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Frank Schneider: "Eine Welt auf 16 Saiten"
Einblicke in ein Leben "a quattro"

Das Vogler Quartett aus Berlin gehört seit über 30 Jahren zu den international renommiertesten deutschen Quartetten, das zudem in immer gleicher Besetzung konzertiert. Mit den vier Musikern hat der Musikwissenschaftler Frank Schneider Gespräche geführt und diese in Buchform veröffentlicht.

Von Stefan Amzoll |
    Sängerin Ute Lemper und das Vogler Quartett
    Gruppenbild mit Dame: das Vogler Quartett und Ute Lemper (picture alliance / dpa / XAMAX)
    Vier Musiker sprechen in dem Buch: Tim Vogler, Frank Reinecke, Stefan Fehlandt und Stefan Forck. Benannt nach seinem Primarius, betrat das Quartett 1985 erstmals die öffentliche Bühne. Ein genuin ostdeutsches Produkt. Alle vier sind in Ostberlin, damals Hauptstadt der DDR, ausgebildet worden. Erst auf der Spezialschule für Musik "Carl Philip Emanuel Bach", dann an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler". Durchweg hochbegabte Jünglinge, die es auf eigene Faust versuchen wollten. Denn freiberufliche Streichquartette gab es in der DDR seinerzeit nicht. Solche gingen aus staatlichen Orchestern hervor, etwa das Neue Leipziger Streichquartett aus dem Gewandhausorchester. Nun liegt vom Vogler Quartett ein starkes Porträt vor, mit dem sein Autor Frank Schneider nicht nur für das Ensemble wirbt, sondern auf 380 Seiten ein Kompendium entfaltet, in dem nichts zu fehlen scheint.
    Einblicke in den Musikeralltag
    Beziehungsreichtum, Erzählung, Reflexion, Biografisches, geschichtlicher Exkurs, Bericht, Selbstporträt, gepaart mit Probenberichten, Tourneetätigkeit, Kritik am Musikbetrieb, Konzertexperimenten usw. reichen einander die Hand. Alles, was ein Ensemble wesentlich ausmacht, ist in dem Buch aufgeführt. Porträt der besten Sorte, umfassend, anspruchsvoll, detailreich, ohne auszuufern, gut lesbar. Obendrein eins mit Seltenheitswert. Erschöpfen sich doch zahllose Musikerdarstellungen in viel eitlem Gerede, Anekdoten und Lobeshymnen. Hier gibt sich ganz anderes die Ehre. Musiker, intelligent, reflexionsbereit, neugierig, offenherzig, sprechen über sich selbst, geben Kunde von ihrer Tagesarbeit, ihren Erfolgen und Möglichkeiten, reden auch über Schwächen und Misserfolge. Das Wichtigste: über das, was sie täglich zu meistern haben, ihre Musik mit höchstmöglichem Können und kollektiv erarbeiteten Werk- und Aufführungsverständnis an die Hörer zu bringen. Letzteres birgt hunderterlei Überlegungen und Probleme. Bis ins Detail von Tempo, Lautsstärke, Metrum, Rhythmus, Agogik etc. reichen diese. Ausgiebig die Unterhaltung über die Zeitmaße bei Beethoven, wieweit die Vorgaben des Komponisten einzuhalten seien. Aufführungsfinessen an konkreten Beispielen zu erörtern, ist eine Konstante in darauf bezogenen Kapiteln. Binsenweisheit: Im Quartett oder in erweiterten Besetzungen zu musizieren, sei an eine spezielle Gruppendynamik geknüpft.
    Gemeinsamkeiten und Differenzen
    Doch wie verhält sich der eine zum anderen, zum Dritten, Vierten - konkret - in Probensituationen, bei Aufführungen, auch während angestrengter Tourneen? Da wird es schon mal genauer. Nicht leicht, hierüber zu sprechen. Die Vier tun es, wenn auch zögerlich. Differenzen bleiben nicht ausgespart. Etwas bei der Problemstellung, wie viel Spielraum der Spieler im Kollektiv habe, sich individuell einzubringen, ohne Struktur und Intention der Komposition zu beschädigen? Relevante Frage neben der Homogenität des Zusammenspiels genauso: Welche mentalen Prozesse walten beim Musizieren in der Beziehung zum Publikum?
