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Franzose oder Rumäne?

Eugène Ionesco gilt als wohl bedeutendster französischer Dramatiker und als führender Vertreter des absurden Theaters. 100 Jahre wäre er nun geworden. Das ist Grund zum Feiern, auch in seinem Geburtsland Rumänien. Doch ist es zwischen rumänischen Theatern und Marie-France Ionesco, die die Autorenrechte ihres Vaters besitzt, zu Streitigkeiten gekommen.

Von Annett Müller |
    Dorina Lazăr lässt in ihrem Bukarester Odeon-Theater Eugène Ionesco aufführen, seit zwei Jahren. Die Intendantin hat die Inszenierung auch im Ausland zeigen wollen. Marie-France Ionesco jedoch, die die Autorenrechte besitzt, ließ das nicht zu. Intendantin Dorina Lazăr:

    "Ich will ihn spielen lassen, wir spielen ihn gut und wollen ihn, wo auch immer auf der Welt zeigen. Ein Autor, vor allem einer, der die Größe von Ionesco hat, ist universell. Er gehört niemandem in seiner Familie. Er gehört der Weltkultur und deshalb meine ich, Marie-France Ionesco hat nur eine weibliche Laune gezeigt."

    Nicht nur launisch, sogar starrköpfig haben in diesem Jahr schon einige rumänische Theatermacher die Ionesco-Tochter genannt. Denn sie verbot, dass die Stücke ihres Vaters unter dem Label des 100. Geburtstages vermarktet werden. In den vergangenen Jahren wurde Eugène Ionesco nur selten auf den Bühnen seines Geburtslandes gespielt. Der rumänische Regisseur Victor Ioan Frunză ist da eine Ausnahme. Er arbeitet für das Bukarester Komödientheater und inszeniert Ionesco schon seit Jahren.

    Victor Ioan Frunza: "Die Frage ist doch, bringen wir Ionesco auf die Bühne weil er ein großer Dramatiker war oder spielen wir ihn nur, weil gerade Ionesco-Jahr ist? Selbst das Puppentheater wollte ihn aufführen. Vermutlich wäre er sogar noch im Zirkus inszeniert worden, mit Giraffen. Das ist zu viel! Hier hatte die Tochter des berühmten Dramatikers sehr wohl das Recht, dagegen vorzugehen."

    Eugène Ionesco verbrachte, da die Mutter Französin, der Vater Rumäne war, Kindheit und Jugend in beiden Ländern. In Bukarest beschäftigte er sich mit der rumänischen Avantgarde, etwa mit dem Begründer des komischen Theaters, Ion Luca Caragiale. Ihn nannte er in seinem Tagebuch "den größten unbekannten Theaterautor, der das Unglück hatte in einer Sprache zu schreiben, die keine Ausstrahlung besaß: Rumänisch".

    Das sollte Eugène Ionesco nicht auch so gehen. Er setzte alles daran, um nach Paris zu kommen. Im Zweiten Weltkrieg war das ein Fluchtort für viele rumänische Intellektuelle, wie für den Historiker Neagu Djuvara. Der heute 93-Jährige, wieder in Bukarest lebt, kann sich an viele Treffen mit Eugène Ionesco erinnern:

    Neagu Djuvara: "Er blieb Rumänien verbunden, dem Land, in dem er erwachsen wurde, und das unbestritten sein Talent beeinflusst hat, ein Schriftsteller des Absurden zu werden. Ionesco ist also Teil einer kulturellen Bewegung, die in Rumänien entstanden ist, das ist eindeutig. Er hatte in Frankreich so viel Erfolg, weil er mit etwas völlig Neuen kam. Doch das hatte er von uns."

    Aus welchem Land stammen die größeren Einflüsse? Marie-France Ionesco ist bei dieser Frage kategorisch. Sie erklärt immer wieder, dass er ein französischer Autor sei, weil ihr Vater seine Theaterstücke in seiner Muttersprache, auf französisch also, geschrieben habe. Doch in seinem Geburtsland wird Eugène Ionesco posthum auch als rumänischer Autor gesehen. Als Intendantin Dorina Lazăr ihr das erklärte, erhielt sie von Marie-France Ionesco eine schroffe Antwort:

    "Sie sagte, sie habe es satt, dass ihrem Vater, das Rumänische wie ein Klotz am Bein hängt. Aber man sagt ja viel, wenn man verärgert ist. Nur weiß ich nicht, warum sie so unglücklich sein muss, dass sie rumänisches Blut in der Familie haben?"

    Überschwänglicher Patriotismus war ein Hauptthema von Eugène Ionesco. In seinen Stücken hat er gezeigt, zu welchen Absurditäten und Missverständnissen dieser führen kann. Der Regisseur Victor Ioan Frunză hat sich der aktuellen Diskussion enthalten. Er entschied vielmehr, eine Ionesco-Inszenierung auf nächstes Jahr zu verschieben, wenn andere rumänische Theater den berühmten Dramatiker vermutlich wieder aus dem Spielplan nehmen.

    Victor Ioan Frunza: "Mir ist aufgefallen, dass nur kleine Kulturen das Problem haben, permanent auf die Herkunft zu pochen. Doch wir entwickeln uns nicht, wenn wir nur zurückblicken, und in den Personalausweisen aller Schriftsteller wühlen, woher sie denn nun kamen. Wir sollten uns lieber fragen, ob wir ihre Werte teilen."