Freitag, 19. April 2024

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Frankreichs Eurozonen-Pläne
"So funktioniert Europa nicht!"

Emmanuel Macron möchte ein sehr großes EU-Budget, das sich sein Land selbst gar nicht leisten könne, sagte Daniel Caspary (CDU) im Dlf. Außerdem möchte Frankreichs Präsident die EU "wie früher als Projekt der Regierungschefs haben", kritisierte der EU-Parlamentarier. Eine solche Politik sei "aus der Zeit gefallen".

Daniel Caspary im Gespräch mit Jasper Barenberg | 19.11.2018
    Der CDU-Politiker Daniel Caspary auf einem Landesparteitag der CDU in Baden-Württemberg.
    Scharfe Kritik an Macrons Europapolitik: Der EU-Parlamentarier Daniel Caspary (CDU) (dpa/Patrick Seeger)
    Jasper Barenberg: Die Erwartungen waren groß, als Emmanuel Macron Präsident Frankreichs wurde und gleich versprach, auch Europa stärker und solidarischer machen zu wollen, und zwar gemeinsam mit der Regierung in Berlin. Die ließ Macron lange hängen. In einem Punkt machen beide Seiten jetzt aber einen konkreten Vorschlag. Die Staaten der Eurozone sollen ein eigenes Budget bekommen. Das Ziel: Mehr Zusammenhalt, mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Stabilität.
    Am Telefon ist jetzt Daniel Caspary, der Vorsitzende der Parlamentarier von CDU und CSU im Europäischen Parlament. Schönen guten Morgen, Herr Caspary.
    Daniel Caspary: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    "Alle Dinge müssen mit Bedingungen verknüpft sein"
    Barenberg: Ihr Parlamentskollege Sven Giegold von den Grünen, der spricht ja mit Blick auf den Plan zur Eurozone von einem Kompromiss auf kleinstmöglichem Nenner, weil es die europäische Initiative Frankreichs auf ein Minimum geradezu zusammenkoche. Warum ist die deutsche Seite da so kleinmütig?
    Caspary: Nein, wir sind nicht kleinmütig. Aber genauso wie Herr Macron Vorstellungen für die Europäische Union hat, haben wir die auch. Und wenn er mit ewig alten Vorschlägen kommt, dann sind leider unsere Antworten auch ähnlich, nämlich wir wollen diese massive Ausweitung der europäischen Budgets nicht. Es gehört für uns zusammen Solidarität, aber auch Eigenverantwortung. Deswegen gehen wir einen guten Schritt in die erste Richtung, aber ganz wichtig ist: Alle Dinge müssen auch mit Bedingungen verknüpft sein, und das kommt in der Diskussion manchmal zu kurz.
    Barenberg: Das wollte auch Frankreich nicht, wenn Sie den Punkt gerade erwähnen. Strenge Haushaltsregeln, denke ich, meinen Sie vor allem?
    Caspary: Ja, gut. Es geht zum einen um die Frage, für was wollen wir europäisches Geld einsetzen. Und für die ganze Frage, wie schaffen wir es, die Regionen, die in Europa benachteiligt sind, nach vorne zu bringen, da unternehmen wir doch schon seit vielen, vielen Jahrzehnten starke Anstrengungen und auch erfolgreich im Rahmen der europäischen Regional- und Strukturfonds. Auch der jetzige Haushaltsvorschlag, den EU-Kommissar Günther Oettinger vorgelegt hat, der geht ja ganz genau in die Richtung, dass die Ausgabe der europäischen Gelder geknüpft sein soll an die Einhaltung von Bedingungen, um die Länder wirklich wirtschaftlich voranzubringen. Und genau das ist die Diskussion, die wir in ganz Europa immer wieder führen. Wir sehen jetzt gerade wieder, dass sich Italien aus der Frage von Stabilität und Solidarität verabschieden möchte, und genau deswegen ist die Frage, welche Signale setzen wir zu welchem Zeitpunkt. Da wäre bestimmt eine entsprechend zu große Finanzierung ein falscher Anreiz.
