Es setzt einen unheilbaren Optimismus voraus - zu schreiben, zu leben übrigens auch." So spricht der Dichter, und um solchen Optimismus ringt sein Roman. Allen literarischen Quartetts dieser Welt zuwider, muß man doch hin und wieder daran erinnern: Romane tragen Tonfälle in die Welt und berichten nicht über ausgedachte Ereignisse. Warum sollten uns sonst die Buddenbrocks interessieren? Wer stammt schon aus Lübeck und hatte vor hundert Jahren Konsuln und Reeder in der Familie? Und warum sollten wir den Roman von François Weyergans lesen, der von Franz & FranVois, von Vater und Sohn, so herrlich detailliert erzählt? Wer hat schon einen katholischen Schriftsteller zum Vater und ist deshalb möglicherweise zum erotomanischen Romancier geworden?
Aber jetzt der Reihe nach - auch wenn wir dadurch so umständlich werden, wie der Roman nicht ist. François Weyergans ist ein französischer Schriftsteller, Jahrgang 1941, der in jungen Jahren als Filmemacher debütierte und bei einigen Filmen aus dem Umkreis der Nouvelle vague erfolgreich Regie führte. Späterhin aber zog er die Literatur vor und wurde in Frankreich ein bekannter Autor. Sein Vater mehrte tatsächlich unter dem Namen Franz Weyergans das christliche Schrifttum seiner Zeit und war ein bekannter Filmkritiker. Der letzte Roman seines Sohnes Franz + FranVois scheint fast dokumentarisch von dieser Vater-Sohn-Beziehung zu handeln. Allerdings gibt es auch einige Unstimmigkeiten. So hat FranVois im Alter von 30 Jahren keinen Roman und schon gar keinen Roman verwegen erotischen Inhalts geschrieben, dessen Erscheinen den Vater dann ins Grab gebracht hätte. Aus gutem Grund umgibt François Weyergans die Geschichte seines Lebens mit den Anrüchigkeiten des Romanesken:
"Es ist interessant über sein Leben zu arbeiten. Erst mal habe ich nur eines, meines, und das kenne ich am besten. Und ich arbeite damit wie ein Winzer mit seinen Reben (..) Ich habe überhaupt keine narzistische Lust, mein Leben zu erzählen, das hätte nur anekdotischen Wert. Ich nehme Elemente, die ich gelebt habe, und die arrangiere ich dann, ich korrigiere, ich karikiere, ich vergröbere ein wenig, damit es exemplarischer wird und andere interessiert. Nicht ein Sohn hat Franz + FranVois geschrieben, aber ein Romanschriftsteller."
Fünf Jahre bereits, so läßt uns der Erzähler wissen, brüte er über diesem Roman seines Sohnestums. FranVois wird dabei immer wunderlicher, wofür er allerdings alle Voraussetzungen mitbringt. Und auf der Suche nach den Gründen für seine gelinde gesagt chaotische Lebensform beginnt er das Buch. Zwar hat er die 50 überschritten, und drei Psychoanalysen haben nur vertiefte Kenntnisse über den symbolischen Dschungel der Seele hinterlassen, der Vater ist seit geraumer Zeit tot - doch endlich will er es wissen. Allein, da ist nichts zu wissen. Die Lebensgeschichte ist ein Roman, in dem man bis zur berühmten Halskrause steckt. Genau davon handelt der Roman, von der Tücke seines Objekts und vom slapstickhaften Ringen mit den Abgründen der eigenen Existenz. Wie Woody Allen, der bei allen seinen lebenstherapeutischen Versuchen sich nie heilt, sondern nur neurotisches Neuland erobert.
Man weiß ja nie, was man eigentlich von seiner Lebensgeschichte wissen will, die man sich selbst erzählt. Man weiß nicht mal, ob man sie verlassen oder zulassen will. So geht es jedenfalls François Weyergraf, wie der Erzähler im Roman heißt. Ihn plagen Gefühle - die üblichen: Liebe, Schuld, Angst und Wut. Er ist reichlich durcheinander. Geprägt vom Katholizismus seiner Jugend, von hehren Werten und Geboten, wird er unausweichlich und rastlos von der Sünde angezogen. Beide - die Demut vor den göttlichen Wahrheiten und die Eskapaden der Sünde - wirken vor den Zuspitzungen der funktionalen Gegenwart ürigens wie Reminizenzen aus fernen und harmloseren Zeiten. So ist es, wir sind schlecht ausgestattet für die Welt, die wir uns erschaffen haben.
