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Frühkindliche Bildung
"Wir müssen den Erzieherberuf besser bezahlen"

Obwohl das Betreuungsangebot für Kleinkinder stark gewachsen sei, gebe es in der frühkindlichen Bildung noch viel Arbeit, sagte Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Familienministerium im DLF. Erzieher würden zu schlecht bezahlt, der Finanzierungsstreit zwischen Bund und Ländern müsse aufhören.

Ralf Kleindiek im Gespräch mit Benedikt Schulz | 01.08.2014
    Ein kleiner Junge spielt in einer Kindertagesstätte der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Hannover (Niedersachsen).
    Um das Betreuungsangebot für kleine Kinder zu verbessern, soll der Erzieherberuf attraktiver werden. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Benedikt Schulz: In den vergangenen Tagen hat ja so ziemlich jeder seinen Senf zum Thema Kitas abgegeben, nur mal eine kleine Auswahl: der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der Deutsche Städtetag, diverse Bildungsforscher, das Deutsche Kinderhilfswerk, die deutschen Wissenschaftsakademien. Fragen wir nun die Zuständigen in der Politik: Ralf Kleindiek ist Staatssekretär im Bundesfamilienministerium. Herr Kleindiek, wie bewerten Sie denn die aktuelle Lage der frühkindlichen Bildung in Deutschland?
    Ralf Kleindiek: Was den Rechtsanspruch auf eine Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige anbelangt, können wir sagen, dass dieser Rechtsanspruch wirkt. Wir haben heute so viele Betreuungsangebote wie niemals zuvor. Bund und Länder haben den Ausbau der Kindertagesbetreuung massiv vorangetrieben. Und derzeit nehmen rund 660.000 Kinder, unter Dreijährige, das Angebot der Betreuung wahr, sodass wir insofern ein positives Fazit ziehen können.
    Schulz: Aber es ist so, dass mutmaßlich 120.000 Erzieherinnen und Erzieher in Deutschland fehlen und die Situation wird sich noch verschärfen. Wie kann man da zufrieden sein?
    Kleindiek: Was die Erzieherinnen und Erzieher anbelangt, kann man im Moment noch nicht zufrieden sein. Wir haben zwar eine positive Entwicklung, was die Auszubildenden anbelangt, in den letzten Jahren ist es uns gelungen, die Zahl der Auszubildenden für den Beruf der Erzieherin und des Erziehers zu verdoppeln. Das ist eine gute Entwicklung. Die reicht aber noch nicht. Und deswegen müssen wir da auch noch weitere Anstrengungen unternehmen, wir müssen diesen Beruf besser wertschätzen, wir müssen ihn aber auch besser bezahlen.
    Schulz: Anstrengungen unternehmen – was wollen Sie als Familienministerium tun?
    Kleindiek: Wir müssen die Diskussion über die Bedeutung frühkindlicher Bildung führen. Wir können das nicht auf der Bundesebene alleine, wir können das auch nicht als ein Ressort alleine, sondern da muss ein gemeinsames Verständnis bestehen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt, sonst wird das nicht gelingen.
    Schulz: Ihr Ministerium will ja mit den Ländern in Kontakt treten, um darüber zu beraten, wie das Geld verteilt wird, was die große Koalition in den sechs Bildungsmilliarden zur Verfügung stellt. Wie soll es denn verteilt werden Ihrer Meinung nach?
    Kleindiek: Wir werden insgesamt eine Milliarde Euro in dieser Legislaturperiode für den Ausbau der Kindertagesbetreuung zur Verfügung stellen. Eine weitere Regelung sieht vor, dass der Bund die Länder entlastet bei den Zahlungen für das BAföG, das sind insgesamt 1,2 Milliarden Euro pro Jahr rund, und dafür werden Gelder frei, und wir plädieren sehr dafür, dass diese frei werdenden Landesmittel in die frühkindliche Bildung investiert werden.
