Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Fotografie
Ein Medium im Bedeutungswandel

In Zeiten von Dunkelkammer und Rollfilm galt die Fotografie als Hilfsmittel, um vergangene Momente und Begebenheiten festzuhalten. Durch die Digitalisierung und die millionenfache Nutzung sozialer Medien hat sich allerdings ein Wandel vollzogen. Es scheint, als dienten Fotos heute vor allem zur Dokumentation in Echtzeit: ich, hier, jetzt.

Von Ulrike Burgwinkel | 04.08.2016
    Ein Mädchen sitzt in seinem Zimmer auf dem Boden und macht Selfies.
    Ob analoge Urlaubsbilder oder digitale Selfies: geblieben ist eine gehörige Portion Selbstinszenierung. (imago / Felix Jason)
    "Fotoalben spielen für die private Erinnerungskultur eine ganz entscheidende Rolle."
    Die Kulturanthropologin Dr. Katrin Bauer, Uni Bonn:
    "Es ist genau die Essenz des Lebens, es ist das, was man aufbewahren will. Es sind eigentlich nur die schönen Seiten, die im Bild abgebildet werden, man findet nie Regenbilder, man findet keine Scheidungen, Trennungen. Traurige Angelegenheiten werden im Fotoalbum ausgeblendet."
    "In meiner Familie in Kanada sind die ganz kostbare Objekte"
    Professor Robin Curtis, Medienwissenschaftlerin, Uni Düsseldorf:
    "Allerdings ist meine Mutter Jahrgang 1930 und das war einfach für viele Generationen etwas, was man auf alle Fälle retten würde, sollte es ein Feuer geben. Nicht die Pässe oder irgendein Schmuck, sondern die Fotoalben."
    Die Folgen der digitalen Bilderflut
    Beide Wissenschaftlerinnen sind in ihren jeweiligen Fachgebieten mit visuellen Speichermedien beschäftigt: mit Fotos und Filmen, mit analogen Zeugnissen und zunehmend mit digitalen Bildern. Die Kulturanthropologin Katrin Bauer sichtet und analysiert ein riesiges Quellenkonvolut aus Dias, Fotos, Umfragen, gelagert im Archiv des Landschaftsverbands Rheinland in Bonn.
    "Die Fotos, die Quellen, die wir haben, sind kulturelles Erbe. Es ist eigentlich das, was den Alltag der Menschen ausmacht. Häufig hat man die Vorstellung vom Archiv, dass da Akten gelagert werden, Dinge gelagert werden, die eigentlich mit unserem Alltagsleben gar nicht so viel zu tun haben, und darin unterscheiden wir uns. Wir haben das echte Leben der Menschen. Wir können dann rekonstruieren: Wie war das denn damals, der einfache Mensch, wie hat der gelebt und was waren seine Sorgen und Nöte, wie ist er damit umgegangen, welche Bewältigungsstrategien gibt es für Krisensituationen? Das alles versuchen wir mit diesen Fotos aufzeigen."
    Die eigene Sichtweise, die heutige Perspektive und der aktuelle Blick der Forscher seien bei dieser Arbeit mit den analogen Zeugnissen der Vergangenheit ständig kritisch zu reflektieren. Heute hat die mediale Digitalisierung die Feldforschung der Kulturanthropologen entscheidend verändert. Wissenschaftler, mit Digitalkamera bewaffnet, erzeugen eine wahre Bilderflut, selbst wenn sie mit einer dezidierten Fragestellung zu Werke gehen. Die Qual der Wahl macht die Auswertung nicht einfacher.
    Die Sorglosigkeit im nahezu kostenfreien "Knipsen" hat Konsequenzen für die Produktion von Bildern, aber ebenso für deren Rezeption. Denn die Veröffentlichung im Internet, das Posten, ermöglicht das sofortige Erreichen einer Vielzahl unterschiedlicher Adressaten. Damit haben sich auch die Motive erweitert.
    "Das Warum hängt sowohl mit der Dokumentation zusammen - so wie früher - als auch mit der Produktion von so etwas wie ein Jetztzeitgefühl. Also eine Momentaufnahme, was nichts Anderes verspricht als ein Gefühl des Hierseins. Es muss nichts mehr als das. Es hat einen ganz starken kommunikativen Aspekt. Da muss man auch ein bisschen differenzieren. Instagram hat eine ganz andere kommunikative Funktion etwa als zum Beispiel Snapchat. Das sind beide sehr beliebte Plattformen, die heutzutage die Mitteilung von Fotos, die Teilung von Fotos eigentlich, ermöglichen, aber auch ganz verschiedene Gruppen ansprechen."
