"Mit Glück und weil ich will, schlafe ich in der Bretagne heute Nacht. Der Schatten eines Fußwegs, der sich schlängelt. Wunderschön zur Mittagszeit am Rand des Feldes," singt Gilles Servat in seinem Lied "Je dors en Bretagne". Ja und es stimmt, die Landschaft hier an der Küste der Bretagne ist wunderschön. Die kleine Straße von St. Malo nach Cancale verläuft parallel zu der steilen bretonischen Küste. Der Geruch des Meeres weht herüber. Stromkabel durchschneiden den blauen Himmel. Durch satte, grüne Wiesen schlängelt sich die Straße an kleinen Steinhäusern vorbei. Plötzlich öffnet sich links der Blick auf das türkise Meer, wo eine große Felsinsel aus dem Wasser ragt. Eine alte, herrschaftliche Villa ist oben drauf gebaut. Die Straße führt weiter rund um eine Seezunge, die ins Meer ragt. "Pointe du Grouin" auf Deutsch, Schweinerüssel wird dieses Spitze genannt und in der Tat hat die Form des Kaps große Ähnlichkeit mit der Nase eines Schweins.
Am oberen Ende des Kaps ist ein, von den deutschen Besatzern gebauter Bunker, der Teil des Atlantikwalls war. Heute dient er als Aussichtsplattform von der die "Íle des Landes" zu sehen ist, die vor dem Kap liegt. Wie der lange, scharfzackige Rücken eines Reptils ragt das Felsenband aus dem Wasser. Da diese Landzunge nie bewohnt war, haben sich hier zahlreiche
Vogelarten angesiedelt. Kormorane, Brandgänse, unzählige Möwenarten und natürlich der Austernfischer, sind hier zu Hause. Durch Fernrohre, die kostenlos zu Verfügung stehen, kann man die Vogelwelt beobachten. Vom Pointe du Grouin führt die Küstenstraße weiter nach Cancale.
Eine Allee führt in die Ort direkt auf einen Kreisel zu. La Ville Haute, auf Deutsch "oben gelegen" heißt dieser Teil Cancals. Die enge Rue Gal Leclerc geht links ab zum Place de la République, wo im Zentrum die große, 120 Jahre alte, neugotische Kirche "Saint Méen" steht. Davor zieren kleine Bäume den Platz. Ein Brunnen mit den Figuren von zwei Austernwäscherinnen plätschert leise vor sich hin. Denn hier in Cancale dreht sich schon seit Jahrhunderten alles um die Auster.
Die Häuser um den Platz herum sind ganz unterschiedlich. Manche sind aus alten Natursteinen, teilweise noch aus dem 18. Jahrhundert. Andere sind in zartem Beige,
Gelb oder Hellblau gestrichen und um die Fenster herum mit anderen Farben abgesetzt. Kleine Geschäfte und Cafes, mit bunten Markisen sind in den Häusern untergebracht. Links führt die enge Rue du Port über den Place de Viktorie in die Dugesclin. Hier liegt das drei Sterne Restaurant "Bricourt" von dem berühmten Starkoch Olivier Roellinger. Ein Weg aus alten, großen Steinplatten, zwischen denen grünes Gras wächst, führt durch den Garten zu der alten, verschnörkelten Eingangstür aus Holz. Die große Villa aus dem Jahre1760 ist aus grauem Stein gebaut. Ab dem ersten Stock schmücken blaue Kacheln die Wand. Hier in diesem, alten Gemäuer hat Olivier Roellinger seine Kindheit verbracht. Aus den oberen Stockwerken reicht der Blick weit über die Bucht Mont-Saint-Michel. Und er sagte einmal:
"Seit meiner Kindheit habe ich sie beobachtet, gewaltig und unbedeckt, eine endlose Ausdehnung von Himmel und Meer. Es ist die Bucht vom Mont-Saint-Michel, einen der magischsten Orte der Welt. In der Vergangenheit sind lange Prozessionen von Pilgern ihren Weg entlang der Küste gegangen. Wie eine seichte Flut schleppten sie das Gewicht ihrer Sünden dort hin, um glückselige Vergebung zu finden. Das Wunder der Gnade auf dem Gipfel. So intensiv ist hier der Dialog zwischen Mond und Sonne, dass er die gewaltigsten Gezeiten der Erde hervorbringt. Ebbe und Flut sind wie das ursprüngliche Ein- und Ausatmen des Universums."
Olivier Roellinger erhielt 2006 den dritten Michelin-Stern für sein Restaurant "Bricourt". Auch sein Stil ist geprägt von der Umgebung. Eine Meeres -, Gemüse - und Kräuterküche im Geiste des 16. und 17. Jahrhunderts, wie er sagt. Dazu gehören natürlich auch die berühmten Flachaustern von Cancale. Der Speiseraum des Restaurants ist hell gestrichen. Zehn runde Tische stehen darin, auf denen weiße, gestärkte Tischdecken liegen. Die große Fensterfront gibt den Blick auf den wild bewachsenen Garten mit einem Teich frei. Neben dem Restaurant "Bricourt" besitzt Olivier Roellinger in Cancale noch ein Hotel, einen Gewürzladen und eine Konditorei mit einem kleinen Cafe.
