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Förderung für die Reichen?

Das Stipendienprogramm der Bundesregierung sieht vor, Studierende mit guten Noten mit 300 Euro monatlich zu unterstützen. Die meiste Kritik kommt allerdings von der Zielgruppe selbst: den Studierenden.

Von Mario Dobovisek | 09.07.2010
    Überraschend hat es der Bundesrat angenommen, das nationale Stipendienprogramm der Bundesregierung. Um dessen Finanzierung herrschte Streit zwischen Bund und Ländern – doch der Bund lenkte ein; buchstäblich in letzter Minute. Bundesbildungsministerin Annette Schavan, CDU, spricht von Veränderungen:

    "Wonach der Bund die gesamten Kosten für dieses nationale Stipendienprogramm übernehmen wird. Das heißt, der Bund übernimmt 150 Euro und das, was notwendig ist, damit sich die Sache in den nächsten Jahren entwickeln kann."

    300 Euro im Monat wird es für Studierende mit guten Noten geben – das Ziel: insgesamt sollen zehn Prozent aller Studierenden damit gefördert werden. Vorausgesetzt, die Universitäten finden potente Spender. Denn die Hälfte des Stipendiums soll mit Hilfe aus der freien Wirtschaft finanziert werden, die andere Hälfte trägt zunächst der Bund. Thüringens Kultusminister Christoph Matschie, SPD, lehnt das Stipendienprogramm ab. Er befürchtet ein Mehr unnötiger Bürokratie für die Universitäten und neue Ungleichheiten:

    "Denn es gibt Regionen und dazu gehören insbesondere die neuen Bundesländer. Dort ist das Umfeld der Hochschulen nicht gesegnet mit starken Unternehmen, die in der Lage sind, diese zusätzlichen Mittel aufzubringen."

    Statt Stipendien einzuführen, so Matschie, sollte das BAFÖG gestärkt werden. Auch unter den Studierenden ist das geplante Stipendien-Programm umstritten. Patrick Schnepper vom AStA der Uni Köln:

    "Da werden Eliten reproduziert. Also diejenigen, die eh schon aus reichen Elternhäusern kommen, kriegen noch bessere Chancen, auch ein reiches Elternhaus zu bilden, während die Armen irgendwie unterwegs auf der Strecke bleiben."

    Bildungsministerin Annette Schavan widerspricht. Alle großen Wissenschaftsnationen hätten ein Stipendienprogramm, nur Deutschland nicht.

    "Wir wissen, dass Stipendien genau jenen helfen, die wirklich auf sich gestellt sind. Die haben künftig die Möglichkeit, den Höchstsatz von BAföG 670 Euro zu bekommen und elterneinkommensunabhängig 300 Euro dazu. Das sind 970 Euro."

    Eine weitere Sorge: vom Stipendienprogramm profitieren könnten vor allem technische und naturwissenschaftliche Studiengänge, an denen die Wirtschaft ein direktes Interesse hat. Die Sozial-, Sprach- oder Kulturwissenschaften dagegen könnten leer ausgehen. Lisa Romanski allerdings freut sich. In Essen studiert sie Bauingenieurwesen, schreibt gute Noten und ist froh über die finanzielle Unterstützung. Denn in Nordrhein-Westfalen gibt es bereits seit dem Wintersemester ein vergleichbares Stipendien-Programm als Pilotprojekt - allerdings nur für ein Prozent der Studierenden.

    "Viele müssen auch ein Darlehen bei der NRW-Bank aufnehmen und meine Eltern wollten einfach nicht, dass ich am Ende des Studiums mit einem Schuldenberg erstmal dastehe und dann dachte ich mir, um sie zu entlasten, man kann es ja mal probieren, vielleicht wird man ja genommen."

    Grünes Licht vom Bundesrat also für die Stipendien in der Spitze, rotes dagegen für mehr BAFÖG in der Breite. Dessen Höchstgrenze sollte um zwei Prozent auf 670 Euro im Monat angehoben werden. Die Länder lehnen das ab, denn ohne Entgegenkommen des Bundes sei das für sie nicht finanzierbar. Wolfgang Heubisch, FDP, Staatsminister für Wissenschaft in Bayern:

    "Die Länder müssen dann auch adäquat am Steueraufkommen partizipieren. Solange der Bund den Ländern in diesem Punkt nicht entgegenkommt, kann von den Ländern auch nicht erwartet werden, dass sie entsprechende Mehrkosten ohne Weiteres nach dem bisherigen Verteilungsschlüssel mitfinanzieren."

    Der sieht vor, dass der Bund zwei und die Länder ein Drittel der BAföG-Kosten übernehmen. Der Bundesrat schickt die BAföG-Erhöhung nun über die Sommerpause in den Vermittlungs-Ausschuss. Dort könnten die Länder den Bund um eine höhere Beteiligung an den Steuer-Einnahmen erpressen. Damit ist allerdings klar: für das Wintersemester bleibt es zunächst beim alten monatlichen Höchstsatz von 648 Euro – zuletzt angehoben im März 2009. Allerdings, so heißt es, können BAföG-Empfänger nach der möglichen Einigung auf eine Nachzahlung hoffen.

    Insgesamt löst die Entscheidung von Bundesrat und Bundesregierung vielerorts Kopf-Schütteln aus: Bildungsexperten kritisieren, ein Anheben des BAFÖG-Satzes wäre deutlich sinnvoller gewesen als mit aller Macht das Stipendienprogramm durchzupeitschen.