Gerhard Besier und Gerhard Lindemann haben ihre Geschichte der USA am Prinzip Freiheit orientiert. Liberty and freedom machen in der Tat einen, wenn nicht den zentralen Bestandteil der amerikanischen Selbstdeutung und Identität aus. Die Prägung amerikanischer Geschichte, Politik und Kultur, auch die der Erinnerungspolitik und Erinnerungskultur der Amerikaner, ihrer Rituale und ihrer historischen Gedenkstätten durch die Dreieinigkeit von Gott, Vaterland und Freiheit haben nicht nur Profanhistoriker, sondern auch und gerade Theologen immer wieder zur "großen Erzählung" gereizt, die die Freiheit in den Mittelpunkt rückt.
Der Ehrgeiz der Autoren geht aber noch weiter. Sie wollen nicht nur im Rankeschen Sinne erzählen, wie es eigentlich gewesen ist, sondern auch in systematischer und normativer Hinsicht dem Leser vor Augen führen, dass die freiheitliche Verfasstheit der USA und ihre Fähigkeit zur Selbstkorrektur zwar nicht die beste aller möglichen freiheitlichen Welten verkörpert, aber immerhin eine der besten ist, die wir in der Menschheitsgeschichte je hatten. Das sagen sie zwar nicht so, aber das kann aus den beiden Schlusskapiteln unschwer geschlossen werden, in denen die Sehnsucht auch dieser beiden Autoren nach der Einheit von Sein und Sollen, von Theorie und Praxis durchschimmert. Alle Namen, die in der philosophischen Diskussion über Freiheit gut und teuer sind, tauchen hier im Rahmen einer Selbstverständigung über den Begriff der Freiheit auf. Das Buch ist also auch ein antitotalitäres Manifest und versteht sich als Beitrag zu einer in Deutschland in der Tat unterentwickelten Freiheitsforschung.
Im Hauptteil des Buches dagegen gehen die Autoren methodisch wie professionelle Historiker vor: Sie analysieren die Ausprägungen und Inhaltswandlungen der gelebten und verhinderten Freiheiten sowie der sich wandelnden Freiheitsvorstellungen der Amerikaner in den letzten vier Jahrhunderten: Was, so fragen sie, verstanden die Kolonisten, die gegen England rebellierenden Patrioten, die Verfassungsgeber vom 1787, die das Land erobernden Siedler, was die Sklavenhalter und was die Gegner der Sklaverei unter Freiheit.
Welchen Begriff von "liberty and freedom" hatten die Parteien des Bürgerkrieges, die Amerikaner im Zeitalter von Imperialismus und Rassismus, welchen die Präsidenten von Woodrow Wilson, der angetreten war, die Welt für die Demokratie sicherer zu machen, bis hin zum Ideologen und Überzeugungstäter George W. Bush, der die Welt mit der Utopie einer unilateralen Pax Americana konfrontiert und zutiefst verstört?
Wie ist die besondere Verschmelzung von Christentum und Aufklärung entstanden, von Christentum und freiheitlicher Mission, die die besondere Zivilreligion Amerikas hervorgebracht hat, jene unverwechselbare Mischung aus christlichem Republikanismus und demokratischem Glauben? Warum sind Freiheit und Eigentum, liberty and property, im amerikanischen Freiheitsverständnis immer zwei Seiten derselben Freiheitsmedaille?
Wie funktionieren die Mechanismen der Selbstkorrektur des politischen Systems der USA, wenn Präsidenten und die Exekutiven in Zeiten von Kriegen und Krisen versuchen, im Namen der Sicherheit die bürgerlichen Grundfreiheiten einzuschränken oder gar außer Kraft zu setzen? In allen großen, innen- und außenpolitischen Krisen und Kriegen seit dem Unabhängigkeitskrieg, so erfahren wir auch in diesem Buch, stieg das patriotische Fieber an, erhöhten sich Konformitätsdruck, die Versuchung zur Hexenjagd und zur Gefährdung bürgerlicher Grundfreiheiten. Dem Zyklus von Exzess und Reue scheint auch die Regierung Bush unterworfen zu sein. Denn wie jeder weiß, wird die Kritik an den Exzessen der Regierung Bush nach dem 11. September jetzt auch in den USA immer stärker. Bush, Cheney und Rumsfeld stehen unter Druck.
