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Frankreich und der Sklavenhandel

In der vergangenen Woche musste der noch amtierende Präsident Chirac seinen Nachfolger Sarkozy förmlich dazu drängen, an einer Gedenkzeremonie für die Opfer der Kolonialgeschichte Frankreichs teilzunehmen. Sarkozy hatte diese Veranstaltung im Wahlkampf heftig kritisiert und den Franzosen versprochen, ihnen den Stolz auf ihre Geschichte zurückzugeben. Doch in Frankreich wird verstärkt an ein finsteres Kapitel der eigenen Geschichte erinnert.

Von Margrit Klingler-Clavijo |
    Der Umgang mit der Geschichte, vor allem mit den negativen Aspekten wie Sklaverei und Kolonialismus, ist seit einigen Jahren in Frankreich höchst umstritten. Nicolas Sarkozy, Frankreichs neuer Präsident, hatte im Wahlkampf betont, Reue und Selbstgeißelung halte er diesbezüglich für unangebracht. Trotzdem nahm er am 10. Mai mit dem scheidenden Präsidenten Jacques Chirac an der offiziellen Gedenkfeier zur Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei im Pariser Jardin du Luxembourg teil, was in der französischen Presse als medienwirksame Inszenierung kommentiert wurde. Unter Jacques Chirac hatte Frankreich 2001 die Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschheit deklariert und 2006 den 10. Mai zum offiziellen Gedenktag erklärt.

    Doch woran muss und sollte man sich erinnern und was wurde bislang verschwiegen und versäumt? In den französischen Geschichtsbüchern konzentriert man sich auf die Abolitionisten wie Victor Schoelcher und verschweigt das Leid der Sklaven, die im transatlantischen Dreieckshandel von Afrika über Europa nach Nord - und Südamerika deportiert wurden. Zwölf Millionen Afrikanern wurde das Menschsein abgesprochen und im Code Noir von 1685 ihr Objektstatus als Handelsware festgeschrieben. Dass der Reichtum von Hafenstädten wie Bordeaux, Nantes und La Rochelle vom Sklavenhandel herrührt, ist nicht im kollektiven Bewusstsein der Grande Nation verankert.

    Daher plädieren Schriftsteller Soziologen und Historiker wie Claude Ribbe für eine überfällige Aufarbeitung dieser Geschichte, die nicht nur in Frankreich, sondern in allen am Sklavenhandel beteiligten Ländern wie Portugal, Spanien, England, Schweiz und sogar Deutschland weit mehr Spuren hinterlassen hat, als gemeinhin angenommen, wobei man von Haiti ausgehen sollte.

    "Wie kann man sich an die Abschaffung der Sklaverei erinnern, ohne Haiti mit ein zu beziehen? Leider ist das gang und gäbe. Ich erinnere nur daran, dass die Initiativen, die zur Ächtung der Sklaverei führten, von Haitianern ausgegangen sind, ich erwähne hier nur das Projekt der Route de l'esclave der UNESCO. Haiti ist eine ehemalige französische Kolonie und ich möchte daran erinnern, dass 1789 jeder achte Franzose von Haiti lebte und dass Haiti ein wichtiger Posten im französischen Außenhandel war und nicht von ungefähr die Perle der Antillen genannt wurde."

    Die Perle von einst zählt heute zu den zehn ärmsten Ländern der Welt und im heutigen Frankreich haben Afrikaner und Antillaner massive Integrationsprobleme. Fußballstars wie Liliam Thuram kritisieren das Affengebrüll in den Stadien als Auswüchse eines Rassismus, dessen Wurzeln, wie er unlängst in Le Monde bekundete, auf die Sklaverei zurückgehen.

    Während in England und den USA Black Studies längst gang und gäbe sind, gibt es in Frankreich erst seit Anfang diesen Jahres interkulturelle und interdisziplinäre Forschungsprojekte. So lehrt Francoise Vergès, die Vizepräsidentin des Komitees für das Gedenken an die Sklaverei, am Goldsmith College in London, mischt sich jedoch mit ihrer vielbeachteten Untersuchung La mémoire enchaînée, in der sie aufzeigt, wie die Sklaverei aus dem kollektiven Gedächtnis ausgeblendet wurde, in die französischen Debatten ein.

    Edouard Glissant - Dichter, Romancier und Kulturtheoretiker aus Martinique - wurde
    2006 von der französischen Regierung offiziell damit beauftragt, adäquate Formen des Erinnerns und Gedenkens zu finden. Er hat daraufhin das Institut-du-Tout-Monde gegründet, das vorläufig im Maison de l'Amérique Latine untergebracht ist. Wie einen polyphonen Chor hatte er am 10. Mai die Lesung von ausgewählten Texten zur Sklaverei im Musée du Quai Branly angelegt, die weder Lamento oder Klage sein wollte, sondern der Anfang einer gemeinsamen Neubetracht dieser unheilvollen Geschichte.

    "Ich denke auch an das französische Volk, das wenig Kontakt zur Sklaverei hatte. Die Mehrheit der Franzosen ist immer noch der Ansicht, dass sie das nichts angeht. Wir werden sehen, dass die Sklaverei eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung Frankreichs verknüpft ist und der Ursprung seines Reichtums. Daher müssen wir uns um die tatsächliche Kenntnis dieser Phänomene bemühen, damit wir alle in diesem Prozess gemeinsam zu einer neuen Sicht auf die Welt kommen."