"Fortsetzung des Evangeliums nach Franz: ‘Uns wird gelingen, was die Welt für unmöglich erklärt: keusch und treu zu sein.’ Das entsprach mir haargenau! Die Idee, treu und keusch zu sein, faszinierte mich. Tina und ich wären keusch, und ich bliebe ihr treu. Ich befriedigte mich nicht mehr bis zum Höhepunkt! Und ich ging seltener zu den Animiermädchen. Es war besser, Tina Geschenke zu machen, als mein Geld bei den Professionellen auszugeben. Dennoch hatte es meinerseits einen großen Forschritt dargestellt, zu den Animiermädchen zu gehen. Ein Theologe, den mein Vater respektierte, hatte geschrieben, daß es für einen jungen Mann besser sei, mit einer Prostituierten zu schlafen, als sich allein in einer Ecke der Masturbation hinzugeben. Wenigstens kommunizierte der junge Mann so mit jemandem anderen, wenn er mit einer Hure zusammen war, und beschränkte sich nicht egoistisch auf sich selbst."
François Weyergraf geht mit seinem Vater ins Gericht - im komisch stolpernden Zorn. Allerdings scheint er bis zuletzt nicht zu wissen, ob er an einer Anklageschrift arbeitet, an seiner eigenen Rechtfertigungsrede oder an einer Beziehungskiste. Er stößt nur auf doppeldeutige und zwiespältige Ereigisse und Personen. Sich selbst z. B.: Er hat die Tugendschleuder von Vater gleichermaßen glühend verehrt wie systematisch hintergangen und verraten. Als Filmemacher hat er den dringenden Wunsch seines Vaters entsprochen:
"Er hatte geschrieben: ‘Wir Söhne tun uns schwer, mit unseren Vätern zu reden. Wir Väter tun uns schwer, mit unseren Söhnen zu reden. Versuchen wir, diese beiden Verneinungen aufzuheben. Es ist notwendig, daß sich ein Dialog einstellt. Er wird jedoch nie so sein, wie wir ihn uns vorgestellt hatten.’ Welch ein Blick in die Zukunft! Er erwartete leider Gottes, unser Dialog wäre so, wie er ihn sich vorgestellt hat: Ein junger, christlicher Filmemacher verfilmt das Universum, zu dem sein Vater ihm den Schlüssel gegeben hatte."
Den Exerzitien des Gehorsams folgt natürlich der Aufstand der Sünde: François dreht nicht nur Filme, sondern veröffentlicht einen Roman, dessen Helden vorzugsweise "auf der Bananenschale der Obszönität ausrutschen", offensichtlich ein Affront gegen die väterliche Religion der Liebe und der Fortpflanzung, und pflichtschuldigst vergeht der Vater unter diesem Schlag. Doch im launischen Lebensroman des Sohnes schimmert noch eine ganz andere Version der Verhältnisse durch:
"Als der Sohn merkt, daß ihm die Bücher des Vaters nicht mehr gefallen, macht er zweierlei. Zunächst distanziert er sich von ihm. Indem er dann selbst Romane schreibt, will er es besser machen als sein Vater, jedoch in einem ganz naiven Sinn: als wollte er die Ehre des Vaters retten. Der Vater war ja ein sehr erfolgreicher katholischer Autor, zu einer Zeit, wo die katholische Literatur Konjunktur hatte, übrigens auch in Deutschland. (..) Aber diese Zeit ist vorbei, deshalb beschließt der Sohn einen erfolgreichen zeitgenössischen Roman zu schreiben, sozusagen in der Nachfolge seines Vaters."
