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Frankreichs Problemvorstädte
Der Präsident und die Banlieues

Mehr Krippenplätze, Arbeitsplatzförderung, Maßnahmen gegen Radikalisierung - und mehr Polizei. So sieht Präsident Macrons Aktionsplan für die französischen Vorstädte aus, in denen Armut und Arbeitslosigkeit vorherrschen. Viele Bürgermeister empfinden die Maßnahmen jedoch als Tropfen auf den heißen Stein.

Von Kerstin Gallmeyer | 22.11.2017
    Pariser Vorstadt Grigny
    Grigny, Vorort von Paris, ist eine der ärmsten Städte des Landes. Für Bürgermeister Philippe Rio greifen die geplanten Maßnahmen zu kurz. (MAXPPP)
    Frankreichs Präsident Macron ist extra nach Tourcoing gefahren, eine 95.000 Einwohnerstadt an der Grenze zu Belgien. Auch in Tourcoing gibt es die Probleme, die viele ärmere Stadtviertel und Vorstädte Frankreichs kennen: hohe Arbeitslosigkeit, Gewalt, Kriminalität, auch Drogenhandel.
    "Wir sehen es deutlich: Es gibt Gebiete in unserer Republik, wo sich auf eine gewisse Weise alle Schwierigkeiten vereinen."
    Betonte Macron in seiner Rede für mehr Chancengleichheit in Frankreichs sozialschwachen Vorstädten. Eine Rede, die von vielen seit Monaten erwartet wurde. Auch von Philippe Rio. Der Kommunist ist Bürgermeister von Grigny. Eine Stadt, südlich von Paris, in der fast 30.000 Menschen leben. Viele Junge, viele mit Wurzeln aus dem Maghreb oder Westafrika. Grigny gehört zu den ärmsten Städten des Landes.
    "50 Prozent der Schüler gehen ohne Abschluss von der Schule ab, Zweidrittel der Kinder leben unter der Armutsgrenze, die Lebenserwartung in Grigny ist niedriger als woanders, die Impfquote der Kinder geringer. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 40 Prozent in manchen Vierteln."
    Finanzielle Unterstützung vom Staat
    Philippe Rio, der Bürgermeister von Grigny hat deshalb ganz genau zugehört, als der Präsident vergangene Woche einen Aktionsplan für die Banlieue und die Problemviertel Frankreichs angekündigt hat: Macron versprach, noch mehr Grundschulklassen zu verkleinern und Schülern verstärkte Hilfe bei der Berufsorientierung zu geben. Zudem mehr Krippenplätze, eine bessere medizinische Versorgung der Bewohner, mehr Polizei und Maßnahmen gegen Radikalisierung, größere Mobilität und einen besseren Zugang zur Kultur.
    "Um bei diesen zwei Prioritäten erfolgreich zu sein - die Republik wiederherzustellen und die Emanzipation, die Mobilität der Menschen zu erreichen - wird der Staat zur Stelle sein mit finanzieller Unterstützung."
    Arbeitsplätze für Menschen aus sozial schwachen Vororten fördern
    Geld sollen auch Unternehmen bekommen, die Menschen aus sozial schwachen Vororten einen Job geben. 10.000 solcher Arbeitsplätze will Macron in den kommenden zwei Jahren testweise fördern, danach - bei Erfolg der Maßnahme - noch wesentlich mehr.
    "Ich will, dass sich das Gesicht unserer Viertel bis zum Ende meiner Amtszeit verändert hat."
    Bürgermeister kritisieren Maßnahmen
    Ob diese Maßnahmen, die Macron in seiner fast anderthalbstündigen Rede angekündigt hat, dafür ausreichen - daran hat Philippe Rio große Zweifel. Macron, dem seit Amtsantritt das Image eines Präsidenten für die Reichen anhaftet, habe, was die Probleme der Banlieue angeht, durchaus etwas verstanden, meint Rio. Trotzdem sind die bisherigen Ankündigungen für den Bürgermeister von Grigny aber eigentlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein:
    "Das sind kleine Maßnahmen. Es sind nicht 10.000 solcher Arbeitsplätze, die den jungen Menschen in unserem Land dazu verhelfen, Arbeit zu haben. 10.000 ist nicht viel. Vor allem, weil die Regierung gerade 200.000 staatlich subventionierte Jobs gestrichen hat. Wenn es so viele Schwierigkeiten gibt, dann sind nicht kleine Maßnahmen die Lösung."
    Gemeinsamer Appell an den Präsidenten
    Viele seiner Kollegen sehen das genauso. Erst im Oktober hatten sich rund 150 Bürgermeister anderer Problemstädte bei Philippe Rio in Grigny getroffen. Gemeinsam - über die Parteigrenzen hinweg - haben sie einen Appell an den Präsidenten gerichtet, etwas zu tun. Und zwar bald.
    "Wir können das schaffen", ist Rio optimistisch. "Aber wenn wir es nicht jetzt tun, wenn wir uns jetzt nicht um die Jugend kümmern, wird es in zehn Jahren noch schlimmer sein."