Ein weiterer essentieller Aspekt der amerikanischen Geschichte, nämlich die Wandlungen des Verhältnisses von Religion, Gesellschaft und Staat, hat die beiden Theologen natürlich besonders fasziniert. Seit der Verfassung von 1789 gibt es die Problematik von Religion und Freiheit bekanntlich in zweierlei Gestalt. Einerseits ist in der Verfassung die Religionsfreiheit und die strikte Trennung von Staat und Kirche verankert; andererseits gibt es für die große Mehrheit der Amerikaner seit der Gründung der Union die selbstverständliche Vereinnahmung eines unspezifischen Gottesbegriffes durch die amerikanische Zivilreligion, durch die freiheitliche Mission, durch die Mission der Freiheit eines von Gott auserwählten Volkes.
George W. Bush, so wird auch in diesem Buch klar, steht mit seinem tief sitzenden Manichäismus in einer amerikanischen Tradition, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Ihre Kraft gewinnt diese Sendungsidee der Freiheit eben erst dadurch, dass Bush nicht allein den innerweltlich begründeten Fortschritt zu immer mehr Freiheit vorantreiben will, sondern diesen Fortschritt auch im Namen Gottes verkündet. Erst diese Verbindung macht die Idee der Freiheit zu einer zivilreligiösen Mission, macht Bush zu einem Freiheitskrieger im Namen Gottes oder Gotteskrieger im Namen der Freiheit.
Dieses Buch gibt Christen und Nichtchristen, Agnostikern und Atheisten gleichermaßen viel Stoff zum Nachdenken über das Problem der politischen Theologie, das ja auch in anderen Erdteilen immer brisanter wird.
Auch ein weiterer zentraler Aspekt des amerikanischen Freiheitsverständnisses, das im transatlantischen Verhältnis für Zündstoff sorgt und, nebenbei gesagt, auch das eigentliche Thema des letzten Bundeswahlkampfes in Deutschland war, taucht in seinen historischen und systematischen Dimensionen im Buch der beiden Autoren immer wieder auf: das Verhältnis von Staat und Markt.
Was soll vom Staat geregelt werden, was soll dem Markt überlassen werden, um das zu erreichen, was alle Politiker in allen Demokratien immer wieder versprechen müssen, nämlich das größte Glück der größten Zahl zu befördern? Auch in diesem Fall sind die USA ein instruktives Beispiel und Laboratorium. Zwar begann der Bundesstaat und die Regierung in Washington nach der großen Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 im Zeichen des New Deal massiv damit, regulierend und ordnend in Gesellschaft und Wirtschaft einzugreifen. Dennoch zieht sich bis zu dem Versuch von George W. Bush, sogar einen Teil der sozialen Sicherungssysteme zu privatisieren, das alte vorstaatliche Freiheitsverständnis wie ein roter Faden durch die amerikanische Geschichte, und nach diesem Verständnis ist die beste Regierung keine Regierung.
Bei solchem Bezugssystem wird auch die Kritik vieler Amerikaner an der Angst, der Miesepetrigkeit, der mangelnden Eigeninitiative, der Staatsgläubigkeit und der Passivität vieler Deutscher klar, die alles Heil vom Staat und der Gemeinschaft der Steuerzahler erwarten.
Last but not least werden die Leser dieses Buches an einige Grundtatsachen der Welt im 20. Jahrhundert erinnert, die die amerika-kritischen Europäer der Gegenwart gern aus der Erinnerung verdrängen. Die Amerikaner haben, und das prägt ihre eigene Sicht auf die Geschichte, Europas Freiheit gerettet, die Alte Welt im Ersten Weltkrieg, im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Weltkrieg von den Übeln des Wilhelminismus, Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus befreit.
An dem Untergang der europäischen Kolonialreiche oder expansiver Imperien in Europa waren sie direkt oder indirekt beteiligt. Der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums wird von vielen Strategen als Endpunkt einer weltgeschichtlichen Entwicklung angesehen, die mit der Zerschlagung des Habsburger und Osmanischen Reichs begann, mit der Zerschlagung des Dritten Reiches und des italienischen Kolonialreiches fortgeführt wurde und die mit der für Großbritannien und Frankreich so schmerzlichen Auflösung ihrer Kolonialreiche endete. Auch die Niederlande, Spanien und Portugal trennten sich alsbald von den Resten ihrer Imperien.
Man darf die These wagen: Nur weil die klassischen europäischen Nationen - mit kräftiger amerikanischer Unterstützung - auf ihre Kernländer zurückgestutzt wurden, waren die Europäer überhaupt fähig, das Projekt der Europäischen Union in Westeuropa zu beginnen und seit 1990/91 nach Mitteleuropa, Osteuropa und Südosteuropa voranzutreiben. Der ewige Kampf der europäischen Nationen um Einfluss, Status und Prestige spielt sich nun mit friedlichen Mitteln innerhalb der Europäischen Union ab.
