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Fossilfund in China
Das unterschätzte Erbe der Panzerfische

Panzerfische sind nicht so bekannt wie Dinosaurier. Sie lebten vor 400 Millionen Jahren, sind ebenfalls ausgestorben - und bislang gingen Paläontologen davon aus, dass sie der Nachwelt kein wichtiges Erbe hinterließen. Eine neue Studie widerlegt das - und das hat mit unseren Kieferknochen zu tun.

Von Michael Stang | 21.10.2016
    Dunkleosteus wurde als einer der größten bekannten Panzerfische bis zu zehn Meter lang. Er lebte vor etwa 380 bis 360 Millionen Jahren
    Dunkleosteus wurde als einer der größten bekannten Panzerfische bis zu zehn Meter lang. Er lebte vor etwa 380 bis 360 Millionen Jahren (RaulxLunia/Novapix/Leemage/imago stock&people)
    Beim Interview mit Per Ahlberg von der Universität Uppsala geht es nicht nur um einen neuen Fossilienfund aus China, sondern auch um eine grundsätzliche Diskussion innerhalb der Paläontologie. Und zwar um den Ursprung des Wirbeltierkiefers - und damit auch des menschlichen Kauapparats:
    "Unsere Kiefer bestehen ja aus drei Knochen: Unterkieferknochen, Oberkieferknochen und das Zwischenkieferbein, in dem die Schneidezähne stecken. Dieses System ist charakteristisch für alle Landwirbeltiere und Knochenfische.
    Bislang dachte man, dass die Kieferstrukturen, die man bei den alten Panzerfischen sieht, in evolutionsbiologischer Hinsicht nichts mit unserem Kieferbauplan zu tun haben. Aber diese alte Ansicht begann sich vor einigen Jahren zu ändern."
    Neues Verständnis der Evolution des Wirbeltierkiefers
    2009 hatte der schwedische Forscher zusammen mit Paläontologen der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking das Fossil von Entelognathus präsentiert. Dieser Panzerfisch lebte vor 419 Millionen Jahren und wurde in der Yunnan-Provinz ausgegraben. Das Besondere an diesem Tier war, dass die Forscher ihn als bislang frühesten Vertreter der Kiefermäuler einordneten.
    Inwieweit sich Merkmale dieses frühen Panzerfisches auch bei heutigen Wirbeltieren finden, darüber wurde teils heftig diskutiert. Jetzt haben dieselben Forscher wieder in Yunnan eine noch ältere und aussagekräftigere Versteinerung entdeckt: Einen primitiven Panzerfisch, der vor 423 Millionen Jahren in tropischen Gewässern heimisch war. Dieses 30 Zentimeter große Fossil namens Qilinyu rostrata wird Per Ahlberg zufolge das Verständnis von der Evolution des Wirbeltierkiefers grundsätzlich verändern:
    "Nun haben wir diese neue Form, Qilinyu, die ein wenig primitiver ist als alles bisher bekannte. Dieser Fisch sieht aus wie ein Panzerfisch, aber er besitzt bereits diese drei Kieferknochen. Er trägt schon diese modernen Kieferbausteine, wirkt aber sonst sehr ursprünglich. Vergleicht man diese Knochen mit denen der frühesten Knochenfische, dann wird schnell klar, dass die Kieferknochen von Qilinyu und unsere menschlichen Kieferknochen denselben Ursprung haben."
    Unser Kieferapparat stammt von den Vorfahren der Panzerfische
    Qilinyu trug also schon vor 423 Millionen Jahren die Grundform des späteren Wirbeltierkiefers in sich, jenen Bauplan also, dem auch der menschliche Kiefer zugrunde liegt:
    "Und das bedeutet: unseren ganzen Kieferapparat haben wir - nur mit wenigen Veränderungen - von den Vorfahren der Panzerfische geerbt."
    Damit würden auch Knochenfische, Amphibien, Reptilien, Vögel und alle anderen Säugetiere neben dem Menschen diesem kleinen Panzerfisch ihre Kiefer verdanken. Damit ist klar, dass die alte These von der späten Kieferentwicklung hinfällig ist, sagt Per Ahlberg sichtlich erleichtert:
    "Nun ja, niemand hat diese alternative Erklärung bisher für möglich gehalten, wirklich niemand. Und jetzt dreht sich die ganze Geschichte um. Aber, wenn man sich das Fossil jetzt anschaut, ist es offensichtlich: So muss es gewesen sein. Aber nie hatte jemand bislang in diese Richtung argumentiert."
    Bisher ging die Mehrheit der Paläontologen davon aus, dass die Panzerfische zwar eine faszinierende und weitverzweigte Tiergruppe waren, evolutionär jedoch eine Sackgasse darstellten. Nun sieht es so aus, als ob diese Tiere doch ein anatomisches Erbe hinterlassen haben und zwar in Form des Kieferknochens.