist es auch ganz, ganz schwierig, Kommunen zu finden, die sagen, okay, wir nehmen eine Erstaufnahmeeinrichtung, weil das natürlich auch häufig mit Problemen verbunden ist. Aber Probleme muss man lösen und sie nicht immer nur beschreiben, und dass wir mehr Erstaufnahmeeinrichtungen brauchen, ist völlig unstreitig und da müssen sich die Länder deutlich mehr anstrengen.
    Kaess: Ein Vorwurf an die Länder ist ja auch von Ihrer Seite, dass die finanzielle Unterstützung pro Land sehr unterschiedlich ist. Es wäre aber wahrscheinlich einfacher für die Länder, wenn die Kommunen auch endlich mal einheitliche Konzepte bei der Unterbringung hätten.
    Landsberg: Die können keine einheitlichen Konzepte haben, weil das regional völlig unterschiedlich ist. Das kann man an einem ganz einfachen Beispiel festmachen. Nehmen wir mal an, Sie müssen 300 Flüchtlinge in München unterbringen. Das ist eine ganz andere Situation, als wenn Sie 300 Flüchtlinge im Westerwald oder im Bayerischen Wald unterbringen. Das heißt, auch Liegenschaften von Ländern, Bund und Kommunen sind unterschiedlich verteilt. Das ist eigentlich nicht das Problem. Was wir den Ländern vorwerfen - nicht allen, aber einigen -, sie zahlen eine Pauschale, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, und sagen, da ist alles drin. Ja da ist eben nichts drin. Es wird zum Beispiel meistens nicht gewichtet die Gesundheitskosten, das habe ich schon angesprochen. Es wird auch zu wenig beachtet, dass es ja nicht mit der Unterbringung getan ist und auch nicht mit der Gesundheitsversorgung. Sie brauchen Kindergärten, sie brauchen Sprachschulung, sie brauchen Integration, sie brauchen Hilfe bei Gängen zu Behörden. Das machen wir, das machen wir teilweise auch über Ehrenamtler, das finde ich auch gut so. Aber kostenmäßig ist das bei den meisten Ländern nicht ansatzweise ausreichend und das muss anders werden.
    Kaess: Vor dem Treffen zur Flüchtlingspolitik heute Abend in Berlin war das Gerd Landsberg. Er ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Danke für das Interview.
    Landsberg: Bitte schön, Frau Kaess!