Die kleine Konditorei "Grain de Vanille" liegt in der Nähe des Restaurants "Bricourt" an dem kleinen Platz de Viktorie, mit seinen grauen Steinhäusern. Hinter der Eingangstür aus Glas ist der längliche Verkaufsraum. Ein süßer Geruch zieht durch das Geschäft. Rechts stehen zwei alte Vitrinen aus dunklem Holz mit einem Glasaufbau. Viele, kleine, bunte Törtchen sind in der Auslage arrangiert. Hinter der Theke steht Frau Gaultier, die das Geschäft mit ihrem Mann betreibt. Die zierliche, dunkelhaarige Frau zeigt auf die Backwaren.
"Wir produzieren alles Mögliche, was hier angeboten wird, selbst. Das sind Merengen auf der Basis von Mandelpulver und Puderzucker. Wir backen die kleinen Waffeln, Karamell-Creme, Karamell-Bonbons. Auch die Cremschnittchen aus Blätterteig. Das ist hier der Verkaufsschlager."
Zwischen den Vitrinen ist ein Tisch auf dem Waage und Kasse stehen. In den Regalen dahinter an der Wand liegen viele unterschiedliche Brote, die nach alten, traditionellen Rezepten, zum Teil im Holzofen, gebacken werden. Geradeaus geht der Raum über in die Backstube. Zwei Öfen stehen in der hinteren Ecke. In der Mitte ist ein großer Arbeitstisch, an dem Herr Gaultier gerade eine Rolle aus Teig formt. Er ist etwa 1,90 cm groß, trägt eine karierte Bäckerhose und eine weiße Jacke dazu.
"Seit Februar 2001 haben wir geöffnet. Die Idee war es, eine unkonventionelle Konditorei zu eröffnen, Wir machen hier alle Süßwaren für das Haus "Bricourt". Unsere Kunden sind gemischt. Es kommen die Leute aus Cancale, aber auch Kunden aus Sankt Malo und Dinar."
In dem, mit hellem Holz vertäfelten Cafe-Raum stehen fünf schlichte, braune Tische. Kein Tisch ist besetzt, bei diesem sonnigen Wetter. An der Wand ist ein Regal mit Büchern, meist über die Region, in denen die Gäste zum Cafe o lé lesen können.
Vom Place de Viktorie führt die Rue du Port hinunter in das Hafenviertel "La Houle", auf Deutsch "Die See". Die enge Straße mit den kleinen Steinhäusern geht Berg ab. Nach einer Kurve öffnet sich der Blick auf das Meer, das sich gerade zurück zieht und das dunkle Watt frei gibt. Einige Fischerboote liegen schon im Trockenen. Die Hafenpromenade, Quai Gambetta, säumen wieder die unterschiedlichsten Häuser. Manche sind hell gestrichen, andere noch aus alten Steinen gebaut. In fast allen sind Restaurants, mit bunten Markisen, von deren Terrassen man hinüber zum Meer schaut. Links hinunter geht es weiter zum Quai Thomas. Am Leuchtturm vorbei, führt die Straße direkt am Hafen entlang zum Austern-Markt.
Die acht Marktstände haben blau weiß gestreifte Stoffdächer, die von der Sonne ausgebleicht sind. Überall stehen Körbe, gefüllt mit Austern. Dunkelgrüne Algen sind darüber gelegt, um sie frisch zu halten. Eine der Marktfrauen bietet aus zehn flachen Körben die verschiedenen Austersorten an. Sie ist etwa vierzig Jahre alt, hat kurzes Haar und trägt Jeans und eine blaue Jacke dazu. Gelbe Schilder sind an den Körben angebracht, auf denen Sorte und Preis steht.
Wer möchte, kann die frischen Austern gleich hier am Markt schlürfen. Immer ein Dutzend werden auf weißen Austerntellern angerichtet. In die Mitte kommt eine halbe Zitrone. Die Preise für zwölf Austern sind von 1,55 bis 16 Euro. Hinter dem Markt ist ein etwa einen Kilometer langer Strand. Hier sitzen die Besucher auf einer langen Treppe und schlürfen genussvoll ihre Austern. Dort sitzt jetzt auch Bertile Rogois. Sie hat schwarze, lockige Haare und ist 28 Jahre alt. In der Schule hat sie Deutsch gelernt und zwei Jahre in Hamburg verbracht. Auf ihren Knien hat sie einen Teller mit zwölf frischen Austern.
"Ich bin aus der Bretagne. Ich komme in die Ecke gern. Die Austern hier sind sehr bekannt. Sie werden hier gezüchtet. Ich wollte mal wieder probieren. Ich habe eine Sorte gekauft. Das nennt man die lange Auster von Cancale. Man kann die hier direkt essen vor das Meer. Das ist genial. Da mache ich jetzt eine auf und guck mir das an. Ein bisschen grau grün. Und das Meerwasser. Ich mag das auch mit Zitrone. Ein paar Tropfen. Das macht Geschmack da rein.
Und ich schneide das hier. Und ich schlürf die. Das ist natürlich komisches Geräusch. Aber das gehört dazu. Die sind salzig. Nicht so süß. Es gibt andere Sorten die sind nicht so bitter. Ich mag die so frisch. So direkt vom Meer. Die haben noch die ganze Saft von Meer da drin."
Die Austern-Schalen werfen die Besucher einfach an den Strand. Tausende knirschen unter den Schuhen. An der kleinen Kaimauer sitzt der etwa 40-jährige Patrik Potdevin. Auch er hat einen Teller Austern vor sich stehen.
"Dafür habe ich 1,55 Euro gezahlt und mit der Zitrone macht das 1,75 Euro.
Die Austern sind sehr gut. Sie sind hier schön frisch, sehr salzig. Sie zählen zur Nummer zwei in der Größe. Ich esse sie gerne Morgens. Das ist gut für die Gesundheit."