Insgesamt haben Gerhard Besier und Gerhard Lindemann für die Leser im deutschsprachigen Raum ein anregendes, zum Nachdenken zwingendes Buch vorgelegt.
Gerhard Besier/Gerhard Lindemann: Im Namen der Freiheit.
Die amerikanische Mission
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006.
415 Seiten
39,90 Euro
Der Ehrgeiz der Autoren geht aber noch weiter. Sie wollen nicht nur im Rankeschen Sinne erzählen, wie es eigentlich gewesen ist, sondern auch in systematischer und normativer Hinsicht dem Leser vor Augen führen, dass die freiheitliche Verfasstheit der USA und ihre Fähigkeit zur Selbstkorrektur zwar nicht die beste aller möglichen freiheitlichen Welten verkörpert, aber immerhin eine der besten ist, die wir in der Menschheitsgeschichte je hatten. Das sagen sie zwar nicht so, aber das kann aus den beiden Schlusskapiteln unschwer geschlossen werden, in denen die Sehnsucht auch dieser beiden Autoren nach der Einheit von Sein und Sollen, von Theorie und Praxis durchschimmert. Alle Namen, die in der philosophischen Diskussion über Freiheit gut und teuer sind, tauchen hier im Rahmen einer Selbstverständigung über den Begriff der Freiheit auf. Das Buch ist also auch ein antitotalitäres Manifest und versteht sich als Beitrag zu einer in Deutschland in der Tat unterentwickelten Freiheitsforschung.
Im Hauptteil des Buches dagegen gehen die Autoren methodisch wie professionelle Historiker vor: Sie analysieren die Ausprägungen und Inhaltswandlungen der gelebten und verhinderten Freiheiten sowie der sich wandelnden Freiheitsvorstellungen der Amerikaner in den letzten vier Jahrhunderten: Was, so fragen sie, verstanden die Kolonisten, die gegen England rebellierenden Patrioten, die Verfassungsgeber vom 1787, die das Land erobernden Siedler, was die Sklavenhalter und was die Gegner der Sklaverei unter Freiheit.
Welchen Begriff von "liberty and freedom" hatten die Parteien des Bürgerkrieges, die Amerikaner im Zeitalter von Imperialismus und Rassismus, welchen die Präsidenten von Woodrow Wilson, der angetreten war, die Welt für die Demokratie sicherer zu machen, bis hin zum Ideologen und Überzeugungstäter George W. Bush, der die Welt mit der Utopie einer unilateralen Pax Americana konfrontiert und zutiefst verstört?
Wie ist die besondere Verschmelzung von Christentum und Aufklärung entstanden, von Christentum und freiheitlicher Mission, die die besondere Zivilreligion Amerikas hervorgebracht hat, jene unverwechselbare Mischung aus christlichem Republikanismus und demokratischem Glauben? Warum sind Freiheit und Eigentum, liberty and property, im amerikanischen Freiheitsverständnis immer zwei Seiten derselben Freiheitsmedaille?
Wie funktionieren die Mechanismen der Selbstkorrektur des politischen Systems der USA, wenn Präsidenten und die Exekutiven in Zeiten von Kriegen und Krisen versuchen, im Namen der Sicherheit die bürgerlichen Grundfreiheiten einzuschränken oder gar außer Kraft zu setzen? In allen großen, innen- und außenpolitischen Krisen und Kriegen seit dem Unabhängigkeitskrieg, so erfahren wir auch in diesem Buch, stieg das patriotische Fieber an, erhöhten sich Konformitätsdruck, die Versuchung zur Hexenjagd und zur Gefährdung bürgerlicher Grundfreiheiten. Dem Zyklus von Exzess und Reue scheint auch die Regierung Bush unterworfen zu sein. Denn wie jeder weiß, wird die Kritik an den Exzessen der Regierung Bush nach dem 11. September jetzt auch in den USA immer stärker. Bush, Cheney und Rumsfeld stehen unter Druck.
Ein weiterer essentieller Aspekt der amerikanischen Geschichte, nämlich die Wandlungen des Verhältnisses von Religion, Gesellschaft und Staat, hat die beiden Theologen natürlich besonders fasziniert. Seit der Verfassung von 1789 gibt es die Problematik von Religion und Freiheit bekanntlich in zweierlei Gestalt. Einerseits ist in der Verfassung die Religionsfreiheit und die strikte Trennung von Staat und Kirche verankert; andererseits gibt es für die große Mehrheit der Amerikaner seit der Gründung der Union die selbstverständliche Vereinnahmung eines unspezifischen Gottesbegriffes durch die amerikanische Zivilreligion, durch die freiheitliche Mission, durch die Mission der Freiheit eines von Gott auserwählten Volkes.