So gesehen wäre der Verrat ein Akt der Liebe und die Blasphemie ein Zeichen von Ergebenheit gewesen. Welche Volten der Dialektik! Aber es kommt nicht auf die Schlußdiagnose an. Ein Roman ringt nicht um Lösung. Und, ehrlich gesagt, FranVois Weyergrafs neurotische Vaterbeziehung könnte uns gestohlen beleiben, wenn der Autor nur seine Familienangelegenheiten regeln wollte. Dieses anrührend persönliche und artistisch lakonische Buch interessiert aus einem anderen Grund: Es erzählt vom unruhigen Puls der Lebenstexte und hinterläßt den wunderbaren Klang ironischer Nähe.
Aber jetzt der Reihe nach - auch wenn wir dadurch so umständlich werden, wie der Roman nicht ist. François Weyergans ist ein französischer Schriftsteller, Jahrgang 1941, der in jungen Jahren als Filmemacher debütierte und bei einigen Filmen aus dem Umkreis der Nouvelle vague erfolgreich Regie führte. Späterhin aber zog er die Literatur vor und wurde in Frankreich ein bekannter Autor. Sein Vater mehrte tatsächlich unter dem Namen Franz Weyergans das christliche Schrifttum seiner Zeit und war ein bekannter Filmkritiker. Der letzte Roman seines Sohnes Franz + FranVois scheint fast dokumentarisch von dieser Vater-Sohn-Beziehung zu handeln. Allerdings gibt es auch einige Unstimmigkeiten. So hat FranVois im Alter von 30 Jahren keinen Roman und schon gar keinen Roman verwegen erotischen Inhalts geschrieben, dessen Erscheinen den Vater dann ins Grab gebracht hätte. Aus gutem Grund umgibt François Weyergans die Geschichte seines Lebens mit den Anrüchigkeiten des Romanesken:
"Es ist interessant über sein Leben zu arbeiten. Erst mal habe ich nur eines, meines, und das kenne ich am besten. Und ich arbeite damit wie ein Winzer mit seinen Reben (..) Ich habe überhaupt keine narzistische Lust, mein Leben zu erzählen, das hätte nur anekdotischen Wert. Ich nehme Elemente, die ich gelebt habe, und die arrangiere ich dann, ich korrigiere, ich karikiere, ich vergröbere ein wenig, damit es exemplarischer wird und andere interessiert. Nicht ein Sohn hat Franz + FranVois geschrieben, aber ein Romanschriftsteller."
Fünf Jahre bereits, so läßt uns der Erzähler wissen, brüte er über diesem Roman seines Sohnestums. FranVois wird dabei immer wunderlicher, wofür er allerdings alle Voraussetzungen mitbringt. Und auf der Suche nach den Gründen für seine gelinde gesagt chaotische Lebensform beginnt er das Buch. Zwar hat er die 50 überschritten, und drei Psychoanalysen haben nur vertiefte Kenntnisse über den symbolischen Dschungel der Seele hinterlassen, der Vater ist seit geraumer Zeit tot - doch endlich will er es wissen. Allein, da ist nichts zu wissen. Die Lebensgeschichte ist ein Roman, in dem man bis zur berühmten Halskrause steckt. Genau davon handelt der Roman, von der Tücke seines Objekts und vom slapstickhaften Ringen mit den Abgründen der eigenen Existenz. Wie Woody Allen, der bei allen seinen lebenstherapeutischen Versuchen sich nie heilt, sondern nur neurotisches Neuland erobert.
Man weiß ja nie, was man eigentlich von seiner Lebensgeschichte wissen will, die man sich selbst erzählt. Man weiß nicht mal, ob man sie verlassen oder zulassen will. So geht es jedenfalls François Weyergraf, wie der Erzähler im Roman heißt. Ihn plagen Gefühle - die üblichen: Liebe, Schuld, Angst und Wut. Er ist reichlich durcheinander. Geprägt vom Katholizismus seiner Jugend, von hehren Werten und Geboten, wird er unausweichlich und rastlos von der Sünde angezogen. Beide - die Demut vor den göttlichen Wahrheiten und die Eskapaden der Sünde - wirken vor den Zuspitzungen der funktionalen Gegenwart ürigens wie Reminizenzen aus fernen und harmloseren Zeiten. So ist es, wir sind schlecht ausgestattet für die Welt, die wir uns erschaffen haben.
