Freitag, 19. April 2024

Archiv

Frauen im Vatikan
Kapitulation mit Kampfansage

Die Redakteurinnen der Frauenzeitschrift "Donne Chiesa Mondo" haben geschlossen ihre Kündigung eingereicht. Sie kritisieren männliche Kontrolle und Eingriffe in ihre journalistische Freiheit. Und es geht ums Grundsätzliche: "Die Kirche gibt Frauen keinen Platz", sagt Chefautorin Lucetta Scaraffia.

Von Thomas Migge | 28.03.2019
Die Journalistin Lucetta Scaraffia hält eine Ausgabe der vatikanischen Frauenzeitschrift "Donne Chiesa Mondo" in der Hand
Nach der Kündigung der Redakteurinnen ist der "Osservatore Romano" wieder ein Männerblatt. (picture-alliance / dpa / abaca / Eric Vandeville)
"Als wir einen neuen Direktor bekommen haben, begann es mit den Problemen unsere Arbeit zu organisieren. Unsere Freiheit, unsere Kreativität, die wir vorher immer hatten, wurde plötzlich eingeschränkt". Lucetta Scaraffia nimmt auch in diesem Fall kein Blatt vor den Mund. Sie ist Historikerin an der Universität Rom und eine bekannte katholische Feministin. Dass sie und ihre Mitarbeiterinnen beim Frauenmagazin des "Osservatore Romano" gekündigt haben, sei dem Kurs des neuen Direktors zu verdanken:
"Die Situation war die zweier verschiedener Seelen in einem Körper. Zwei Seelen, die nichts miteinander zu tun hatten. Und so haben wir uns entschieden, unsere Arbeit zu beenden. Nach sieben Jahren Erfahrung mit dieser Zeitung."
Eine Feministin, ein Coup
Im Jahr 2012 erweiterte die offizielle Zeitung des Heiligen Stuhls, der "Osservatore Romano", sein Angebot um eine monatliche Frauenbeilage. Seit 2016 erscheint "Donne Chiesa Mondo", also "Frauen Kirche Welt", als Monatsmagazin. Den Ton gab keine gehorsame Ordensfrau an, sondern eine Kämpferin. Lucetta Scaraffia hatte sich bereits einen Namen gemacht als besonders kritische Katholikin, und sparte auch nicht mit kritischen Bemerkungen zum Pontifikat von Benedikt XVI. Doch konnte sich der damalige Chefredakteur der Tageszeitung "Osservatore Romano" mit seiner Idee, Scaraffia zur Chefin der neuen Beilage zu machen, durchsetzen. Scaraffia hatte vorher regelmäßig für das Papstblatt geschrieben, aber auch für die weltlichen Printmedien "Il Foglio" und "Corriere della sera". Eine bekannte Feder, die sich entschieden für Gleichberechtigung innerhalb der katholischen Kirche stark machte. Dass ausgerechnet der "Osservatore" sie engagierte, galt 2012 als Coup.
Sollte es das Kalkül gegeben haben, die Publizistin durch Einbindung in die vatikanische Medienarbeit milde zu stimmen, so ist das nicht aufgegangen. Vor einigen Wochen sagte Lucetta Scaraffia bei einer Podiumsdiskussion in einer Kirche am römischen Stadtrand:
"Die Kirche gibt Frauen keinen Platz. Schauen Sie sich doch nur die aktuelle Kirche an, ich meine die Kirchenzentrale, den Vatikan: Da sind nur Männer in den leitenden Positionen. Sicher, es arbeiten im Vatikan auch viele Frauen, aber nur in untergeordneter Position. In gehobenen Positionen, wo die Zukunft der Kirche diskutiert und entschieden wird, finden wir keine Frauen. Und das angesichts einer Realität, in der zwei Drittel aller Ordensleute Frauen sind!".
Die Kritiker hielten sich zunächst zurück
Dass Scaraffia mit diesen und vielen anderen Äußerungen vielen Männern in leitenden Vatikanpositionen ein Dorn im Auge war, den es zu entfernen galt, war Kurien-Insidern lange bekannt. Schon die Nominierung der intellektuellen Femministin war für konservative Bischöfe und Kardinäle eine Provokation. Doch zunächst hielten sich diese Kritiker zurück. Die ersten Jahre des Pontifikats von Franziskus waren eine Zeit des Aufbruchs. Scaraffia und mit ihr viele kritische Frauen hofften, dass sich mit dem neuen Papst einiges ändern werde.