Eine kleine Straße mit Kaimauer, geht neben dem Markt direkt hinunter ins Watt. Ein roter Traktor mit großem Anhänger kommt angefahren. Darauf liegen die sogenannten Austerntaschen gestapelt. Das sind eckige, verschlossene, etwa ein Meter lange und ca. 20 cm dicke Metallkörbe, gefüllt mit Austern.
Unten im Watt stehen überall Metallgestelle, die Austerntische heißen. Der Traktor hält neben einem dieser Gestelle. Drei Arbeiter springen vom Anhänger. Über ihren blauen Overalls tragen sie Gummistiefel, die bis zum Oberschenkel reichen. Sie laden die Metallkörbe ab und stapeln sie auf den Austerntischen. Kleine Krebse krabbeln aufgeregt auf dem Anhänger herum. In dieser Anlage werden die Austern nicht gezüchtet, sondern nur gelagert. Im Meerwasser halten sie sich am besten. Einer der größten Austern-Zuchtbetriebe von Cancale befindet sich etwa zwei Kilometer südlich des Ortes.
Eine lange Holztreppe führt durch einen Wald den Abhang hinunter zum Austern-Betrieb Ferme Marine. Um den großen, gepflasterten Hof sind drei Hallen gebaut. Geradeaus ist eine alte Steinmauer. Dahinter geht es steil zum Meer hinunter. Hier im Ferme Marine werden nicht nur Austern gezüchtet, sondern auch zweimal am Tag Führungen angeboten, in denen man alles über die Austernzucht erfährt.
"Es gibt in und bei Cancale 50 Austernzüchter. Die meisten sind noch Familienbetriebe. Und die züchten zwei Austernsorten. Die Flachaustern und die Felsenauster. Man produziert jährlich 140.000 Tonnen Felsenaustern und 2000 Tonnen Flachaustern."
Cecil Leblay ist eine dunkelhaarige, zierliche Frau. Sie trägt eine helle Stoffhose, dazu ein schwarzes Shirt. Ihre dunklen Haare hat sie zu einem Zopf zusammen gebunden. Einige Jahre hat sie in Deutschland verbracht und über die Auster weiß sie einfach alles.
"Die Vermehrungszeit der Austern ist im Juli und August, wenn das Wasser wirklich warm genug ist. Wenn sie geboren sind, die Larven, bewegen sie sich bis drei Wochen ins Wasser und fallen dann auf den Meeresboden. Man soll als Austernzüchter Träger direkt auf den Meeresboden legen, um diese Larven aufzufangen. Sobald sie sich fixieren fangen sie an eine Schale zu erzeugen. Und sind so dann schon Austernbabys. Und wenn sie neun Monate alt sind, werden die Träger von Meer genommen und die Austern von den Trägern gelöst. Die Austerbabys werden dann in die Taschen rein gesteckt oder direkt auf dem Boden gesät."
Die kleinen Felsenaustern kommen in die Austerntaschen. Draußen, auf dem Meeres-Boden befinden sich die Austerntische auf denen sie dann wachsen. Diese Anlagen heißen Austernparks. Drei Jahre brauchen sie dort bis zur Ernte. Und die ist nur zwei Mal im Monat möglich. Denn nur dann sind diese Parks mit den Traktoren erreichbar. Frau Leblay steht an der Steinmauer und zeigt mit der Hand zum Meer hinaus.
"Diese Felsenausternparks befinden sich drei bis sechs Kilometer vor der Küste. Die sind mit Traktoren erreichbar. Die Austernzüchter arbeiten im Rhythmus der Gezeiten. Die sind besonders stark hier im Ärmelkanal. Der Tidenhub kann hier 15 Meter erreichen. Im März und September kann das Wasser bis zu zehn Kilometer weg von der Küste fließen. Alle zwei Wochen, entweder bei Voll- oder Neumond haben wir stärkere Gezeiten, weil zu dieser Zeit Mond, Sonne und Erde auf einer Linie stehen. Diese werden Springflut genannt. Nur dann, bei Ebbe, kann man die Austern ernten, da die Felsenparks frei liegen."
Die zweite Sorte, die Flachauster, die hier produziert wird, ist etwas schwieriger zu züchten.
Dafür sind Bassins draußen auf dem Meeresboden, wo die Austern hinein kommen und wachsen.
"Die Flachausternparks befinden sich sieben Kilometer vor der Küste und bleiben immer unter Wasser. Auch wenn die Gezeiten ganz stark sind. Die sind nie mit Traktoren erreichbar und werden mit einem Amphibienfahrzeug geerntet. Die Flachen werden direkt auf dem Boden im Tiefwasser gezüchtet. Sie bleiben bis vier Jahre um reif zu sein."
Rechts im Hof steht eine Maschine, mit zwei großen Trichtern, in der die Austern gewaschen werden. Herr Roger (Roschee) ist etwa sechzig Jahre alt und trägt Gummistiefel und Schürze. Aus flachen Plastikkörben schüttet er Austern von oben die Trichter hinein. Durch Bewegung werden die Austern gewaschen. Danach wird das Wasser abgelassen und fließt in einen Abfluss.
"Die Austern werden mit Meerwasser zweimal gewaschen. Das erste mal wenn sie in dem Betrieb ankommen. Und das zweite Mal gleich vor der Verpackung."