George W. Bush, so wird auch in diesem Buch klar, steht mit seinem tief sitzenden Manichäismus in einer amerikanischen Tradition, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Ihre Kraft gewinnt diese Sendungsidee der Freiheit eben erst dadurch, dass Bush nicht allein den innerweltlich begründeten Fortschritt zu immer mehr Freiheit vorantreiben will, sondern diesen Fortschritt auch im Namen Gottes verkündet. Erst diese Verbindung macht die Idee der Freiheit zu einer zivilreligiösen Mission, macht Bush zu einem Freiheitskrieger im Namen Gottes oder Gotteskrieger im Namen der Freiheit.
Dieses Buch gibt Christen und Nichtchristen, Agnostikern und Atheisten gleichermaßen viel Stoff zum Nachdenken über das Problem der politischen Theologie, das ja auch in anderen Erdteilen immer brisanter wird.
Auch ein weiterer zentraler Aspekt des amerikanischen Freiheitsverständnisses, das im transatlantischen Verhältnis für Zündstoff sorgt und, nebenbei gesagt, auch das eigentliche Thema des letzten Bundeswahlkampfes in Deutschland war, taucht in seinen historischen und systematischen Dimensionen im Buch der beiden Autoren immer wieder auf: das Verhältnis von Staat und Markt.
Was soll vom Staat geregelt werden, was soll dem Markt überlassen werden, um das zu erreichen, was alle Politiker in allen Demokratien immer wieder versprechen müssen, nämlich das größte Glück der größten Zahl zu befördern? Auch in diesem Fall sind die USA ein instruktives Beispiel und Laboratorium. Zwar begann der Bundesstaat und die Regierung in Washington nach der großen Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 im Zeichen des New Deal massiv damit, regulierend und ordnend in Gesellschaft und Wirtschaft einzugreifen. Dennoch zieht sich bis zu dem Versuch von George W. Bush, sogar einen Teil der sozialen Sicherungssysteme zu privatisieren, das alte vorstaatliche Freiheitsverständnis wie ein roter Faden durch die amerikanische Geschichte, und nach diesem Verständnis ist die beste Regierung keine Regierung.
Bei solchem Bezugssystem wird auch die Kritik vieler Amerikaner an der Angst, der Miesepetrigkeit, der mangelnden Eigeninitiative, der Staatsgläubigkeit und der Passivität vieler Deutscher klar, die alles Heil vom Staat und der Gemeinschaft der Steuerzahler erwarten.
Last but not least werden die Leser dieses Buches an einige Grundtatsachen der Welt im 20. Jahrhundert erinnert, die die amerika-kritischen Europäer der Gegenwart gern aus der Erinnerung verdrängen. Die Amerikaner haben, und das prägt ihre eigene Sicht auf die Geschichte, Europas Freiheit gerettet, die Alte Welt im Ersten Weltkrieg, im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Weltkrieg von den Übeln des Wilhelminismus, Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus befreit.
An dem Untergang der europäischen Kolonialreiche oder expansiver Imperien in Europa waren sie direkt oder indirekt beteiligt. Der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums wird von vielen Strategen als Endpunkt einer weltgeschichtlichen Entwicklung angesehen, die mit der Zerschlagung des Habsburger und Osmanischen Reichs begann, mit der Zerschlagung des Dritten Reiches und des italienischen Kolonialreiches fortgeführt wurde und die mit der für Großbritannien und Frankreich so schmerzlichen Auflösung ihrer Kolonialreiche endete. Auch die Niederlande, Spanien und Portugal trennten sich alsbald von den Resten ihrer Imperien.
Man darf die These wagen: Nur weil die klassischen europäischen Nationen - mit kräftiger amerikanischer Unterstützung - auf ihre Kernländer zurückgestutzt wurden, waren die Europäer überhaupt fähig, das Projekt der Europäischen Union in Westeuropa zu beginnen und seit 1990/91 nach Mitteleuropa, Osteuropa und Südosteuropa voranzutreiben. Der ewige Kampf der europäischen Nationen um Einfluss, Status und Prestige spielt sich nun mit friedlichen Mitteln innerhalb der Europäischen Union ab.
Insgesamt haben Gerhard Besier und Gerhard Lindemann für die Leser im deutschsprachigen Raum ein anregendes, zum Nachdenken zwingendes Buch vorgelegt.
Gerhard Besier/Gerhard Lindemann: Im Namen der Freiheit.
Die amerikanische Mission
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006.
415 Seiten
39,90 Euro