    Kritik an Macrons EU-Politik
    Barenberg: Das klingt jetzt ein wenig so, Herr Caspary, als wollten Sie eigentlich gar kein eigenes Budget für die Eurozone, sondern hätten jetzt nur zugestimmt, um dem französischen Präsidenten einen kleinen Erfolg zu gönnen.
    Caspary: Nein, das gar nicht. Aber wir haben doch nun mal grundsätzlich unterschiedliche Ansätze. Herr Macron möchte ein sehr großes Budget, das sich sein Land ja selbst gar nicht leisten kann, außerhalb der Europäischen Union. Er wollte das ja als Projekt der Staats- und Regierungschefs haben. Wir als deutsche CDU/CSU, wir haben immer gesagt, uns ist ganz, ganz wichtig, dass sämtliche Gelder in Europa möglichst im Rahmen der europäischen Institutionen ausgegeben werden, also Kommission, Parlament und Rat, dass alle Institutionen hier Kontrollmöglichkeiten haben, und da haben wir jetzt ja auch bei der Einigung das erste Problem. Da heißt es, die Staats- und Regierungschefs möchten über die Höhe entscheiden. Die Staats- und Regierungschefs möchten entscheiden, wohin das Geld geht. Und so funktioniert Europa nicht! Herr Macron hat da eine grundsätzlich andere Vorstellung. Wir haben die Vorstellung eines demokratischen Europas innerhalb der Institutionen, und das sind zum Beispiel Dinge, die wir aus Parlamentssicht bestimmt in den nächsten Wochen und Monaten noch mit den Kollegen im Rat nachverhandeln müssen.
    Caspary: Das hat ja auch Sven Giegold von den Grünen kritisiert, dass das neue Budget, so wie die Planung jetzt aussieht, für die Eurozone im Grunde das Europaparlament geradezu schwächt.
    Caspary: Ja. Das ist doch aber genau das Problem. Wissen Sie, Herr Macron bringt viele Initiativen, die gut für Europa sind. Er möchte Europa genauso wie wir als deutsche Christdemokraten weiterentwickeln. Aber die Frage ist dann ja immer, wie, und ich stelle bei Herrn Macron regelmäßig fest, dass er nicht denkt, wie schaffen wir, Europa innerhalb der europäischen Institutionen weiterzuentwickeln, sondern er möchte Europa wieder wie früher als Projekt der Regierungschefs haben. Genau das ist die Sache, die ist doch aus der Zeit gefallen, und da geht es uns Christdemokraten weniger um die Frage, wie hoch ist die Summe im Moment, sondern uns geht es erst mal um die grundsätzliche Frage, wollen wir ein Europa der Staats- und Regierungschefs, nicht demokratisch kontrolliert von einem Europäischen Parlament, oder wollen wir eine Europäische Union, in der das Parlament als Volksvertretung eine große Rolle spielt, und genau diesen Streit führen wir auch bei dem Eurozonen-Budget.
    "Weg in Richtung Schwächung des Parlaments"
    Barenberg: Nun habe ich, ehrlich gesagt, Angela Merkel in den letzten Jahren immer so verstanden, als sei auch sie eher eine Vertreterin der Position, dass Europa mehr und mehr zu einem Projekt der Staats- und Regierungschefs geworden ist und immer weniger zu einem der Kommission oder des Parlaments. Habe ich da was falsch wahrgenommen?
    Caspary: Ich darf jetzt seit gut einem Jahr die CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament leiten. Seitdem stehe ich in dem Austausch mit Angela Merkel genau über die Fragen, und das ist vollkommen unstrittig. Da sind wir uns auch im Rahmen der Koalitionsverhandlungen immer einig gewesen und auch die Positionierung der CDU ist hier ganz klar. Wir wollen die Europäische Union weiterentwickeln, aber wir wollen nicht wie früher eine Europäische Union der Staats- und Regierungschefs, sondern eine demokratische Europäische Union, in der das Europäische Parlament die wesentliche Rolle spielt, gemeinsam mit dem Europäischen Rat. Genau in die Richtung wollen wir Europa weiterentwickeln. Das ist, glaube ich, auch der wesentliche Unterschied zwischen uns und Macron, und deswegen wundere ich mich manchmal, wie da fast schon fahrlässig drüber weggegangen wird, über die Frage, wie Herr Macron Demokratie gestalten will.