Links neben dem Austernwaschplatz ist eine kleinere Halle. Hier werden die Austern sortiert. Die Sortieranlage ist etwa zehn Meter lang, steht auf einem Gestell mit Rädern und ist aus hellem Metall. Nur ein kleiner, grauer Monitor verrät die eingebaute Kamera, die nicht zu sehen ist. Zwölf Schütten sind am Ende der Anlage, durch die dann die Austern sortiert heraus fallen. Die Maschine wirkt ein bisschen wie in einem Since-Fiktion-Film aus den 60jger Jahren.
"Nach dem Waschen gehen die Austern dann auf ein Fließband und kommen Stück für Stück unter eine Art Videokamera, werden gefilmt und nachher per Computer je nach der Länge und nach dem Durchmesser aussortiert. Es gibt fünf Größen für die Felsenaustern. Nummer eins ist die Größte und Nummer fünf dann die Kleinste. Die beliebtesten Größen in Frankreich sind Nummer zwei und drei. Die nicht zu groß und nicht zu klein sind. Also die mittleren Größen. Und da die Franzosen die Austern roh essen passt das einfach besser."
In der dritten, der größten Halle im Betrieb, sind links zwei etwa zehn Meter lange Wasserbecken. Durch den Sauerstoff der dem Becken zugeführt führt wird, blubbert das Wasser vor sich hin und bildet weiße Schaumkronen. Metallschlaufen mit gelben Schildern ragen heraus. Über den Becken sind Schienen an der Decke angebracht, an denen
ein Kransystem per Knopfdruck bedient werden kann. Eine etwa fünfzig jährige Frau, in Gummischürze und Stiefeln lässt den Hacken der Kran-Anlage herunter fahren und in eine der Metallschlaufen greifen. Eine Palette mit zwanzig, flachen Plastikkörben, gefüllt mit Austern wird aus dem Wasserbecken gehoben und zum Rand bewegt.
"Nach der Aussortierung kommen die Austern in diese zwei Becken. Die können dann bis zwei Wochen hier bleiben. Die Austern kommen von den Austernparks immer mit ein bisschen Schlamm drin. Und das muss weg. Es dauert zwei oder drei Tage bis sie sauber werden."
Rechts, in der Halle ist ein langes Fließband, dass jedoch nicht in Bewegung ist. Davor steht ein langer Tisch auf dem die flachen Körbe, gefüllt mit Austern stehen. Drei Frauen, alle etwa Mitte Fünfzig, in Gummischürzen und Handschuhen stehen am Band. Sie greifen in die Körbe und holen jeweils zwei Austern heraus, die sie gegeneinander schlagen.
"Das ist jetzt die letzte Etappe. Man soll die Austern hier Stück für Stück kontrollieren, um sicher zu sein, dass sie noch genug Wasser drinnen haben. Und deswegen werden zwei genommen und gegeneinander geklopft. Um zu hören wie es klingt. Wenn es hohl klingt, es bedeutet, dass eine Auster schon Wasser verloren hat, obwohl sie noch zu ist. Das heißt dass irgendwo ein Loch in der Schale ist. Würde man eine verletzte Auster verpacken würde die Auster das Wasser verlieren und im Korb sterben."
Eine tote Auster ist einfach zu erkennen. Denn sie ist geöffnet. Austern überleben außerhalb des Wassers dadurch, dass sie geschlossen bleiben, um im Inneren das Meerwasser zu halten.
"Die guten Austern werden mit der Unterklappe nach unten verpackt, um das Wasser so lang wie möglich zu behalten. Man kann einen Korb Austern bis zehn Tage behalten. Aber nur wenn sie gekühlt werden. Zwischen 3 und 8 Grad. Unten im Kühlschrank ist gut."
In ein Körbchen werden zwölf Austern verpackt. Und so werden sie in die Restaurants und Geschäfte geliefert. Die Austern von Cancale werden in die ganze Welt verschickt.
Aber in den kleinen Restaurants hier direkt am Hafen, schmecken sie noch am besten.
Acht Tische sind auf der Terrasse des Restaurants "L´abri Gotier" besetzt. Durch einen Zeltvorbau sind die Gäste vor Wind und Regen geschützt. Auf fast allen Tischen stehen große Platten mit Krebsen, Austern und anderen Meerestieren darauf. Deutsche sind hier keine. Der Speiseraum innen ist länglich und zehn Tische stehen darin. An den hellbeige gestrichenen Wänden hängen Fischernetze und Bilder von Fischerbooten. Geradeaus steht Severine Jolier an der Theke. Sie trägt einen schwarzen Rock und eine weiße Bluse und arbeitet seit drei Jahren hier. Ihr langes, braunes Haar hat sie zu einem Knoten gebunden.
"Unsere Spezialitäten sind Fischgerichte, Couscous und Fischsuppen.
Alle Fische, die wir hier anbieten kommen aus den Häfen von Sankt Malo und Cancale.
Es gibt Muscheln aus dem Hafen hier. Das ist eine typische Spezialität.
Die Leute kommen nach Cancale, wegen des Meeres, den Fischen und Meeresfrüchten.
Weil es hier einfach frischer ist, als in Paris."
Die Hafenpromenade ist am späteren Abend von den Straßenlaternen in oranges Licht getaucht. Die Restaurants schließen ihre Türen. Nur noch wenige Fenster sind in den Häusern erleuchtet. Ein leichter Sommerregen hat eingesetzt. In seinem Lied singt Gilles Servat: "Die Regenschauer der Nachsaison verschleiern die Aussicht auf den Hafen. Eine Sirene, die widerhallt verkündet die Traurigkeit des Herbstes ".
