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Frankreich
Der schmale Grat zwischen Laizismus und Islamfeindlichkeit

Mütter mit Kopftuch sollen ihre Kinder in Frankreich nicht mehr bei Schulausflügen begleiten dürfen. So sieht es ein Gesetzentwurf vor. Gegen diesen "staatlichen Rassismus" protestieren Musliminnen und Muslime - Seite an Seite mit israelitischen und christlichen Gemeinden.

Von Suzanne Krause | 06.11.2019
Verschleierte muslimische Frauen bei einem Einkaufsbummel auf der Pariser Champs-Élysées
Verschleierte muslimische Frauen bei einem Einkaufsbummel auf der Pariser Champs-Élysées (imago / Sven Simon)
"Körperliche und verbale Angriffe, die Freiheit beschneidende Gesetze, Hassreden bis hin zum Aufruf zum Genozid." All das bedrohe Muslime im heutigen Frankreich, listet ein Muslim bei einer Kundgebung am vergangenen Samstag im ostfranzösischen Belfort auf. Zu sehen in einer Reportage des öffentlichen Regional-TV-Senders France 3. Unter dem Motto "Stopp Islamophobie" protestierten in Belfort über tausend Personen gegen einen Vorfall, der drei Wochen zuvor das Land aufgewühlt hatte. Ein Online-Video zeigt Bilder eines Eklats bei einer Sitzung des Regionalrats Bourgogne-Franche-Comté. Auf der Zuschauertribüne saßen Kinder, im Rahmen eines Schulprojekts zur französischen Demokratie. Ehrenamtlich begleitet wurde die Klasse von einer Mutter: Muslimin mit Kopftuch. Ein Anblick, der Julien Odoul vom rechtsextremen Rassemblement National missfiel.
"Frau Vorsitzende, ich bitte Sie im Namen unserer laizistischen Prinzipien, die Begleiterin der Klasse aufzufordern, ihren islamischen Schleier sofort abzulegen."
Ein weinendes Kind mit Ikonenstatus
Als illegitim und bar jeglicher rechtlichen Basis verurteilten die Mitglieder des Regionalrats nach einer Schrecksekunde Odouls Ansinnen. Das Video wurde schon Hunderttausende Male angeklickt. Ein Foto zeigt den zehnjährigen Sohn der Muslimin weinend in den Armen seiner Mutter - es hat nun Ikonenstatus. Dessen ungeachtet hat letzte Woche der Pariser Senat einen Gesetzesvorschlag verabschiedet: Ein Kopftuchverbot für Mütter, die Schulausflüge begleiten. Zum Leidwesen der Regierung – die allerdings in dieser Frage ziemlich zerstritten ist. Viele Parteikollegen kritisieren die Position des Bildungsministers. Es sei Müttern gesetzlich nicht verboten, bei einem Schulausflug Kopftuch zu tragen – aber dies sei unerwünscht, erklärte Jean-Michel Blanquer kürzlich erneut im TV-Kanal des Senats:
"Wir brauchen kein Gesetz. Dennoch müssen wir jeglichen Druck auf die Schüler unterbinden."
Die Islamophobie werde stetig geschürt, hieß es in Belfort bei der Kundgebung. Zu der aufgerufen hatten die örtliche muslimische, die israelitische und beide christlichen Gemeinden, so Ortsbischof Dominique Blanchet.
"Wir sind übereingekommen, gemeinsam demonstrieren zu müssen, wenn eine religiöse Gemeinschaft rein deshalb bedroht wird, weil es sie mit ihrer religiösen Ausdrucksweise gibt. Wir wollen uns gemeinsam für den Frieden einsetzen."
"Hexenjagd auf verschleierte Frauen"
"Islamophobie – staatlicher Rassismus – nieder damit!" Solche Parolen erklingen nun immer wieder, landauf landab. Mitte Oktober konnte ein Mütter-Kollektiv an der Pariser Place de la République 500 Demonstranten zusammentrommeln, aber kaum Medien. Die Online-Zeitung HuffPost gab Musliminnen mit Kopftuch das Wort. Diese sagten:
"Ich habe es satt – kaum mache ich das Fernsehen an, geht es auf allen Kanälen um den Schleier. Das ist schon fast beängstigend, da mag man gar nicht mehr rausgehen. Das ist eine Hexenjagd - auf verschleierte Frauen. Wir wollen Euch nichts Böses. Ich bin vor 57 Jahren in Frankreich zur Welt gekommen, ich habe mein ganzes Leben hier verbracht - ich bin Französin!"