    Nehmen wir zum Beispiel die Situation in Frankreich. Dort hat er ja vorgeschlagen, dass für das nationale Parlament in Frankreich eine Amtszeitbegrenzung für Abgeordnete von maximal drei Wahlperioden eingeführt werden soll. Das ist auch genau ein Weg in Richtung Schwächung des Parlaments. Alle erfahrenen Abgeordneten, die dann der Regierung noch mal deutlich Flagge zeigen könnten, die dürfen dann dem Parlament nicht mehr angehören. Ich fände es schon manchmal spannend, wenn man auch den Aspekt von Herrn Macron in der Öffentlichkeit manchmal etwas stärker beleuchten könnte.
    Plädoyer für Reformen anstatt Schulden
    Barenberg: Ziel dieses gemeinsamen Eurobudgets, Herr Caspary, soll ja sein – und das sagt ja auch der deutsche Finanzminister –, die Wettbewerbsfähigkeit und der Zusammenhalt in Europa sollen gestärkt werden. Jetzt ist ein Betrag von rund 20, 25 Milliarden zunächst einmal geplant – im Unterschied zu dem, was Frankreichs Präsident will. Da war von hunderten Milliarden ja die Rede. Was kann man jetzt mit 20 Milliarden Euro für die Eurozone anfangen, um die Wettbewerbsfähigkeit und den Zusammenhalt zu stärken?
    Caspary: Auch da der wesentliche Unterschied zwischen dem Ansatz von uns deutschen Christdemokraten und Herrn Macron. Ich habe oft den Eindruck, die Summen, die Herr Macron nennt, die sind vollkommen aus der Welt, und auch Frankreich könnte sich so was angesichts der Haushaltslage gar nicht leisten, sondern es geht doch im Kern darum: Wollen wir mit Milliarden-Summen Versäumnisse zukleistern, oder sagen wir, als allererstes steht mal der Mut zur Reform, der Mut zur Veränderung. Schauen Sie sich an, wie stark wurde Angela Merkel, wie stark wurden wir deutschen Christdemokraten vor zehn Jahren kritisiert, als die Wirtschafts- und Finanzkrise anfing und wir gesagt haben, es geht jetzt erst mal nicht darum, Eurobonds zu kreieren, Schulden zu machen, um Reformen voranzutreiben, sondern es geht darum, in den Ländern strukturelle Reformen zu machen. Und schauen Sie sich an, wie erfolgreich Spanien, Portugal, Irland heute dastehen. Wir haben heute innerhalb Europas 13 Millionen Arbeitsplätze mehr als zu Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise. Leider sprechen viel zu wenige darüber. Und wir haben das erreicht durch Reformen, durch Sparsamkeit, durch Investitionen an wenigen sinnvollen Plätzen und nicht dadurch, dass wir das Geldfüllhorn über Europa ausgeschüttet haben.
    Genau das ist auch der Punkt, wo wir als deutsche Christdemokraten gerne weitergehen würden. Europa lebt doch nicht davon, dass wir möglichst viele Geldmengen irgendwo in Europa umverteilen, sondern Europa lebt doch davon, dass möglichst diejenigen, die gerade schwächer aufgestellt sind, die noch Nachholbedarf haben, ihre Hausaufgaben machen, und genau da können wir schon über solche Summen massiv einsteigen, wenn es um die Frage geht, Investitionen in Bildung, Investitionen in Infrastruktur, Investitionen in Hochschulen, Investitionen in Forschung. Da brauchen wir nicht diese riesen Milliarden-Summen, sondern da brauchen wir erst mal beherztes Antreten vor Ort, beherzte Reformpolitik in den Mitgliedsstaaten, und dann kann Europa auch mit kleinen Summen sehr, sehr viel erreichen.
