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Fragen der Familienpolitik

Familienpolitik ist ein so genanntes Querschnittsthema der Politik. Als solches ist sie auch eine Systemfrage und deshalb nimmt es nicht wunder, dass von Zeit zu Zeit der Ruf nach einem Perspektivenwechsel ertönt. Selten war dieser Wechsel so notwendig wie heute. Das geht aus zwei neuen Büchern über Familienpolitik und soziale Sicherheit hervor.

Rezension: Christoph Overkott |
    Seit der Geburtenmangel das soziale Sicherungssystem ins Wanken bringt, rückt die Familienpolitik wieder in den Mittelpunkt der Debatte. Gleich zwei Neuerscheinungen verschaffen nicht nur einen aktuellen Überblick, sondern zeigen zur Tagespolitik auch Alternativen auf.

    Kaum ein anderer Wirtschaftswissenschaftler hat sich mit Fragen der Familienpolitik wissenschaftlich und politisch beratend so früh so intensiv beschäftigt wie Heinz Lampert. Zur Würdigung seines Lebenswerkes hat der Bochumer Sozialwissenschaftler Jörg Althammer nun eine Festschrift herausgegeben, die den Forschungsstand kompakt zusammenfasst sowie seinen Forschungsansatz weiterführt: methodenpluralistisch und politikrelevant. Der Sammelband "Familienpolitik und soziale Sicherung" wurde in erster Linie für Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler geschrieben, bietet aber auch dem familienpolitisch Engagierten eine solide Grundlage für sein praktisches Handeln. Hilfreich zum Einstieg ist sicherlich der knappe Abriss der letzten fünfzig Jahre Familienpolitik des Marburger Sozialwissenschaftlers Siegfried Keil, dessen Bilanz pessimistisch ausfällt:

    " Trotz aller Bemühungen der Bundesregierungen, den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und den Empfehlungen der Fachwelt zu folgen, weisen amtliche Statistik und Sozialreports, wie Jugend- und Armutsberichte, von mal zu mal eindringlicher auf die immer größer werdende Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit von Familien hin. Die Geburtenzahlen sinken, die Scheidungsziffern steigen, Familie wird mehr und mehr zum Armutsrisiko, der Anteil der Kinder unter den Sozialhilfeempfängern wird immer größer."

    Dem gegenüber stellt der Osnabrücker Sozialethiker Manfred Spieker sein Konzept einer subsidiären Familienpolitik, die die private Entscheidung respektiert, aber aus vitalem Interesse heraus Ehe und Familie mehr als bisher schützt und fördert. Dabei spricht sich Spieker vor allem für eine Stärkung der Erziehungsleistung der Familie aus. Subsidiär unterstützend müsse dies durch ein Erziehungsgeld erfolgen, dass der Familie die Wahlfreiheit lasse zwischen Familienmanagement und außerhäuslicher Erwerbsarbeit. Spieker wörtlich:

    " Die Eltern müssen also selbst entscheiden können, ob sie ein Erziehungs- oder Familiengeld als Ausgleich für den Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit verwenden ..., oder ob sie es bei doppelter Erwerbstätigkeit für die Betreuung der Kinder in staatlichen oder kirchlichen Einrichtungen bzw. Familiennetzwerken einsetzen."

    Mit dem ausgewählten Problembereich kinderbezogener Rentenansprüche befasst sich Martin Werding vom ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München. Dabei weist er darauf hin, dass in der Diskussion über das "Armutsrisiko Familie" kaum beachtet wird, dass es gar nicht so sehr den Familien "zu schlecht", sondern viel mehr den Kinderlosen und Kinderarmen "zu gut" geht, weil sie einen bedeutenden Teil der Kosten ihrer Alterssicherung auf Familien und ihre Kinder abschieben. Da sich entsprechende Anreize aus der umlagefinanzierten Alterssicherung herkömmlicher Art ergeben, präsentiert Werding nach einer mathematisch anspruchsvoll fundierten Argumentation als Lösung die kinderbezogene Rente:

    " Eine kinderbezogene Differenzierung von Rentenansprüchen bedeutet vor diesem Hintergrund nichts anderes, als dass das Rentenniveau für Kinderlose deutlich stärker sinken muss als für Versicherte mit ein oder zwei Kindern, während es zum Beispiel für Versicherte mit drei und mehr Kindern sogar unverändert bleiben könnte. Wer von der Rentenniveausenkung betroffen ist, wird stattdessen auf anderweitige, kapitalgedeckte Formen der Altersvorsorge verwiesen. Diese müssten sogar obligatorisch gemacht werden, sobald das für die Zukunft absehbare Rentenniveau unter das sozialrechtliche Existenzminimum fällt."

