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"Focus"-Kulturchef nimmt Habermas in Schutz

"Focus"-Kulturchef Stephan Sattler hält die Nazi-Vorwürfe gegen den Philosophen Jürgen Habermas für haltlos. "Es ist völlig wahnwitzig, ihm zu unterstellen, dass er ein fanatisierter Jungnazi gewesen wäre", sagte Sattler. Er wisse nicht, was den Publizisten Jürgen Busche zu seinem entsprechenden "Cicero"-Artikel veranlasst habe.

Moderation: Rainer B. Schossig |
    Rainer-Bertold Schossig: Könnte es sein, dass Busche durch die Blume Habermas zu mehr historisch-biografischer Ehrlichkeit auffordern wollte?

    Stephan Sattler: Soweit ich in Gesprächen mit Habermas das herausgehört habe, hat er nie auch nur bestritten, den Hintergrund seiner Familie - er hat das mal im Wissenschaftskolleg so ausgedrückt, 1986, bei ihm zu Hause wäre sozusagen nichts gewesen, was nicht nationalsozialistisch gewesen sei-, also er hat über seinen familiären Hintergrund eigentlich nie geschwindelt oder irgendetwas unterschlagen. Das ist wirklich völlig anders als beim Grass-Fall. Er hat auch was seine beiden Doktor-Väter angeht, Herrn Becker und Herrn Rothacker, nie das unterschlagen, dass sie Mitglied der Partei waren in den 40er und den 30er Jahren. Er hat aber auch erzählt, dass das Thema ihrer NS-Zeit nie thematisiert worden ist im Seminar oder im Gespräch mit den Studenten.

    Schossig: Das alles in jener Zeit, als die Generation von Habermas aufwuchs, nationalsozialistisch war in den Elternhäusern, später auch noch sogar an bundesdeutschen Universitäten aufgrund der Kontinuität der Personen, das ist ja eigentlich ein Massenschicksal. Habermas hat dies nie verborgen, sagen sie, nun sagt er aber, Busche verfolge das Ziel zusammen mit Grass gleich jetzt in einem Aufwasch eine ganze Generation unbequemer Intellektueller abzuräumen. Hätte er denn damit Recht?

    Sattler: Ich weiß jetzt nicht, welche Intention Busche verfolgt. Natürlich ist das doll, so etwas an die große Glocke zu hängen. Es ist nur ein bisschen merkwürdig, wenn das 20 Jahre später passiert. Nur eins muss man ganz klar sagen: Habermas ist gehandicapt durch einen bestimmten Sprachfehler. In der Hitlerjugend hätte er nie eine Chance gehabt. Das heißt, sein ganzes Verhalten muss man in diesem Kontext sehen, dass er so nobel ist, es nicht zu erwähnen, ist ja klar, aber unser einer muss das im Kopf haben. Es ist völlig wahnwitzig, ihm zu unterstellen, dass er ein fanatisierter Jungnazi gewesen wäre. Das andere ist, Habermas zeichnet sich vielleicht von anderen Intellektuellen dadurch aus, dass er sehr reflektiert über sich und seine Biografie sprechen kann - in einer Weise wie ich das von dem Jahrgang 26, 27, ohne jetzt Namen zu nennen, oder 28, nie gehört habe. Aber bei Habermas war immer, wenn man ihn kennt, wenn man mit ihm gesprochen hat, was diese Sachen angeht, absolute Klarheit und Offenheit vorhanden. Ich kann nichts anderes sagen.

    Schossig: Nun hat ja Joachim Fest selbst einen kleinen Hinweis gegeben im Zusammenhang mit der Übermittlung dieser Anekdote. Er hat es genannt dann zum Schluss sozusagen summierend, auch dies sei eine Art Schadensabwicklung gewesen. Das wäre ein Hinweis auf ein Zitat aus dem Historikerstreit. Herr Sattler, wäre das auch ein Motiv jetzt vielleicht, den Historikerstreit etwa ein dutzend Jahre später noch einmal umkehren zu wollen?

    Sattler: Ich halte immer von solchen Parallelaktionen wenig. Also der Historikerstreit hatte seine Anlässe ja 1986, 1987 in der Kontroverse um Ernst Nolte. Heute aufzubauschen den Versuch bestimmte linker oder linksliberaler Intellektueller, die ein öffentliches Gewicht in Deutschland haben, indem man sie in Kontakt zur NS-Zeit bringt, das ist ein Spiel, das ich glaube, nicht richtig aufgeht. Wenn man es wirklich ernst meint, dann müsste man ja ganz offen darüber reden. Es gibt doch gar kein Problem, zum Beispiel Hans-Ulrich Wehler zu fragen, wie er dazu gekommen ist, das gesellig und anderen weiterzuerzählen, warum er plötzlich mit diesem Papierstück daherkommt und das über 20 Jahre oder länger aufbewahrt hat. Dann würde man ja, wenn man sozusagen Guten Willens oder offener Haltung wäre, könnte man das ja alles recherchieren, aber so, wie das jetzt abläuft, wird sofort verdächtigt, wird sofort angeschuldigt und wird ein ziemlich lächerliches, moralisierendes, intellektuelles Hickhack abgeliefert. Ich glaube, unserer jüngeren Generation ist das mittlerweile eigentlich so was von schnuppe, das gibt es gar nicht.

    Schossig: Habermas hat nichts verschluckt und nichts verschwiegen. Das war Stefan Sattler, Feuilleton-Chef des Magazins "Focus" zum Streit um eine merkwürdige Anekdote aus dem letzten Kriege.