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Frankreich
Kriminalität steigt dank Gelbwesten

Seit Ende November vergeht in Frankreich kein Wochenende ohne Gelbwesten-Demo. Besonders oft und gewaltsam sind die Proteste in Paris, weshalb sie stets von Tausenden Polizisten begleitet werden. Weil die nun woanders fehlen, steigt in der Hauptstadt die Kriminalität.

Von Suzanne Krause | 15.07.2019
Anhänger der Gelbwesten-Bewegung protestieren nach der Militärparade vor dem Arc de Triomphe in Paris
Proteste nach der Militärparade in Paris (AFP / Kenzo TRIBOUILLARD)
Zwischen den Stationen La Chapelle und Barbès-Rochechouart fährt die Métro nicht unter, sondern hoch über der Straße. Darunter residiert samstags der Wochenmarkt. Beidseits der langen Allee bieten Händler unschlagbar billig Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch und auch Klamotten an. Im Mittelgang drängen sich Hunderte von Käufern; mancher kommt extra von weit her. Jean-Raphaël Bourge wohnt nebenan und ist Präsident des Anwohnervereins "Action Barbès", der sich für mehr Lebensqualität im Viertel einsetzt. Gerade ist der schmale Mittvierziger mit der Schiebermütze mitten im Gewühl fast über Spankisten gestolpert. Jean-Raphaël Bourge:
"Die gehören einem illegalen Kräuterverkäufer, der getürmt ist, weil Sicherheitsleute von der Stadtverwaltung herannahten. Sobald die Luft rein ist, taucht er wieder auf."
Polizeistreifen kaum mehr zu sehen
Dabei bräuchte der illegale Händler die kommunalen Marktwächter gar nicht zu fürchten: Nur die Polizei darf seine Ware konfiszieren. Doch Streifenpolizisten sind seit letztem Herbst auf dem Markt von Barbès kaum je zu sehen: Jeden Samstag sind viele rund um die Gelbwesten-Aktionen im Einsatz. Die nicht angemeldeten Stände im Mittelgang des Marktes aber gefährden die Sicherheit, erklärt Jean-Raphaël Bourge:
"Diese Stände sorgen für Staus. Das nutzen Taschendiebe aus. Das vertreibt manchen Käufer. Und darunter leidet die überwältigende Mehrheit der legalen Händler, die sich absolut korrekt verhalten. Auch wenn der Markt heute rappelvoll wirkt – er zieht weniger Kunden an. Neuerdings werfen deshalb immer mehr Händler das Handtuch."
Taschendiebstahl ist nicht nur in Barbès trauriger Alltag geworden: In ganz Paris ist die Kriminalität im Aufwind. Kürzlich zitierte das Rathaus Polizei-Statistiken: Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Anzeigen wegen Taschendiebstahls um ein gutes Drittel hochgeschnellt,
Mehr Taschendiebstahl und Wohnungseinbrüche
die Anzeigen zu Wohnungseinbrüchen um elf Prozent. In der Métro wurden 70 Prozent mehr Diebstähle und sexuelle Übergriffe registriert. Die Bevölkerung sei zum, Zitat, "kollateralen Opfer der Gilets-Jaunes-Krise" geworden, hält das Rathaus-Team in einem Brief an den Innenminister fest. Allerdings: Im Privatradio RTL macht Emmanuel Gregoire, rechte Hand der Oberbürgermeisterin, dafür auch ein strukturelles Problem verantwortlich:
"Vor allem in den Polizeiwachen der Brennpunktviertel mangelt es an Personal. Da spitzt die Gilets-Jaunes-Krise die desolate Lage nur weiter zu."
Direkt gegenüber dem Ausgang der Métrostation Barbès-Rochechouart steht ein verwaister Zeitungskiosk. Den hatte Samir Lebcher seit 2008 geführt, seit sein Vater, Einwanderer aus Marokko, nach 32 Jahren Tätigkeit hier in Rente ging. Doch seit Ende Mai ist der Kiosk geschlossen, bestätigt Samir Lebcher:
Das Pflaster wird zu heiß
"Als ich abends dichtmachte, wurde ich von einem Kerl niedergeschlagen. Weil ich mittags dazwischen gegangen war, als er einer Kiosk-Kundin die Handtasche entreißen wollte. Den ganzen Nachmittag über hat er mich bedroht - und abends dann erwischt."
Das war für Samir Lebcher der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Dabei rühmt er das bunte und sehr solidarische Leben im traditionellen Einwandererviertel, wo er aufwuchs. Doch gegenüber vom Kiosk werden immer offener und unverfrorener Drogen, Zigaretten, Hehlerware verhökert. Das Rathaus verspricht den Aufbau einer Gemeinde-Polizei. Für Lebcher und andere alteingesessene Geschäftsleute jedoch kommt das zu spät: Sie haben aufgegeben. Das Pflaster wurde ihnen zu heiß.