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Frau Holle mit Flügeln

Meteorologie. - Unter bestimmten Bedingungen verschwinden startende Flugzeuge nicht in Wolken sondern fräsen geradezu Löcher oder Kanäle hinein, aus denen es sogar schneien kann. Forscher haben das Phänomen jetzt näher untersucht und kommen zu dem Schluss: Es ist zwar selten, kann aber von Fall zu Fall den Niederschlag in der Nähe von Flughäfen erhöhen.

Von Volker Mrasek |
    Der Meteorologe Gregory Thompson erinnert sich an einen Fall in den USA, im Bundesstaat South Carolina. Da schien sich der Himmel gleich mehrfach zu öffnen. Wilde Spekulationen waren die Folge:

    "Es gibt ein Foto dazu im Internet. Da sind gleich drei Löcher nebeneinander zu sehen. Prompt wurden dubiose Theorien von UFOs und dergleichen aufgestellt. Man hat den Fall aber untersucht und festgestellt: Drei Militärjets schufen die Löcher, als sie in Formation durch eine Wolke flogen."

    Es gibt sie wirklich: Löcher im Himmel! Oder genauer: Löcher in Wolken. Manchmal sind es auch kilometerlange Kanäle. Sie kommen dann zustande, wenn Wassertröpfchen auf weiter Flur zu Eiskristallen gefrieren und dann förmlich als Schnee-Lawine aus den Wolken herausfallen. Zurückbleibt dann vorübergehend ein Loch oder Schlitz im Himmel. Auslöser für eine solche Schneelawine ist ein plötzlicher, starker Temperatursturz. Und den können Propellerflugzeuge und Düsenjets verursachen, wenn sie Wolken durchstoßen. Gregory Thompson vom Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung in den USA hat das Phänomen jetzt genauer untersucht, zusammen mit einigen Fachkollegen:

    "Wenn ein Flugzeug durch eine solche Wolke fliegt, kommt es zu einer Abkühlung – durch die Bewegung der Propeller beziehungsweise durch den Auftrieb der Tragflächen. Vor dem Propeller wird die Luft komprimiert, dahinter expandiert sie und kühlt sich deshalb stark ab. Ein Flügel erzeugt hohen Druck an seiner Unterseite und niedrigen an seiner Oberseite, so daß es auch hier zu einer Abkühlung der Luft kommt. Lokal kann die Temperatur dann so stark fallen, daß die Wolkentröpfchen gefrieren."

    In Bodennähe hat man meist reine Wasserwolken und am oberen Rand unserer Wetterschicht reine Eiszirren. Dazwischen aber existieren Mischformen. Selbst bei Minusgraden enthalten sie oft Wassertröpfchen, die nicht gefrieren, weil zu wenig Staubpartikel in der Luft sind, um die Kristallbildung zu starten. Man spricht in diesem Fall von unterkühltem Wasser. Es sind diese kalten und dennoch wasserhaltigen Wolken aus mittleren Höhen, in die Flugzeuge bisweilen Löcher schlagen. Thompson:

    "Wenn die Lufttemperatur in einer Wolke - sagen wir – minus 30 Grad beträgt und ein Flugzeug hindurchfliegt, kann sie schlagartig um weitere zehn Grad fallen. Dann sind wir bei minus 40 Grad Celsius. Das ist die Temperaturschwelle, bei der praktisch jeder Wassertropfen gefriert und zum Eiskristall wird."

    Thompson und seine Kollegen werteten Satellitenbilder aus, und sie simulierten die Entstehung der Wolkenlöcher im Computermodell. Ihr Fazit: In der Umgebung großer Flughäfen wie Frankfurt oder Paris könnten die vielen Starts und Landungen dazu führen, daß es häufiger regnet oder schneit. Geeignete atmosphärische Bedingungen herrschen demnach für bis zu anderthalb Stunden am Tag, vor allem in der kalten Jahreszeit. Wobei es regionale Unterschiede gibt. Thompson:

    "In kälteren Klimazonen sind die Bedingungen besser. Wolkenlöcher treten sicher über Skandinavien häufiger auf als am Mittelmeer. Ich würde wetten, daß man sie auch in Deutschland hat. Jedenfalls eher in der Nordhälfte Europas als zum Beispiel in Spanien, wo die Bewölkung gering und die Temperaturen zu hoch sind. Wobei ich betonen möchte: Es handelt sich hier um einen Effekt, der nicht so häufig auftritt und auch nicht so groß ist. Wenn, dann sind es höchstens ein paar Kilometer, über denen es Flugzeuge regnen oder schneien lassen."

    Im Prinzip sind die Wolkenlöcher und -schlitze oft groß genug, um sie vom Boden aus sehen zu können. Warum es dennoch so gut wie nie klappt, hat laut Thompson einen ganz simplen Grund: Es sind einfach zu viele intakte Wolken in der Atmosphäre. Und die verstellen fast immer den Blick auf die Löcher, die am Himmel dann und wann klaffen.