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Frostiger Weltrekord im Ruhrpott

Physik. - In Essen soll das längste supraleitende Kabel der Welt verlegt werden. Supraleitend heißt, dass das Kabel den Strom völlig verlustfrei, das heißt ohne jeden elektrischen Widerstand transportieren kann. Voraussetzung dafür ist, dass man das Kabel kühlt, und zwar bis auf etwa minus 200 Grad Celsius. Trotz der aufwändigen Kühlung könnte sich das Vorhaben rentieren.

Von Frank Grotelüschen |
    Es sind Keramiken mit einer besonderen Eigenschaft: Kühlt man sie mit Flüssigstickstoff ab bis auf minus 200 Grad Celsius, verlieren sie ihren elektrischen Widerstand komplett und leiten Strom ohne jeden Verlust. Hochtemperatur-Supraleiter, so nennen Fachleute wie Matthias Noe vom Karlsruher Institut für Technologie die wundersamen Materialien, die – nach Jahrzehnten der Forschung – allmählich Einzug in die Praxis halten. Denn Supraleiter zeigen nicht nur weniger Verluste als gewöhnliche Kupferkabel. Sie haben auch noch einen anderen Vorteil.

    "Gleichzeitig haben Supraleiter eine deutlich höhere Stromdichte als konventionelle Leiter. Dadurch sind sie besonders attraktiv für energietechnische Anwendungen: Kabel, Transformatoren, Generatoren können wir supraleitend ausführen. Dadurch werden sie kompakter und effizienter."

    In Zahlen: Ein supraleitendes Kabel kann fünfmal mehr Strom transportieren als ein gleich dickes Kupferkabel. Allerdings ist sein Aufbau deutlich komplexer. Es besteht aus mehreren Lagen: Innen ein Rohr, durch das Flüssigstickstoff strömt, rund minus 200 Grad kalt. Dann kommen mehrere Lagen aus Supraleiter, umgeben von einem Mantel, durch den nochmals Flüssigstickstoff fließt. Und damit das Kabel nicht warm wird, ist es von einer thermischen Isolierung umhüllt. Sie funktioniert nach dem Prinzip der Thermoskanne.

    Ein großer Vorteil des Supraleiter-Kabels: Man kommt mit kleineren elektrischen Spannungen aus als bei Kupfer. Statt einer Hochspannung von 110 Kilovolt genügt die sogenannte Mittelspannung, also zehn Kilovolt. Dadurch spart man jene Schaltstationen, die die 110-Kilovolt umspannen in niedrigere Werte. Gerade für Innenstädte ist das hochinteressant, meint Matthias Noe.

    "Eine Schaltstation in der Innenstadt benötigt etwa den Raum einer Turnhalle. Wenn wir diese aus der Innenstadt rausbekommen durch die Verwendung von supraleitenden Kabeln, brauchen wir noch eine kleine Station zum Kühlen dieser Kabel. Diese Kühlstation würde in dem Raum einer Doppelgarage reingehen."

    Um das Konzept zu testen, hat das Karlsruher Institut für Technologie nun gemeinsam mit dem Energieversorger RWE und dem Kabelhersteller Nexans ein Projekt namens AmpaCity gestartet. Das Ziel: Mitten in der Ruhrstadt Essen soll unterirdisch ein supraleitendes Kabel verlegt werden – ein rekordverdächtiges Kabel.

    "Das ist die weltweit längste supraleitende Kabelstrecke. Sie wird direkt in der Innenstadt verlegt."

    Der bisherige Rekordhalter liegt in New York und misst 600 Meter. Das Kilometerkabel von Essen soll bis Ende 2013 verlegt sein. In Karlsruhe sind gleichzeitig Labortests geplant mit einem kleinen, zwei Meter langen Kabelstück. Mit einem Spezialteststand wollen die Forscher Details vermessen, die sich beim Kabel in Essen nicht so einfach erfassen lassen – etwa wie sich der Supraleiter verhält, wenn man ihn sehr stark belastet. Noes Kollege Wilfried Goldacker steht vor so einem Teststand – eine Art Wanne, abgedeckt mit einer Plexiglasscheibe. Auf der Unterseite der Scheibe wachsen Eisblumen, an den Seiten quillt weißer Nebel hervor.

    "Flüssigstickstoff – das sind grob etwa minus 200 Grad. Aber es ist mit einigen Vorsichtsmaßnahmen sehr gut handhabbar. Da wird der Prüfling drin abgesenkt. Das ist dann wie in der Diskothek, mit Dampfwolken, die aus dem Gefäß herauswabern. Darin wird das Experiment durchgeführt."

    Zwei Jahre wollen die Experten das System testen, sowohl im Karlsruher Labor als auch in der Essener Praxis. Und sollte es sich im Alltagsbetrieb bewähren, könnte es sich lohnen, weitere Kupferkabel durch Supraleiter zu ersetzen, meint Matthias Noe.

    "Wir haben in einer Studie untersucht, wie man das Netz von Essen ausbauen könnte, um den ganzen Nutzen dieser Supraleiterkabel zu haben. Diese Studie hat ergeben, dass wir fünf dieser Umspannanlagen einsparen könnten und benötigten dafür etwas über 20 Kilometer supraleitende Kabel."

    Fünf turnhallengroße Umspannwerke könnten ersetzt werden durch fünf Kühlanlagen klein wie Doppelgaragen – eine verlockende Perspektive. Voraussetzung allerdings ist, das weiß auch Wilfried Goldacker: Die Supraleiter müssen deutlich billiger werden.

    "Sie sind im Augenblick noch teurer. Das ist das Problem, da die gesamte Herstellung sehr viel aufwändiger und subtiler ist. Aber in absehbarer Zeit wird man den Herstellungsprozess und auch den Aufbau des Leiters erheblich vereinfachen und so zu einem preiswerteren Produkt kommen!"