    Snapchat verspricht die Löschung des versendeten Bildes nach Sichtung durch den Adressaten, der Facebook-Abkömmling Instagram sichert die Fotos und wird besonders auch von Prominenten genutzt.
    Die Foto-Nachrichten-App Snapchat
    Die Foto-Nachrichten-App Snapchat (picture alliance / dpa)
    Youtube ist mittlerweile ein Tummelplatz für Vlogger, also Videoblogger, die ihren Tagesablauf vom morgendlichen Zähneputzen übers Joggen oder Shoppen bis zum abendlichen Freundestreff dokumentieren. Für diese episodische Selbstdarstellung Einzelner scheint es tatsächlich Interessenten zu geben; das lassen zumindest die Zahlen der Follower und Abonnenten der jeweiligen Kanäle vermuten.
    Gegenwartsdokumentation: Youtube bietet eine Art Gesamtbild unserer Zeit
    "Eigentlich denke ich immer bei Youtube an die ersten Filme der Filmgeschichte. Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Filmen zum Beispiel von Lumiere, wo ein Baby gefüttert wird, zu den Filmen, die wir heute bei Youtube sehen. Das heißt, die alltäglichen Ereignisse werden ganz knapp festgehalten und erzählen doch etwas über die Jetztzeit, wie man im Alltag lebt. Auch über Individuen, wie sie leben, aber generell haben wir bei Youtube so etwas wie ein Gesamtbild unserer Zeit. Das ist gar nicht so unwichtig, was da festgehalten wird."
    Das wäre dann bei entsprechender Sichtung eine Fundgrube für zukünftige Kulturanthropologen, Grabungen im kollektiven Gedächtnis. Katrin Bauer sieht eine weitere Ähnlichkeit in den Motiven der Produzenten.
    "Sie sind natürlich in der Gegenwart entstanden, es gibt viel viel mehr Fotos, aber trotzdem würde ich sagen, dass man durchaus Parallelen entdecken kann zwischen Fotos, die früher angefertigt wurden und diesen digitalen Fotos, die wir vielleicht vor Augen haben, auf Facebook, wo Leute sich im Urlaub vor irgendwelchen Bauwerken fotografieren und immer diese Botschaft: ich war hier, ich hab das erlebt. Wenn wir uns aber die Fotoalben angucken, die analogen Bilder, ist es eigentlich ganz ähnlich. Auch in diesen Fotos ist immer so eine Inszenierung. Man inszeniert sich selber vor etwas. Dass es ein Stück weit natürlich anders war, weil die Technik einfach auch anders war, weil es komplizierter war. Ganz früher musste man einen Fotografen haben, der dann das aufgenommen hat. Trotzdem: das Moment der Selbstinszenierung, der Selbstrepräsentation ist im Album ganz ähnlich wie in digitalen, virtuellen Medien."
    Ob und inwieweit diese visuellen Dokumente zur Biografiearbeit oder als Basis zur kulturanthropologischen Erforschung der gesellschaftlichen Gegebenheiten herangezogen werden können, ist heute noch nicht zu entscheiden. Wird es in 20 Jahren überhaupt noch diese Plattformen geben? Was passiert mit den Festplatten, mit der Cloud? Derzeit gibt es ja bereits Probleme zum Beispiel mit der Sichtung alter VHS-Kassetten, mit Tonbändern oder mit EB-Produktionen. Bei Produktion und Verbreitung digitaler Bilder ist eben nicht die Sicherung der Erinnerung vorrangig.
    "Die heutigen Digitalfotos, einfach, weil sie massenhaft produziert werden, sind eigentlich eher für den Moment geschaffen. Es guckt sich kein Mensch mehr die Fotos von vor ein paar Jahren auf Facebook an. Aber trotzdem ist es interessant, dass es auch bei Facebook diese Timeline gibt, wo man im Prinzip ja auch ein visuelles Gedächtnis hat und im Prinzip auch zurückgehen könnte und sich erinnern könnte."