    Musik: Schubert, Der Tod und das Mädchen f. Streichquartett
    Musizier - und Aufführungsszenarien spielen in den Gesprächen eine hohe Rolle, überhaupt der Facettenreichtum im Herangehens an die Partitur. Die Frage nach der Werktreue kommt selbstredend immer wieder durch. Auch jene Geduld, die nötig ist, über den Probenprozess die Dinge wachsen zu lassen. Weiterer Gesprächskomplex: Wie wird Repertoire gebildet, qualifiziert und erweitert? Eine Rangfolge dessen, was sie spielen, wollen sie nicht gelten lassen. Woran sie gerade proben, ist nicht weniger relevant als das Vorige. Zentral bliebe indes die Klassik seit Haydn, Mozart Beethoven. Die frühen Quarttete von Dvorak hätten sie zuletzt ins Herz geschlossen. Außer Frage steht Schubert. Mit dessen spätem Streichquintett C-Dur hätten sie angefangen. Großes Erlebnis dessen Einstudierung. Später gingen fast alle Schubert-Quartette ins Repertoire ein. - Streichquartettkunst, was ist das? Woher kommt sie? Wer bekrönte sie? Worauf fußt der gegenteilige Strang, die Gattung zu negieren, zu attackieren, sie zu destruieren? Joseph Haydn, Begründer und Innovator der Gattung, Modell für Mozart und Beethoven, lieferte seinerzeit Gegenwartsmusik ab. Heute spielt das große Erbe die erste Geige.
    "Rätsel" Berg-Quartett
    Autor Frank Schneider wirft in den Gesprächen immer mal wieder musikhistorische, gattungsgeschichtliche Zusammenhänge ins Feld, worauf die vier Musiker lebhaft reagieren. Ein "unglaubliches Rätsel" sei das Alban-Berg-Quartett op. 3 gewesen, deren freie Atonalität sie erst hätten verstehen lernen müssen. Sie hätten sich den Sinn des Werkes wirklich selber, ohne Hilfe von außen, erstritten, bis das Gefühl da war, das Werk halbwegs so zu begreifen, dass es gut aufgeführt werden könne.
    Frohe Momente bei den Voglers, ein Kurt-Weill-Projekt, eine Unternehmung mit Tangomusik und Konzerte mit Ute Lemper mit bestreiten zu dürfen. Die Lemper, wissend, dass die Voglers aus der DDR stammen, hätte sie als ihre "kommunistischen Boys" bezeichnet. Jene Lemper-Show führte sie bis in die USA. Keine Scheu also, populäre Musikstile zu integrieren, wenn auch nur von Fall zu Fall. Anders, Neue Musik aufzuführen. Hier sagt die Gruppe, sie hätte sich der emphatischen Linie der Streichquartett-Entwicklung seit Beethoven verschrieben, mündend in Schöpfungen von Kurtag, Kagel, Rihm, Cage, Feldmann und anderen. Eine instruktive Zusammenarbeit hätte sich mit György Kurtag ergeben. Zahlreiche UA schlagen über drei Jahrzehnte weg zu Buche. Wichtige Erfahrung zu Anfang die Einstudierung von Ligetis 2. Streichquartett. Mehr oder minder beliebig zurecht gefummelte Klangkunst sei uninteressant. Allenfalls Klangbildungen für 4 Saiteninstrumente zu Papier zu bringen, genüge eben nicht. Sekundgeiger Frank Reinecke sagt an einer Stelle: "Es bleibt alles schwierig, und ich möchte deshalb vor allem heute kein Komponist sein."
    Frank Schneider: "Eine Welt auf sechzehn Saiten - Gespräche mit dem Vogler Quartett"
    Berenberg Verlag Berlin 2015, 283 Seiten, 25 Euro.