Doch sie wurden enttäuscht.
Überall im Vatikan, in den Dikasterien, wie die Ministerien genannt werden, und auch in den Medien machten sich zunehmend Kritiker und auch Gegner eines Reformkurses breit. Und so verwundert es Vatikanbeobachter nicht, dass nach den spektakulären Rücktritten von Laien, die als Opfer priesterlichen Missbrauchs in vatikanischen Kommissionen zur Aufarbeitung dieser Verbrechen mitgearbeitet hatten, jetzt auch die Frauen des "Osservatore Romano" ihre Arbeit hinwerfen. Ähnlich wie die Missbrauchsbetroffenen ihre Entscheidung mit dem Verweis auf starke Widerstände gegen eine aufrichtige Aufarbeitung begründeten, so sprechen auch Scaraffia und ihre Mitarbeiterinnen von Widerständen, von Druck und Einschüchterung durch vatikanische Systembewahrer.
Die Februarausgabe des Frauenmagazins soll das Fass zum Überlaufen gebracht haben, vor allem der Themenschwerpunkt: der sexuelle Missbrauch von Ordensfrauen durch Priester. Darüber hatten zwar weltweit verschiedene Medien berichtet. Dass aber nun ein vatikanisches Medium das Thema aufgriff, erregte eine besonders hohe Aufmerksamkeit.
Tabuthema missbrauchte Ordensfrauen
Die Journalistinnen seien dafür heftig im Vatikan kritisiert worden, und ihnen sei in Aussicht gestellt worden, dass ihre Arbeit zukünftig einer Kontrolle unterliegen werde, sagt Scaraffia.
"Während der Missbrauch von Kindern innerhalb der Kirche offiziell verboten ist, wird der Missbrauch an Ordensfrauen immer wieder fatal interpretiert. Immer noch ist die Rede davon, dass diese Frauen Mitschuld am Missbrauch hätten, weil sie zu provokativ seien. Immer noch heißt es, dass Ordensfrauen den Verführungen durch Geistliche einverständnismäßig nachgeben würden."
Das Frauenmagazin des "Osservatore" zeigte durch seine Recherchen, dass in den meisten Fällen das behauptete Einverständnis nicht gegeben war. Vor allem nicht in Frauenklöstern in Afrika und Asien, in denen Hunderte von Nonnen Opfer männlicher Gewalt werden.
Lucetta Scaraffia: "Veronique Margron, französische Ordensfrau und Femministin, hat dazu aufgerufen, innerhalb der Kirche endlich die Täter beim Namen zu nennen und anzuzeigen. Seit kurzem entstehen in ganz Frankreich Gruppen von Nonnen, die ihre Erfahrungen teilen und öffentlich machen wollen. Es ist überall das gleiche. Wo sich Frauen in untergeordneten Positionen befinden, werden sie zu einer Art Freiwild für die sie dominierenden Männer."
Während die katholische Kirche, so Scaraffia, versuche, mehr oder weniger überzeugend, reinen Tisch in Sachen Kindesmissbrauch zu machen, versuche sie die sexualisierte Gewalt gegen Ordensfrauen unter den Teppich zu kehren.
Seit Dezember vergangenen Jahres ist Andrea Monda Chefredakteur des "Osservatore Romano". Immer öfter, so Scaraffia, sei ihre Redaktion darauf hingewiesen worden, bestimmte kritische Themen nicht aufzugreifen. Andrea Monda wies die Vorwürfe der Journalistinnen in einer Erklärung nach dem Eklat zurück. In den Monaten seit seinem Dienstantritt habe er Scaraffia und den Redakteurinnen "die gleiche totale Autonomie und die gleiche totale Freiheit" gewährt, die das Magazin seit seiner Gründung gehabt habe.
Und der Papst? Ihn haben Scaraffia und ihre Kolleginnen schon vor Wochen angeschrieben. Eine Antwort steht noch aus.