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Frühe Diagnose wichtig

Vom Rett-Syndrom sind fast nur Mädchen betroffen. Meist fällt zwischen dem siebten und dem 24. Lebensmonat auf, dass Fähigkeiten, die das Kind schon erworben hatte, wieder verloren gehen: der zielgerichtete Gebrauch der Hände und die Sprache beispielsweise. Diese Erkrankung ist gar nicht so selten, nach dem Down-Syndrom ist sie die zweithäufigste angeborene geistige Behinderung bei Mädchen. Was man bisher nicht wusste: manche Kinder werden fälschlicherweise als autistisch diagnostiziert.

Judith Grümmer |
    Dominique ist in einem integrativen Kindergarten, er spielt und macht alles mit, was die anderen Kinder auch machen, er ist immer mittendrin im Geschehen, auch wenn er selbst nicht im Sand spielen kann, werden ihm die Förmchen dort hingelegt und mit Sand gefüllt, auch wenn er selber nicht malen kann, werden für ihn die Bilder gemalt, also die Kinder sind ganz wundervoll, für die Kinder ist Dominique ein ganz normaler Spielkamerad, der voll akzeptiert wird von den Kindern.

    Das süße Kerlchen mit den blonden, leicht gelockten Haaren und der kecken Latzhose fühlt sich ganz offensichtlich wohl hier – freundlich und lebensfroh schaut er durch seine lustige bunte Brille, die ihm etwas schief auf der Nase sitzt. Dass Dominique mit seinen vier Jahren schon in die medizinischen Fachliteratur eingegangen ist, das weiß er natürlich nicht. Das konnte auch niemand ahnen , weder die Eltern noch die Ärzte – dass er mit einem Rett-Syndrom zur Welt gekommen war. Bis zu seinem 15. Lebensmonat entwickelt sich der kleine Junge völlig normal – doch dann bemerkte die Mutter, das Dominique nicht weiterentwickelte – im Vergleich zu seinem 22 Monate älteren Bruder.

    Er benutzte seine Hände nicht mehr, er krabbelte nicht mehr, er hatte depressive Stimmungen. Und aufgrund dessen sind wir dann in die Universitätsklinik zur Untersuchung und da sind dann nach ein paar Untersuchungen festgestellt worden, dass Dominique einen Gen-Defekt hat.

    Das Rett-Syndrom tritt normalerweise nur bei Mädchen auf - und ist bis heute fast völlig unbekannt – obwohl das Rett-Syndrom als die häufigste angeborene geistige Behinderung bei Mädchen nach dem Down-Syndrom gilt.

    Er hat noch den Defekt, dass er als Junge trotzdem zwei XX-Chromosomen hat, es fehlt ihm also das Y-Chromosom, das heißt körperlich gesehen ist er ein ganz normaler Junge, aber mit zwei X-Chromosomen und nur deswegen konnte er am Rett-Syndrom erkranken und diese Krankheit auch überleben.

    Viele Jahre konnte das Rett-Syndrom nur aufgrund der Symptome diagnostiziert werden: seit drei Jahren nun gibt ein Gentest verlässliche Auskunft darüber, ob ein Rett-Syndrom vorliegt. Obwohl bis heute keine Therapie, kein Medikament verhindern kann, dass die Kinder ihre bisher erlangten Fähigkeiten wieder verlieren, ist eine frühe Diagnostik im Verdachtsfall wichtig: - meint Dr. Peter Huppke, Oberarzt an der Göttinger Universitätskinderklinik. Eltern können dann die Erkrankung ihres Kindes besser verstehen, und dem Kind werden viele unnötige Untersuchungen und Therapieversuche erspart. Doch trotz der Möglichkeiten eines Gentest bleibt das Rett-Syndrom häufig unerkannt, beispielsweise, weil viele niedergelassene Kinderärzte es nicht kennen – oder weil es fälschlicherweise zunächst als autistische Erkrankung diagnostiziert wird.

    Das erste, was den Eltern auffällt, dass das Kind sich nicht weiterentwickelt und dass Fähigkeiten verloren werden, die es vorher schon erlernt hatte, insbesondere die Sprache und die Handfunktion. Die Kinder sind in dieser Phase häufig auch autistisch, lehnen Körperkontakt und jegliche Veränderungen ab. In dieser Phase ist es tatsächlich schwer, Kinder mit Rett-Syndrom von einem Kind mit Autismus zu unterscheiden.

    Zwar verlieren sich diese autistischen Verhaltensweisen zumeist wieder im Alter von drei Jahren – dennoch scheint gerade unter den älteren als autistisch diagnostizierte Mädchen die Dunkelziffer sehr hoch – auch wenn es noch keine wirklich vielversprechenden Therapiemöglichkeiten gibt, Dr. Huppke hält es für sinnvoll, dass zwischen Autismus und Rett-Syndrom klar unterschieden wird.

    Es kann unter Umständen helfen, die Epilepsie, die beim Rett-Syndrom häufig auftritt, besser zu behandeln , weil es da besondere Behandlungskonzepte gibt und man kann wahrscheinlich auch die Symptome, die bei den Patienten auftreten besser einordnen und besser behandeln.

    Dominique ist eindeutig als Rett-Syndrom-Kind diagnostiziert, obwohl er ein Junge ist. Bei der Elternhilfe für Kinder mit Rett-Syndrom bekamen seine Eltern die seelische Stütze, die vielen praktischen Tipps und Informationen, die ihnen halfen, sich mit der Behinderung ihres Kindes auseinander zu setzen. Reit- und Ergotherapie, eine unterstützende Familie und die Entscheidung, das Kind in einem guten Integrativen Kindergarten unterzubringen, wo er mit anderen Spielkameraden zusammen sein kann, haben den Eltern von Dominique geholfen, die Behinderung ihres Kindes zu akzeptieren. Für den großen Bruder ebenso wie für die Kinder im Kindergarten ist Dominique ein ganz normales Kind – eben nur mit anderen Fähigkeiten.

    Beitrag als Real-Audio

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