Die Flut hat das Wasser zurückgebracht und die Fischerboote schaukeln vor sich hin. Die Austernparks sind nicht mehr zu sehen. Und jetzt in der Stille, kann man sich nicht mehr vorstellen, wie die Arbeiter geschäftig mit ihren Traktoren im Watt herum fahren. Draußen im Meer erhebt sich ein großer, schwarzer Felsen. In der Dunkelheit sieht er aus, wie ein Drache, der gerade ein Bad nimmt. Ja es stimmt, was Olivier Roellinger sagt:
"Die Bucht vom Mont-Sant-Michel ist einer der magischsten Orte der Welt."
Am oberen Ende des Kaps ist ein, von den deutschen Besatzern gebauter Bunker, der Teil des Atlantikwalls war. Heute dient er als Aussichtsplattform von der die "Íle des Landes" zu sehen ist, die vor dem Kap liegt. Wie der lange, scharfzackige Rücken eines Reptils ragt das Felsenband aus dem Wasser. Da diese Landzunge nie bewohnt war, haben sich hier zahlreiche
Vogelarten angesiedelt. Kormorane, Brandgänse, unzählige Möwenarten und natürlich der Austernfischer, sind hier zu Hause. Durch Fernrohre, die kostenlos zu Verfügung stehen, kann man die Vogelwelt beobachten. Vom Pointe du Grouin führt die Küstenstraße weiter nach Cancale.
Eine Allee führt in die Ort direkt auf einen Kreisel zu. La Ville Haute, auf Deutsch "oben gelegen" heißt dieser Teil Cancals. Die enge Rue Gal Leclerc geht links ab zum Place de la République, wo im Zentrum die große, 120 Jahre alte, neugotische Kirche "Saint Méen" steht. Davor zieren kleine Bäume den Platz. Ein Brunnen mit den Figuren von zwei Austernwäscherinnen plätschert leise vor sich hin. Denn hier in Cancale dreht sich schon seit Jahrhunderten alles um die Auster.
Die Häuser um den Platz herum sind ganz unterschiedlich. Manche sind aus alten Natursteinen, teilweise noch aus dem 18. Jahrhundert. Andere sind in zartem Beige,
Gelb oder Hellblau gestrichen und um die Fenster herum mit anderen Farben abgesetzt. Kleine Geschäfte und Cafes, mit bunten Markisen sind in den Häusern untergebracht. Links führt die enge Rue du Port über den Place de Viktorie in die Dugesclin. Hier liegt das drei Sterne Restaurant "Bricourt" von dem berühmten Starkoch Olivier Roellinger. Ein Weg aus alten, großen Steinplatten, zwischen denen grünes Gras wächst, führt durch den Garten zu der alten, verschnörkelten Eingangstür aus Holz. Die große Villa aus dem Jahre1760 ist aus grauem Stein gebaut. Ab dem ersten Stock schmücken blaue Kacheln die Wand. Hier in diesem, alten Gemäuer hat Olivier Roellinger seine Kindheit verbracht. Aus den oberen Stockwerken reicht der Blick weit über die Bucht Mont-Saint-Michel. Und er sagte einmal:
"Seit meiner Kindheit habe ich sie beobachtet, gewaltig und unbedeckt, eine endlose Ausdehnung von Himmel und Meer. Es ist die Bucht vom Mont-Saint-Michel, einen der magischsten Orte der Welt. In der Vergangenheit sind lange Prozessionen von Pilgern ihren Weg entlang der Küste gegangen. Wie eine seichte Flut schleppten sie das Gewicht ihrer Sünden dort hin, um glückselige Vergebung zu finden. Das Wunder der Gnade auf dem Gipfel. So intensiv ist hier der Dialog zwischen Mond und Sonne, dass er die gewaltigsten Gezeiten der Erde hervorbringt. Ebbe und Flut sind wie das ursprüngliche Ein- und Ausatmen des Universums."
Olivier Roellinger erhielt 2006 den dritten Michelin-Stern für sein Restaurant "Bricourt". Auch sein Stil ist geprägt von der Umgebung. Eine Meeres -, Gemüse - und Kräuterküche im Geiste des 16. und 17. Jahrhunderts, wie er sagt. Dazu gehören natürlich auch die berühmten Flachaustern von Cancale. Der Speiseraum des Restaurants ist hell gestrichen. Zehn runde Tische stehen darin, auf denen weiße, gestärkte Tischdecken liegen. Die große Fensterfront gibt den Blick auf den wild bewachsenen Garten mit einem Teich frei. Neben dem Restaurant "Bricourt" besitzt Olivier Roellinger in Cancale noch ein Hotel, einen Gewürzladen und eine Konditorei mit einem kleinen Cafe.
Die kleine Konditorei "Grain de Vanille" liegt in der Nähe des Restaurants "Bricourt" an dem kleinen Platz de Viktorie, mit seinen grauen Steinhäusern. Hinter der Eingangstür aus Glas ist der längliche Verkaufsraum. Ein süßer Geruch zieht durch das Geschäft. Rechts stehen zwei alte Vitrinen aus dunklem Holz mit einem Glasaufbau. Viele, kleine, bunte Törtchen sind in der Auslage arrangiert. Hinter der Theke steht Frau Gaultier, die das Geschäft mit ihrem Mann betreibt. Die zierliche, dunkelhaarige Frau zeigt auf die Backwaren.
"Wir produzieren alles Mögliche, was hier angeboten wird, selbst. Das sind Merengen auf der Basis von Mandelpulver und Puderzucker. Wir backen die kleinen Waffeln, Karamell-Creme, Karamell-Bonbons. Auch die Cremschnittchen aus Blätterteig. Das ist hier der Verkaufsschlager."
