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Freiwillige Auflösung wegen Finanzdebakel

Im Landkreis Nordsachsen ist die Finanzlage so desaströs, dass Politiker über eine Selbstauflösung des Kreises nachdenken. Nordsachsen könnte dann gemeinsam mit drei anderen Kreisen einen neuen Großkreis bilden.

Von Alexandra Gerlach |
    Je weiter man sich vom Speckgürtel rund um Leipzig entfernt, umso ländlicher wird die Gegend. Die Dörfer sind klein, manche unscheinbar. Sichtlich hat die Investitionsfreude der Wirtschaftsunternehmen in der Nachwendezeit hier keinen Schwerpunkt gefunden. Das ist nun in Cent und Euro spürbar.

    Mit einiger Sorge schaut Angelika Reichelt von der Landesdirektion Leipzig auf die Finanzlage im Landkreis Nordsachsen. Dort fehlen aktuell rund 25 Millionen Euro, das sind mehr als zehn Prozent des Gesamtetats. Der Schuldenstand beträgt ohnehin schon 106 Millionen Euro, Tendenz steigend. Eine derartige Finanzklemme hatte die leitende Regierungsdirektorin eigentlich erst für das kommende Jahr erwartet:

    "Die Prognosen mittelfristig sehen ja für alle Landkreise und kreisfreien Städte durch die Steuereinnahmerückgänge weitere Zuweisungseinbrüche vor, auf die man sich einstellen muss und wo auch Initiativen ergriffen werden müssen, um damit umzugehen."

    Der im Dezember 2009 beschlossene Haushaltsplan ist nicht genehmigt worden. Es muss gespart werden - wo, ist noch offen. CDU-Landrat Michael Czupalla will offensiv mit dem Thema umgehen. Seit August 2008, dem Inkrafttreten der jüngsten Kreisreform in Sachsen, steht er, der seit 20 Jahren Landrat ist, an der Spitze dieses neuen Großkreises Nordsachsen. Aus zwei strukturschwachen Kreisen zusammengefügt, waren die Ausgangsbedingungen für das neue Kreisgebiet von Anfang schwierig. Ein flächiger, sehr ländlicher Kreis, aus dem viele Einwohner nach der Wende weggezogen sind. Um von A nach B zu kommen, muss man weite Wege über zuckelige Landstraßen in Kauf nehmen. Gleich mehrere Faktoren hätten in die Finanzmisere geführt, erklärt Landrat Czupalla. Eine Ursache sei, dass der Freistaat Sachsen künftig wesentlich weniger Geld aus seinen Steuereinnahmen an den Kreis Nordsachsen abgeben wird. Hinzu kommt:

    "Das Ansteigen der sozialen Leistungen, auch in einer Größenordnung, die überhaupt nicht mehr in den Griff zu bekommen ist und dann haben wir aus der Vergangenheit noch einen gewissen Betrag mit übernommen, wo der Landkreis sich verpflichtet hat, mit Kreistagsbeschluss, in den nächsten Jahren diese Differenz abzubauen."

    Mit "gewissem Betrag" sind die Altlasten gemeint, weil der Kreis die beinahe pleite gegangenen Sparkasse Torgau-Oschatz übernehmen musste, deren einstiges Territorium heute auch zum Kreis Nordsachsen gehört. Mehr als 20 Millionen Euro müssen binnen drei Jahren abgestottert werden. Der Landrat weiß inzwischen, was die aktuelle Haushaltsentwicklung mittel- und langfristig für seinen Kreis bedeuten wird:

    "Wir bekommen eine Situation, die andere auch bekommen werden, aber ich spreche jetzt nur von mir, dass die Einnahmen nicht mehr die Ausnahmen decken. Und sehen uns jetzt in der Situation, genau zu prüfen, wie wir über ein Konsolidierungsprogramm die Finanzen überhaupt noch in den Griff bekommen, ganz klare Aussage. Das können wir heute schon sagen, das werden wir aus eigener Kraft nicht schaffen - und da werde ich auch nicht nachgeben."