    "Für Reformen braucht man nicht unbedingt frisches Geld"
    Barenberg: Was bedeutet dann, Herr Caspary, der Satz im Koalitionsvertrag mit der SPD, dass die Koalition die EU finanziell stärken will? Und was bedeutet es, wenn Armin Laschet, der Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, Ihr Parteivize, sagt, wir dürfen da nicht immer so buchhalterisch herangehen, sondern wir müssen auch mal begeistert über Europa sprechen? – Sie klingen jetzt so, als wollten Sie eher was verhindern als was möglich machen.
    Caspary: Nein, ganz im Gegenteil, sondern wir wollen doch wirklich die Europäische Union weiter stärken. Wenn wir sehen, die Hausaufgaben, die auch drei Viertel der Deutschen von uns erwarten, nämlich mehr gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik, mehr gemeinsamen europäischen Außengrenzschutz mit Frontex, mehr grenzüberschreitende Forschungspolitik, mehr Zusammenarbeit im Bereich der Rüstungsentwicklung und der Rüstungsbeschaffung, eben auch die Frage, wie schaffen wir es, die benachteiligten Regionen voranzubringen, dann sind das alles Aufgaben, an die wir ran müssen. Dann ist aber als allererstes die Frage: Was kann man machen mit Geldern, die schon da sind?
    Nehmen Sie mal den jetzigen Haushalt. Wir haben rund 40 Milliarden Euro im Jahr in den europäischen Regional- und Strukturfonds. Damit kann man eine Menge machen. Aber die Frage ist doch, halten sich dort Länder an die Vorgaben, wird da investiert in Forschung wie Bildung, Investitionen und anderes, oder wird da nur das fünfte Schwimmbad in einer Gemeinde gebaut, das im Zweifel keiner braucht und nur riesen Folgekosten verursacht. Genauso müssen wir doch als allererstes uns mal überlegen, wie sieht intelligente Zukunftspolitik aus. Für Reformen als allererstes braucht man nicht unbedingt frisches Geld.
    Als zweites für die zusätzlichen Aufgaben, die ich genannt habe, brauchen wir dringend frisches Geld. Deswegen signalisiert ja auch die Bundesregierung, dass sie bereit ist, mehr zu machen. Und da sehen Sie übrigens wieder, dass auch das Narrativ nicht stimmt, dass ständig Herr Macron auf Deutschland wartet. Wir würden gerne, die deutsche Bundesregierung, den europäischen Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 jetzt noch vor der Europawahl festzurren. Es ist die französische Regierung, gemeinsam mit anderen, die den Haushalt erst nach der Europawahl verabschieden möchte. Deswegen: Wir sollten uns da nicht immer leiten lassen von großen Visionen, die manche Leute aufstellen, sondern Europa lebt davon, dass wir sparsam, aber zielgerichtet uns überlegen, was sind die europäischen Aufgaben.
    Ich habe schon den Vorschlag, für sinnvolle europäische Maßnahmen finden wir immer Geld. Wir haben es jetzt geschafft, für die europäische militärische Verteidigungszusammenarbeit PESCO rund eine Milliarde Euro freizubekommen. Wir haben es immer geschafft, wenn es um sinnvolle Struktur- oder Forschungsmaßnahmen ging, den einen oder anderen Euro zusätzlich zusammenzukratzen. Deswegen wünsche ich mir schon, dass die Bundesregierung das macht, was im Koalitionsvertrag drinsteht, nämlich für zusätzliche Aufgaben auch zusätzliches Geld, aber dass wir zum zweiten nicht mit dem Füllhorn übers Land gehen, sondern wir müssen da immer die Balance halten, und dafür stehen wir.
    Barenberg: Daniel Caspary, der Vorsitzende der Parlamentarier von CDU und CSU im Europäischen Parlament. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Caspary: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.