    Schulz: Verstehe ich Sie richtig: Das Geld, was der Bund jetzt an BAföG-Kosten den Ländern abnimmt, soll für den zusätzlichen Kita-Ausbau genutzt werden?
    Kleindiek: Das kann auch für den Bereich der frühkindlichen Bildung, sollte auch für den Bereich der frühkindlichen Bildung genutzt werden, ja.
    Schulz: Das Deutsche Kinderhilfswerk hat gestern gefordert, dass mindestens 50 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre investiert werden müssen. Sind da nicht die eine Milliarde plus das zusätzliche Geld aus den frei werdenden BAföG-Mitteln, sind das nicht nur Tropfen auf den heißen Stein?
    Kleindiek: Nein, das sind nicht nur Tropfen auf den heißen Stein, sondern es sind schon ganz relevante Zahlungen. Diese Zahl von 50 Milliarden für die nächsten Jahre, die das Kinderhilfswerk genommen hat, die sind sicherlich, sage ich mal, sehr hoch gegriffen.
    Kleindiek: Die SPD hält nichts vom Betreuungsgeld
    Schulz: Ihr Ministerium plant ja im Herbst einen, ja, Qualitätsgipfel zu Kitas. Was erhoffen Sie sich davon?
    Kleindiek: Wir wollen mit diesem Gespräch zwischen Bund, Ländern und Kommunen einen Dialog anfangen, den es so in der Vergangenheit nicht gegeben hat. Da haben Bund und Länder eher, will ich mal sagen, gegeneinander gearbeitet als miteinander. Das wollen wir ändern. Und wir wollen diese – das ist verabredet zwischen Bund und Ländern –, diese Konferenz im Herbst machen, weil wir alle wissen, dass nur gemeinsam mehr für Qualität in der Kindertagesbetreuung erreicht werden kann.
    Schulz: Können wir dann auch damit rechnen, dass wir dann endlich bundesweite Standards bekommen?
    Kleindiek: Bundesweite Standards sind auch nur dann sinnvoll, wenn man sich gemeinsam auf sie verständigt. Es hätte ja keinen Zweck, wenn wir jetzt hier Standards vorgeben würden, die von den Ländern dann nicht akzeptiert würden. Und wir werden auch darüber reden, ob es und wie es sinnvoll ist, sich dann da auf gemeinsame Standards zu verständigen. Es gibt durchaus auch kritische Stimmen, die sagen, überlegt euch das gut, weil dann diese Standards möglicherweise zu gering sind.
    Schulz: Ich möchte Sie noch auf eine andere Fördermaßnahme ansprechen, die ja heute ebenfalls einjähriges Jubiläum feiert, und zwar das Betreuungsgeld. Da hat ja eine aktuelle Umfrage gezeigt, dass viele – und nicht zuletzt auch Ihre Ministerin selbst – befürchtet haben: Es schadet mehr, als dass es nutzt. Wie lange dauert es noch, bis Sie das abschaffen?
    Kleindiek: Was das Betreuungsgeld anbelangt, so haben sich die Koalitionspartner darauf verständigt, dass hieran nichts geändert wird, und zu dieser Verständigung stehen wir auch, steht auch die SPD. Das ändert nichts daran, dass die SPD das Betreuungsgeld nicht gut findet. Aber es gibt diese Verabredung, und insofern verhalten wir uns auch koalitionstreu.
    Schulz: Und das heißt, Sie hoffen darauf, dass Ihnen das Bundesverfassungsgericht demnächst die Entscheidung abnimmt?
    Kleindiek: Na, ich hoffe da nicht, sondern das Bundesverfassungsgericht wird sich mit den verfassungsrechtlichen Fragen auseinandersetzen und da spielt es sicherlich auch eine Rolle, dass die Untersuchungen jetzt bestätigt haben, dass das Betreuungsgeld doch auch eine durchaus schädliche Wirkung haben kann, was die frühkindliche Bildung anbelangt.
    Schulz: Sagt Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Bundesfamilienministerium. Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.