Zwischen den Vitrinen ist ein Tisch auf dem Waage und Kasse stehen. In den Regalen dahinter an der Wand liegen viele unterschiedliche Brote, die nach alten, traditionellen Rezepten, zum Teil im Holzofen, gebacken werden. Geradeaus geht der Raum über in die Backstube. Zwei Öfen stehen in der hinteren Ecke. In der Mitte ist ein großer Arbeitstisch, an dem Herr Gaultier gerade eine Rolle aus Teig formt. Er ist etwa 1,90 cm groß, trägt eine karierte Bäckerhose und eine weiße Jacke dazu.
"Seit Februar 2001 haben wir geöffnet. Die Idee war es, eine unkonventionelle Konditorei zu eröffnen, Wir machen hier alle Süßwaren für das Haus "Bricourt". Unsere Kunden sind gemischt. Es kommen die Leute aus Cancale, aber auch Kunden aus Sankt Malo und Dinar."
In dem, mit hellem Holz vertäfelten Cafe-Raum stehen fünf schlichte, braune Tische. Kein Tisch ist besetzt, bei diesem sonnigen Wetter. An der Wand ist ein Regal mit Büchern, meist über die Region, in denen die Gäste zum Cafe o lé lesen können.
Vom Place de Viktorie führt die Rue du Port hinunter in das Hafenviertel "La Houle", auf Deutsch "Die See". Die enge Straße mit den kleinen Steinhäusern geht Berg ab. Nach einer Kurve öffnet sich der Blick auf das Meer, das sich gerade zurück zieht und das dunkle Watt frei gibt. Einige Fischerboote liegen schon im Trockenen. Die Hafenpromenade, Quai Gambetta, säumen wieder die unterschiedlichsten Häuser. Manche sind hell gestrichen, andere noch aus alten Steinen gebaut. In fast allen sind Restaurants, mit bunten Markisen, von deren Terrassen man hinüber zum Meer schaut. Links hinunter geht es weiter zum Quai Thomas. Am Leuchtturm vorbei, führt die Straße direkt am Hafen entlang zum Austern-Markt.
Die acht Marktstände haben blau weiß gestreifte Stoffdächer, die von der Sonne ausgebleicht sind. Überall stehen Körbe, gefüllt mit Austern. Dunkelgrüne Algen sind darüber gelegt, um sie frisch zu halten. Eine der Marktfrauen bietet aus zehn flachen Körben die verschiedenen Austersorten an. Sie ist etwa vierzig Jahre alt, hat kurzes Haar und trägt Jeans und eine blaue Jacke dazu. Gelbe Schilder sind an den Körben angebracht, auf denen Sorte und Preis steht.
Wer möchte, kann die frischen Austern gleich hier am Markt schlürfen. Immer ein Dutzend werden auf weißen Austerntellern angerichtet. In die Mitte kommt eine halbe Zitrone. Die Preise für zwölf Austern sind von 1,55 bis 16 Euro. Hinter dem Markt ist ein etwa einen Kilometer langer Strand. Hier sitzen die Besucher auf einer langen Treppe und schlürfen genussvoll ihre Austern. Dort sitzt jetzt auch Bertile Rogois. Sie hat schwarze, lockige Haare und ist 28 Jahre alt. In der Schule hat sie Deutsch gelernt und zwei Jahre in Hamburg verbracht. Auf ihren Knien hat sie einen Teller mit zwölf frischen Austern.
"Ich bin aus der Bretagne. Ich komme in die Ecke gern. Die Austern hier sind sehr bekannt. Sie werden hier gezüchtet. Ich wollte mal wieder probieren. Ich habe eine Sorte gekauft. Das nennt man die lange Auster von Cancale. Man kann die hier direkt essen vor das Meer. Das ist genial. Da mache ich jetzt eine auf und guck mir das an. Ein bisschen grau grün. Und das Meerwasser. Ich mag das auch mit Zitrone. Ein paar Tropfen. Das macht Geschmack da rein.
Und ich schneide das hier. Und ich schlürf die. Das ist natürlich komisches Geräusch. Aber das gehört dazu. Die sind salzig. Nicht so süß. Es gibt andere Sorten die sind nicht so bitter. Ich mag die so frisch. So direkt vom Meer. Die haben noch die ganze Saft von Meer da drin."
Die Austern-Schalen werfen die Besucher einfach an den Strand. Tausende knirschen unter den Schuhen. An der kleinen Kaimauer sitzt der etwa 40-jährige Patrik Potdevin. Auch er hat einen Teller Austern vor sich stehen.
"Dafür habe ich 1,55 Euro gezahlt und mit der Zitrone macht das 1,75 Euro.
Die Austern sind sehr gut. Sie sind hier schön frisch, sehr salzig. Sie zählen zur Nummer zwei in der Größe. Ich esse sie gerne Morgens. Das ist gut für die Gesundheit."
Eine kleine Straße mit Kaimauer, geht neben dem Markt direkt hinunter ins Watt. Ein roter Traktor mit großem Anhänger kommt angefahren. Darauf liegen die sogenannten Austerntaschen gestapelt. Das sind eckige, verschlossene, etwa ein Meter lange und ca. 20 cm dicke Metallkörbe, gefüllt mit Austern.