"Wir wollen nichts als ein normales, ruhiges Leben, so wie jeder andere französische Bürger. Wir zahlen Steuern, wir sind gesellschaftlich integriert, wir gehen täglich zur Arbeit. Unsere Seelen sind doch alle französisch."
Bei einer Kundgebung am Pariser Place de la Nation, eine Woche später, ruft der bekannte Humorist Yassine Belattar Frankreichs Muslime zu mehr Selbstkritik auf.
"Unserem muslimischen Ego entspricht es, jeden, der uns ähnelt, aber aktiv wird, zu verdammen. Damit schaden wir uns bloß selbst. Ungeachtet unserer Hautfarbe und Religion müssen wir jeden unterstützen, der sich dafür einsetzt, dass Muslime hier ein ganz normales Leben führen können. Wir dürfen uns nicht gegenseitig Knüppel zwischen die Beine werfen. Denn auf der Gegenseite steht man fest zusammen."
Schockzustand nach islamistischem Anschlag
Der Protest weitet sich aus, dank des gerade gestarteten Appells für eine Aktion kommenden Sonntag in Paris "Gegen die zunehmende Stigmatisierung der Muslime Frankreichs". Zu den Unterzeichnern zählen der links-populistische Parteichef Jean-Luc Melenchon ebenso wie der Vorsitzende der französischen Grünen, Yannick Jadot. Dazu die Antifa-Bewegung, ein jüdischer Verein, die CGT, größte Gewerkschaft im Land. Und ein Wortführer der Protestbewegung Gilets Jaunes – der Gelbwesten.
Mit ihrem Appell wollen die Verantwortlichen die Bevölkerung wachrütteln – und den Staatspräsidenten. Denn im Schockzustand nach dem islamistischen Attentat Anfang Oktober, bei dem ein Polizist, der sich unbemerkt radikalisiert hatte, vier Kollegen in der Pariser Polizeipräfektur erschoss, reagierte Macron bei der Trauerfeier mit ungewohnt heftigen Worten. Er rief die Gesellschaft zu mehr Wachsamkeit betreffs islamistischer Radikalisierung auf. Macrons Worte waren eine Art Flucht nach vorne, um Populisten, die einheimische Muslime unter Generalverdacht zu stellen drohten, das Wasser abzugraben.
Macrons leise Verständigungsarbeit
Doch seither müht sich der Staatspräsident, wieder eine klare Trennlinie zu ziehen zwischen Islamismus, den französischen Muslimen und dem Kommunitarismus, also der Betonung der Zugehörigkeit zu einer religiösen und ethnischen Gemeinschaft. Dem Privatradio RTL verriet Macron, er werde die Vertreter des Französischen Rats des muslimischen Kults treffen:
"Ich treibe mit ihnen die Verständigungsarbeit voran. Auf leiser Ebene, weil diesbezüglich viel schon gescheitert ist. Wir müssen erzielen, dass unsere Mitbürger, die der muslimischen Religion angehören, ihre Religion ungestört leben können, indem sie absolut alle Gesetze unserer Republik respektieren."
Der Französische Rat des muslimischen Kults (CFCM) ist eine politische Institution, 2003 einberufen vom damaligen konservativen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Nur wenige Muslime im Land erkennen die vom Staat erwünschte Statthalterfunktion des CFCM an. Seit langem kündigt Emmanuel Macron eine Neuordnung des islamischen Alltagslebens in Frankreich an, von der Regelung der Finanzen bis zur Imam-Ausbildung – den Worten folgten bislang keine Taten.
Nach dem Vorfall im Regionalrat, der öffentlichen Demütigung einer kopftuchtragenden Muslimin, rang sich der CFCM nun zu einer Erklärung durch: Das Kopftuch sei religiöse Pflicht. Aber auch ohne Kopftuch könne eine Muslimin als Gläubige gelten. Bei einem anderen Thema ereiferte sich Abdallah Zekri vom CFCM-Vorstand kürzlich im TV-Infokanal LCI weit mehr.
"Ich sag es mal ganz hart: Ich fordere gewisse Politiker, die ein schmutziges Geschäft rund um den Islam und die Muslime betreiben, auf, ihre Klappe zu halten!"
Zekris Ansinnen wirkt wenig realistisch. Im nächsten Frühjahr stehen in Frankreich Kommunalwahlen an. Manch neu aufgekommener Wahlliste wird unterstellt, gezielt bei Muslimen auf Stimmenfang zu gehen. Einige konservative Politiker fordern das Verbot 'kommunitaristischer Listen', soll heißen: Listen von Muslimen für Muslime.