"Fortsetzung des Evangeliums nach Franz: ‘Uns wird gelingen, was die Welt für unmöglich erklärt: keusch und treu zu sein.’ Das entsprach mir haargenau! Die Idee, treu und keusch zu sein, faszinierte mich. Tina und ich wären keusch, und ich bliebe ihr treu. Ich befriedigte mich nicht mehr bis zum Höhepunkt! Und ich ging seltener zu den Animiermädchen. Es war besser, Tina Geschenke zu machen, als mein Geld bei den Professionellen auszugeben. Dennoch hatte es meinerseits einen großen Forschritt dargestellt, zu den Animiermädchen zu gehen. Ein Theologe, den mein Vater respektierte, hatte geschrieben, daß es für einen jungen Mann besser sei, mit einer Prostituierten zu schlafen, als sich allein in einer Ecke der Masturbation hinzugeben. Wenigstens kommunizierte der junge Mann so mit jemandem anderen, wenn er mit einer Hure zusammen war, und beschränkte sich nicht egoistisch auf sich selbst."
François Weyergraf geht mit seinem Vater ins Gericht - im komisch stolpernden Zorn. Allerdings scheint er bis zuletzt nicht zu wissen, ob er an einer Anklageschrift arbeitet, an seiner eigenen Rechtfertigungsrede oder an einer Beziehungskiste. Er stößt nur auf doppeldeutige und zwiespältige Ereigisse und Personen. Sich selbst z. B.: Er hat die Tugendschleuder von Vater gleichermaßen glühend verehrt wie systematisch hintergangen und verraten. Als Filmemacher hat er den dringenden Wunsch seines Vaters entsprochen:
"Er hatte geschrieben: ‘Wir Söhne tun uns schwer, mit unseren Vätern zu reden. Wir Väter tun uns schwer, mit unseren Söhnen zu reden. Versuchen wir, diese beiden Verneinungen aufzuheben. Es ist notwendig, daß sich ein Dialog einstellt. Er wird jedoch nie so sein, wie wir ihn uns vorgestellt hatten.’ Welch ein Blick in die Zukunft! Er erwartete leider Gottes, unser Dialog wäre so, wie er ihn sich vorgestellt hat: Ein junger, christlicher Filmemacher verfilmt das Universum, zu dem sein Vater ihm den Schlüssel gegeben hatte."
Den Exerzitien des Gehorsams folgt natürlich der Aufstand der Sünde: François dreht nicht nur Filme, sondern veröffentlicht einen Roman, dessen Helden vorzugsweise "auf der Bananenschale der Obszönität ausrutschen", offensichtlich ein Affront gegen die väterliche Religion der Liebe und der Fortpflanzung, und pflichtschuldigst vergeht der Vater unter diesem Schlag. Doch im launischen Lebensroman des Sohnes schimmert noch eine ganz andere Version der Verhältnisse durch:
"Als der Sohn merkt, daß ihm die Bücher des Vaters nicht mehr gefallen, macht er zweierlei. Zunächst distanziert er sich von ihm. Indem er dann selbst Romane schreibt, will er es besser machen als sein Vater, jedoch in einem ganz naiven Sinn: als wollte er die Ehre des Vaters retten. Der Vater war ja ein sehr erfolgreicher katholischer Autor, zu einer Zeit, wo die katholische Literatur Konjunktur hatte, übrigens auch in Deutschland. (..) Aber diese Zeit ist vorbei, deshalb beschließt der Sohn einen erfolgreichen zeitgenössischen Roman zu schreiben, sozusagen in der Nachfolge seines Vaters."
So gesehen wäre der Verrat ein Akt der Liebe und die Blasphemie ein Zeichen von Ergebenheit gewesen. Welche Volten der Dialektik! Aber es kommt nicht auf die Schlußdiagnose an. Ein Roman ringt nicht um Lösung. Und, ehrlich gesagt, FranVois Weyergrafs neurotische Vaterbeziehung könnte uns gestohlen beleiben, wenn der Autor nur seine Familienangelegenheiten regeln wollte. Dieses anrührend persönliche und artistisch lakonische Buch interessiert aus einem anderen Grund: Es erzählt vom unruhigen Puls der Lebenstexte und hinterläßt den wunderbaren Klang ironischer Nähe.