    Nach einem Perspektivenwechsel in der Familienpolitik fragt auch das soeben erschienene Buch "Der Familie und uns zuliebe". Die über vierhundert Seiten umfassende Paperback-Ausgabe erscheint in einer Reihe mit der Diskussion über das Sozialwort der Kirchen. Herausgegeben ist der Band vom Mainzer Ordinariatsdirektor Bernhard Nacke und der Paderborner Theologin Elisabeth Jünemann. Gleichwohl kommen in diesem Buch nicht nur Autoren aus dem kirchlichen Bereich zu Wort, sondern auch namhafte Wissenschaftler und Repräsentanten aller Fraktionen des Deutschen Bundestages. Die Aufsatzsammlung gliedert sich in drei Teile, von denen der dritte Teil über Konzepte und Modelle knapp die Hälfte des Buches füllt. Angeführt wird dieser Teil durch ein konkretes Konzept eines Erziehungs- und Pflege-Einkommens aus Arbeitnehmersicht, vorgestellt vom langjährigen Bundesgeschäftsführer der Katholischen Arbeitnehmer Bewegung, Hans Ludwig. Er schreibt:

    " Jeder private Familienhaushalt, in dem wenigstens ein Kind unter 15 Jahren zu versorgen und zu erziehen ist oder eine anerkannte Pflegeperson der Betreuung und privaten Fürsorge bedarf, soll einen vollen Arbeitsplatz mit bis zu 38,5 Stunden pro Woche einrichten können. In diesem Falle wird ihm bzw. die Person, die diesen Arbeitsplatz einnimmt, das volle Entgelt einschließlich aller direkten Steuern und Sozialbeiträge ausbezahlt, sofern diese Person im erwerbsfähigen Alter und nicht gleichzeitig außerhäuslich erwerbstätig ist bzw. weitere Einkommen in Form von Lohnersatzleistungen bezieht."

    Ein Blick in die Positionen der Verbände und Fraktionen zeigt jedoch, das solche Ansätze noch über den Horizont der tagespolitischen Diskussion hinausgehen. Schließlich dokumentiert das Buch von Nacke/Jünemann ebenfalls, dass Kinderlosigkeit nicht nur eine Folge ist verfehlter Anreize eines unvollkommenen Versicherungssystems, sondern dass Kinderlosigkeit auch eine Lobby hat. Norbert Walter, Chefökonom der Deutschen Bank, etwa zieht gegen eine Familienpolitik mit dem Scheckbuch zu Felde. Dagegen warnt der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof vor dem Kurzschluss, Kinder ließen sich durch Kapital bei der Altersvorsorge ersetzen.

    " Müssten die Sicherungsfonds plötzlich ihre Aktienreserven auf den Markt werfen, weil weniger eingezahlt wird und mehr ausgezahlt werden muss, würde sich der Aktienmarkt fundamental verändern. Dann würde auch der Letzte merken, dass alle Sicherungssysteme darauf basieren, dass leistungsfähige junge Menschen dieses Wirtschafts- und Staatssystem übernehmen."

    Ob unsere Gesellschaft zu einer Zukunft mit Kindern bereit und in der Lage ist, hängt auch davon ab, wie weit sie bereit ist, der Familie auch Leistungsgerechtigkeit zukommen zu lassen und damit visionär nach vorne zu schauen.

    Christoph Overkott besprach den von Jörg Althammer als Festschrift für Heinz Lampert herausgegebenen Sammelband "Familienpolitik und soziale Sicherung", erschienen im Springer-Verlag in Heidelberg, der Band hat 503 Seiten und kostet 99 Euro 95. Außerdem besprach er einen weiteren Sammelband, herausgegeben von Bernhard Nacke und Elisabeth Jünemann unter dem Titel: "Der Familie und uns zuliebe. Für einen Perspektivwechsel in der Familienpolitik?", erschienen im Grünewald-Verlag in Mainz, 412 Seiten zu 24 Euro 80.

    Bernhard Nacke, Elisabeth Jünemann
    Der Familie und uns zuliebe.
    Für einen Perspektivenwechsel in der Familienpolitik. Matthias
    Grünewald-Verlag, Mainz, 2005

    Jörg Althammer (Hrsg.)
    Familienpolitik und soziale Sicherung. Festschrift für Heinz Lampert Springer-Verlag, Heidelberg, 2005