Unten im Watt stehen überall Metallgestelle, die Austerntische heißen. Der Traktor hält neben einem dieser Gestelle. Drei Arbeiter springen vom Anhänger. Über ihren blauen Overalls tragen sie Gummistiefel, die bis zum Oberschenkel reichen. Sie laden die Metallkörbe ab und stapeln sie auf den Austerntischen. Kleine Krebse krabbeln aufgeregt auf dem Anhänger herum. In dieser Anlage werden die Austern nicht gezüchtet, sondern nur gelagert. Im Meerwasser halten sie sich am besten. Einer der größten Austern-Zuchtbetriebe von Cancale befindet sich etwa zwei Kilometer südlich des Ortes.
Eine lange Holztreppe führt durch einen Wald den Abhang hinunter zum Austern-Betrieb Ferme Marine. Um den großen, gepflasterten Hof sind drei Hallen gebaut. Geradeaus ist eine alte Steinmauer. Dahinter geht es steil zum Meer hinunter. Hier im Ferme Marine werden nicht nur Austern gezüchtet, sondern auch zweimal am Tag Führungen angeboten, in denen man alles über die Austernzucht erfährt.
"Es gibt in und bei Cancale 50 Austernzüchter. Die meisten sind noch Familienbetriebe. Und die züchten zwei Austernsorten. Die Flachaustern und die Felsenauster. Man produziert jährlich 140.000 Tonnen Felsenaustern und 2000 Tonnen Flachaustern."
Cecil Leblay ist eine dunkelhaarige, zierliche Frau. Sie trägt eine helle Stoffhose, dazu ein schwarzes Shirt. Ihre dunklen Haare hat sie zu einem Zopf zusammen gebunden. Einige Jahre hat sie in Deutschland verbracht und über die Auster weiß sie einfach alles.
"Die Vermehrungszeit der Austern ist im Juli und August, wenn das Wasser wirklich warm genug ist. Wenn sie geboren sind, die Larven, bewegen sie sich bis drei Wochen ins Wasser und fallen dann auf den Meeresboden. Man soll als Austernzüchter Träger direkt auf den Meeresboden legen, um diese Larven aufzufangen. Sobald sie sich fixieren fangen sie an eine Schale zu erzeugen. Und sind so dann schon Austernbabys. Und wenn sie neun Monate alt sind, werden die Träger von Meer genommen und die Austern von den Trägern gelöst. Die Austerbabys werden dann in die Taschen rein gesteckt oder direkt auf dem Boden gesät."
Die kleinen Felsenaustern kommen in die Austerntaschen. Draußen, auf dem Meeres-Boden befinden sich die Austerntische auf denen sie dann wachsen. Diese Anlagen heißen Austernparks. Drei Jahre brauchen sie dort bis zur Ernte. Und die ist nur zwei Mal im Monat möglich. Denn nur dann sind diese Parks mit den Traktoren erreichbar. Frau Leblay steht an der Steinmauer und zeigt mit der Hand zum Meer hinaus.
"Diese Felsenausternparks befinden sich drei bis sechs Kilometer vor der Küste. Die sind mit Traktoren erreichbar. Die Austernzüchter arbeiten im Rhythmus der Gezeiten. Die sind besonders stark hier im Ärmelkanal. Der Tidenhub kann hier 15 Meter erreichen. Im März und September kann das Wasser bis zu zehn Kilometer weg von der Küste fließen. Alle zwei Wochen, entweder bei Voll- oder Neumond haben wir stärkere Gezeiten, weil zu dieser Zeit Mond, Sonne und Erde auf einer Linie stehen. Diese werden Springflut genannt. Nur dann, bei Ebbe, kann man die Austern ernten, da die Felsenparks frei liegen."
Die zweite Sorte, die Flachauster, die hier produziert wird, ist etwas schwieriger zu züchten.
Dafür sind Bassins draußen auf dem Meeresboden, wo die Austern hinein kommen und wachsen.
"Die Flachausternparks befinden sich sieben Kilometer vor der Küste und bleiben immer unter Wasser. Auch wenn die Gezeiten ganz stark sind. Die sind nie mit Traktoren erreichbar und werden mit einem Amphibienfahrzeug geerntet. Die Flachen werden direkt auf dem Boden im Tiefwasser gezüchtet. Sie bleiben bis vier Jahre um reif zu sein."
Rechts im Hof steht eine Maschine, mit zwei großen Trichtern, in der die Austern gewaschen werden. Herr Roger (Roschee) ist etwa sechzig Jahre alt und trägt Gummistiefel und Schürze. Aus flachen Plastikkörben schüttet er Austern von oben die Trichter hinein. Durch Bewegung werden die Austern gewaschen. Danach wird das Wasser abgelassen und fließt in einen Abfluss.
"Die Austern werden mit Meerwasser zweimal gewaschen. Das erste mal wenn sie in dem Betrieb ankommen. Und das zweite Mal gleich vor der Verpackung."
Links neben dem Austernwaschplatz ist eine kleinere Halle. Hier werden die Austern sortiert. Die Sortieranlage ist etwa zehn Meter lang, steht auf einem Gestell mit Rädern und ist aus hellem Metall. Nur ein kleiner, grauer Monitor verrät die eingebaute Kamera, die nicht zu sehen ist. Zwölf Schütten sind am Ende der Anlage, durch die dann die Austern sortiert heraus fallen. Die Maschine wirkt ein bisschen wie in einem Since-Fiktion-Film aus den 60jger Jahren.
