Montag, 29. April 2024

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Fotografie
Die Einsamkeit des Alters

Das Sprengel Museum Hannover zeigt das sozialkritische Fotoprojekt "Mrs. Raab wants to go home" von Zoltán Jókay, der seit mehr als 25 Jahren Menschen und ihre Beziehungen untereinander in Fotografien festhält.

Von Carsten Probst | 09.12.2013
    Im Vergleich hat Frau Stern sich gut gehalten. Frau Stern war eine Filmschauspielerin in den 30er- Jahren, vielleicht. Sie lächelt mit ihrem Mund, aber ihr Blick erscheint wehmütig. Ihr buntes Kopftuch passt zur Farbe ihres Lippenstiftes. Neben ihrem Porträt hängt das einer unbekannten, in gebeugter Haltung, mit müdem, abwesendem Blick. Die Texttafel daneben enthält nur einen einzigen Satz, ein Zitat: Keine Fotografien mehr.
    Auf einem anderen Bild hängt über einem leeren Krankenbett nur noch ein opulenter Bilderrahmen mit einem in Pastellfarben gemalten Porträt einer unbekannten Frau, lächelnd und offenkundig in ihren besten Jahren. Frau Weiss wiederum begegnet man aufrecht stehend vor einem roten Vorhang, und so, wie sie dasteht, mit ihren vor dem Bauch gefalteten Händen und dem würdevollen Lächeln, erinnert ihr Bild fast ein wenig an die großen Königinnenporträts der Renaissance – ihr roter Morgenrock könnte ihr Gewand sein.
    Der Text neben dem Bild aber sagt: Frau Weiss lebt in ihrem Apartment. Sie weiß nicht, welches Jahr es ist, sie weiß nicht die Jahreszeiten, Wochen, Tage. Sie ist verloren, und ihre Erinnerungen sind verschwunden.
    Subtile Bildsprache
    "Da sind schon auch recht schräge Personen unter meinen Protagonisten, und wenn man sie so treffen würde, da wären sie manchmal ein bisschen abschreckend. Aber das ist nicht das Eigentliche. Jeder Mensch, den man kennenlernt und wo man es schafft, sich einzufühlen, dann wird das Äußerliche oder das Abschreckende unwesentlich."
    Sagt Zoltán Jókay, der seit mehr als 25 Jahren Menschen und ihre Beziehungen untereinander in Fotografien festhält. Es bedarf einer besonderen, höchst ausgearbeiteten, subtilen Bildsprache, damit das gelingt, einer scheinbaren Zurücknahme des Bildes hinter der porträtierten Person, deren Erscheinung jedoch zugleich den Betrachter um so mehr berührt. Es bedarf aber auch einer besonderen Haltung des Fotografen.
    Zoltán Jókay sieht sich nicht als Dokumentaristen. Seine Bilder, sagt er, enthielten keine Informationen. Er sucht mit der Kamera selbst eine Berührung herzustellen – das Bild, das entsteht, entsteht aufgrund einer Beziehung, die indes auch eine bestimmte Distanz voraussetzt.
    Erfahrungen als Quartierbetreuer
    Bei Jókay spielen die unmittelbaren Erfahrungen seines eigenen Lebens mit hinein. 1960 in München als Sohn ungarischer Emigranten geboren, studierte er in Essen Kommunikationsdesign und begann früh zu fotografieren. Anfang der 1990er-Jahre wird er mit einer Serie von Porträts bekannt, die zur Wendezeit zumeist in Leipzig entstehen und bei denen er eine Bildsprache entwickelt, die seinen eigenen biografischen Hintergrund in den Bildern stets mit einfängt. Oft muss er sich mit später mit Gelegenheitsjobs durchschlagen: Lagerarbeiter, Hilfselektriker, Behindertenbetreuung.
    "Und dann hab ich diese Arbeit als Concièrge, könnte man sagen, aber sie haben das Quartierbetreuer genannt, und ich hatte ein Büro mit einer offenen Fensterfläche in so 'ner Siedlung mit sozial schwachen Menschen. Und danach haben die das einfach abgeschafft, den Arbeitsplatz und dann hat man gerade diese Sache mit der Demenzbetreuung eingeführt, und die Demenzbetreuung wurde damals als soziale Wohltat angepriesen, aber sie bedeutet eigentlich nichts weiter, als dass man das ganzheitliche Arbeiten den Pflegern weggenommen hat und die soziale Betreuung, die seelische Betreuung billigen Hilfskräften übertragen hat. "
    Einsame Porträtierte
    In diesem Umfeld traf er auf all jene, die er in seiner neuen Fotoserie über Jahre hin porträtiert hat. Leute, die zu arm waren, um den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Leute, die zu viel tranken. Leute mit Wahnvorstellungen. Leute, die weder lesen noch schreiben konnten. Leute, die alt und krank waren. Aber jeder von ihnen war einsam. So heißt es auf einer kurzen Texttafel – auf Englisch, das den Eindruck verstärkt, dass es die Welt dieser Menschen überall geben könnte.
    Zum zweiten Mal nach 2004 würdigt das Sprengelmuseum nun diese besondere, stille und zugleich tief berührende Fotografie von Zoltán Jókay, die in der Tradition von August Sander, Diane Arbus, Roger Ballen und Jitka Hanzlová eine zeitlose Form des heutigen Menschenbildes entwickelt hat.