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Fotoausstellung in New York
Was Bilder im Internet bewirken

Die Frage, wie weit Bilder die Realität beeinflussen, die sie zu reflektieren scheinen, ist so alt wie das Medium der Repräsentation selber. In der Ausstellung "Perpetual Revolution: The Image and Social Change" in New York wird die Frage mit neuer Dringlichkeit gestellt. Denn das Internet hat die visuelle Kultur politisiert.

Von Sacha Verna  | 28.01.2017
    Die Ausstellung "Perpetual Revolution: The Image and Social Change" im New Yorker International Center of Photography erforscht die Politisierung der visuellen Kultur durch das Internet. Was haben Bilder schmelzender Eiskappen am Nordpol mit Rekrutierungsvideos der Terrororganisation Islamischer Staat und Aufnahmen von den Protesten in Ferguson nach dem Tod von Michael Brown zu tun? Sie alle sind zuerst im Internet aufgetaucht. Und sie alle sind Teil der Ausstellung im International Center of Photography in New York. Kuratorin Carol Squiers:
    "Das Internet hat die Verbreitung von Informationen und Bildern sowohl effizienter als auch chaotischer gemacht. Was als Kommunikationsmittel auf Textbasis begann, ist zum mächtigsten Träger visueller Botschaften der Gegenwart geworden. Aus dem Chaos hat man für diese Ausstellung sechs Themen gewählt, von der Migrationskrise bis zu Manifestationen des Extremismus’."
    Analoge Bilder sind erwartungsgemäß in der Minderheit. Die Mehrheit bildet Digitales auf Monitoren. Es bewegt sich und es bewegt. Denn darum geht es: Was bewirkt das Selfie eines Flüchtlings irgendwo an einem mediterranen Strand? Und was die animierten Hass-Tiraden der Alt-Right, der alternativen Rechten, die im vergangenen US-Präsidentschaftswahlkampf Prominenz erlangten?
    Das Internet hat die visuelle Kultur politisiert
    Das Internet hat die visuelle Kultur politisiert. Bis zu einem gewissen Grad habe das Internet auch die Gesellschaft an sich politisiert, indem es immer mehr Gruppierungen helfe, ihre Weltanschauungen unters vernetzte Volk zu bringen und Gleichgesinnte zu mobilisieren, sagt Carol Squiers.
    Kategorien wie Gut und Böse lösen sich auf. Gewiss, die Enthauptungsvideos des Islamischen Staates sind abscheulich. Aber es gibt auch jene, die solche Hinrichtungen und die Heilsversprechen schwerbewaffneter Kämpfer als direkte Einladung ins Paradies auffassen. Gelungene Propaganda, statt Abschreckung. Die Bilder tausender Migranten vor der geschlossenen ungarischen Grenze: Bei den einen erwecken sie Mitleid, bei den anderen Angst. Black Lives Matter: Diese Bewegung verdankt ihre Existenz dem Internet. Sie sorgt mit dem Internet dafür, dass die Verbindung von Rassismus und Gewalt in den USA nicht weiter ignoriert wird. Und doch führen die Smartphone-Mitschnitte weißer Polizisten, die Schwarze erschießen, nur bei manchen zum Umdenken. Bei anderen schaffen sie Ressentiments.
    Wann wird ein Hashtag-Enthusiast zum Aktivisten?
    Deutlich wird in dieser Ausstellung, dass uns das Internet zwar das Universum eröffnet. Was wir davon sehen wollen, bleibt aber uns überlassen. Klimawandel-Skeptiker werden sich nicht durch die Untergangsszenarien klicken, die Greenpeace aufgrund von NASA-Studien entworfen hat. Schwulenfeinde haben andere Foren als Transvestiten, die für die Chanteuse Bambi Lake schwärmen.
    Hinzu kommt der Unterschied zwischen Konsumieren und Handeln. Wann wird ein Hashtag-Enthusiast zum Aktivist? Die Frage, wie weit Bilder die Realität beeinflussen, die sie zu reflektieren scheinen, ist so alt wie das Medium der Repräsentation selber. Die Frage wird in dieser Ausstellung nicht beantwortet, sondern mit neuer Dringlichkeit gestellt - eine Aufforderung an User, den Bildschirm ab- und das Hirn einzuschalten.
    Die Ausstellung "Perpetual Revolution: The Image and Social Change" ist noch bis zum 7. Mai 2017 am International Center of Photography in New York zu besichtigen.