"Nach dem Waschen gehen die Austern dann auf ein Fließband und kommen Stück für Stück unter eine Art Videokamera, werden gefilmt und nachher per Computer je nach der Länge und nach dem Durchmesser aussortiert. Es gibt fünf Größen für die Felsenaustern. Nummer eins ist die Größte und Nummer fünf dann die Kleinste. Die beliebtesten Größen in Frankreich sind Nummer zwei und drei. Die nicht zu groß und nicht zu klein sind. Also die mittleren Größen. Und da die Franzosen die Austern roh essen passt das einfach besser."
In der dritten, der größten Halle im Betrieb, sind links zwei etwa zehn Meter lange Wasserbecken. Durch den Sauerstoff der dem Becken zugeführt führt wird, blubbert das Wasser vor sich hin und bildet weiße Schaumkronen. Metallschlaufen mit gelben Schildern ragen heraus. Über den Becken sind Schienen an der Decke angebracht, an denen
ein Kransystem per Knopfdruck bedient werden kann. Eine etwa fünfzig jährige Frau, in Gummischürze und Stiefeln lässt den Hacken der Kran-Anlage herunter fahren und in eine der Metallschlaufen greifen. Eine Palette mit zwanzig, flachen Plastikkörben, gefüllt mit Austern wird aus dem Wasserbecken gehoben und zum Rand bewegt.
"Nach der Aussortierung kommen die Austern in diese zwei Becken. Die können dann bis zwei Wochen hier bleiben. Die Austern kommen von den Austernparks immer mit ein bisschen Schlamm drin. Und das muss weg. Es dauert zwei oder drei Tage bis sie sauber werden."
Rechts, in der Halle ist ein langes Fließband, dass jedoch nicht in Bewegung ist. Davor steht ein langer Tisch auf dem die flachen Körbe, gefüllt mit Austern stehen. Drei Frauen, alle etwa Mitte Fünfzig, in Gummischürzen und Handschuhen stehen am Band. Sie greifen in die Körbe und holen jeweils zwei Austern heraus, die sie gegeneinander schlagen.
"Das ist jetzt die letzte Etappe. Man soll die Austern hier Stück für Stück kontrollieren, um sicher zu sein, dass sie noch genug Wasser drinnen haben. Und deswegen werden zwei genommen und gegeneinander geklopft. Um zu hören wie es klingt. Wenn es hohl klingt, es bedeutet, dass eine Auster schon Wasser verloren hat, obwohl sie noch zu ist. Das heißt dass irgendwo ein Loch in der Schale ist. Würde man eine verletzte Auster verpacken würde die Auster das Wasser verlieren und im Korb sterben."
Eine tote Auster ist einfach zu erkennen. Denn sie ist geöffnet. Austern überleben außerhalb des Wassers dadurch, dass sie geschlossen bleiben, um im Inneren das Meerwasser zu halten.
"Die guten Austern werden mit der Unterklappe nach unten verpackt, um das Wasser so lang wie möglich zu behalten. Man kann einen Korb Austern bis zehn Tage behalten. Aber nur wenn sie gekühlt werden. Zwischen 3 und 8 Grad. Unten im Kühlschrank ist gut."
In ein Körbchen werden zwölf Austern verpackt. Und so werden sie in die Restaurants und Geschäfte geliefert. Die Austern von Cancale werden in die ganze Welt verschickt.
Aber in den kleinen Restaurants hier direkt am Hafen, schmecken sie noch am besten.
Acht Tische sind auf der Terrasse des Restaurants "L´abri Gotier" besetzt. Durch einen Zeltvorbau sind die Gäste vor Wind und Regen geschützt. Auf fast allen Tischen stehen große Platten mit Krebsen, Austern und anderen Meerestieren darauf. Deutsche sind hier keine. Der Speiseraum innen ist länglich und zehn Tische stehen darin. An den hellbeige gestrichenen Wänden hängen Fischernetze und Bilder von Fischerbooten. Geradeaus steht Severine Jolier an der Theke. Sie trägt einen schwarzen Rock und eine weiße Bluse und arbeitet seit drei Jahren hier. Ihr langes, braunes Haar hat sie zu einem Knoten gebunden.
"Unsere Spezialitäten sind Fischgerichte, Couscous und Fischsuppen.
Alle Fische, die wir hier anbieten kommen aus den Häfen von Sankt Malo und Cancale.
Es gibt Muscheln aus dem Hafen hier. Das ist eine typische Spezialität.
Die Leute kommen nach Cancale, wegen des Meeres, den Fischen und Meeresfrüchten.
Weil es hier einfach frischer ist, als in Paris."
Die Hafenpromenade ist am späteren Abend von den Straßenlaternen in oranges Licht getaucht. Die Restaurants schließen ihre Türen. Nur noch wenige Fenster sind in den Häusern erleuchtet. Ein leichter Sommerregen hat eingesetzt. In seinem Lied singt Gilles Servat: "Die Regenschauer der Nachsaison verschleiern die Aussicht auf den Hafen. Eine Sirene, die widerhallt verkündet die Traurigkeit des Herbstes ".
Die Flut hat das Wasser zurückgebracht und die Fischerboote schaukeln vor sich hin. Die Austernparks sind nicht mehr zu sehen. Und jetzt in der Stille, kann man sich nicht mehr vorstellen, wie die Arbeiter geschäftig mit ihren Traktoren im Watt herum fahren. Draußen im Meer erhebt sich ein großer, schwarzer Felsen. In der Dunkelheit sieht er aus, wie ein Drache, der gerade ein Bad nimmt. Ja es stimmt, was Olivier Roellinger sagt:
"Die Bucht vom Mont-Sant-Michel ist einer der magischsten Orte der Welt."