    Eine Haushaltssperre lässt nur noch die Finanzierung von Pflichtaufgaben im Landkreis zu. Das sind die Kosten für Hartz IV und andere Sozialleistungen, die immerhin 50 Prozent des Etats verschlingen, außerdem Kosten für Personal, öffentliche Gebäude, Schulen und Versorgungs- sowie Entsorgungsaufgaben. Ein Gutachten soll nun klären, wo noch gespart werden kann. Regierungsdirektorin Angelika Reichelt:

    "Trotzdem muss der Landkreis alles dazu tun, auch eigene Anstrengungen zu unternehmen, um entsprechende Haushaltseinspareffekte und Konsolidierungseffekte zu erreichen."

    Der Informatik- und Geschichtslehrer Heiko Wittig, der zugleich Fraktionschef von SPD und Grünen im Kreistag Nordsachsen ist, hat derweil schon weiter gedacht. Einsparpotenziale gebe es zwar, nicht jedoch in der erforderlichen Höhe, wenn man das Tafelsilber nicht verkaufen wolle, sagt der SPD-Politiker. Er will den Kreis Nordsachsen auflösen und mit dem benachbarten Landkreis Leipziger Land fusionieren.

    "Ein Landkreis Nordsachsen ist finanziell nicht überlebensfähig. Das hat etwas mit der Struktur zu tun, die es hier gibt, und die SPD-Fraktion hat sich massiv für einen Großkreis eingesetzt, vor zwei Jahren, und wir bleiben auf diesem Kurs. Im übrigen haben auch die Kreistage Torgau-Oschatz und Muldental einstimmig vor zwei Jahren für den Großkreis gestimmt. Ich betone einstimmig, mit CDU-Stimmen."
    Dem Wunsch, einen neuen Großkreis aus vier alten Kreisen rund um Leipzig zu bilden, wurde damals nicht entsprochen. Das Haupt-Gegenargument war die Größe eines solchen Verwaltungsgebildes. Eine Haltung die CDU-Landrat Michael Czupalla teilt. Von einer weiteren Fusion hält er nichts:

    "Ach das ist, ich will nicht sagen Unsinn, aber das steht gar nicht zur Diskussion. Wenn wir noch irgendwie Kommunalpolitik gestalten wollen, dann brauchen wir auch Kontakt zu den Leuten, zu den Vereinen, zu den Menschen."
    Doch ganz so klar ist die Gemengelage im Kreistag offenbar nicht. Von den 80 Sitzen hat die CDU nur 32. Heiko Wittig, SPD- und Grünenfraktionschef wittert Morgenluft und baut auf wechselnde Mehrheiten und darauf, dass er auch von anderen Parteien Zustimmung für seinen Vorschlag, den Kreis Nordsachsen aufzulösen, erhält.

    "Und wenn zum Beispiel die FDP mit fünf Leuten und auch die Freien Wähler uns unterstützen mit diesem Vorschlag, dann wird es natürlich interessant, wenn man so einen Vorschlag in den Kreistag einbringt."

    Spätestens im Juni, wenn klar ist, wie der Haushalt saniert werden soll, soll es soweit sein. Wittig setzt auf die Kraft des Faktischen. Gar nicht begeistert zeigt man sich indessen in der Landesdirektion Leipzig von Wittigs Idee eines neuen Großkreises aus dem finanziell maroden Nordsachsen und dem gleichfalls schwachen Leipziger Land. Regierungsdirektorin Reichelt schüttelt den Kopf:

    "Ich denke, dass das nicht der richtige Zeitpunkt ist, jetzt über eine erneute Kreisgebietsreform zu diskutieren. Ich bin der Auffassung, dass die neu gebildeten Kreise sich jetzt konstituieren müssen und auch konsolidieren müssen."

    Heiko Wittig jedoch will mehr. Der SPD-Kommunalpolitiker denkt bereits grenzübergreifend und träumt von einem neuen Bundesland Mitteldeutschland, bestehend aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

    "Wir brauchen dringend ein Mitteldeutschland, dringender denn je. Also wenn man hier nicht darüber nachdenkt, endlich ein Mitteldeutschland in Angriff zu nehmen, dann ist das unverantwortlich gegenüber zukünftigen Generationen."