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Frühwarnsystem für Lebergifte

Medizin. - Mit einer Million Betroffener gehört die Leberzirrhose fast zu den Volksleiden hierzulande. Eine ganze Reihe an Ursachen, von Viren bis zu Alkoholmissbrauch, können das Organ so stark beschädigen, dass es seine Entgiftungsfunktion nicht mehr ausreichend erfüllen kann. Dann aber sammeln sich Gifte im Blut, gelangen so auch ins zentrale Nervensystem und rufen schwere Folgeschäden hervor. Ein neues Messverfahren kann dies jetzt frühzeitig anzeigen.

    Die so genannte hepatische Enzephalopathie ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern, deren genaue Ursachen Experten noch immer Rätsel aufgeben. Ausgangspunkt ist zunächst eine schwer beschädigte Leber, deren verbleibendes gesundes Gewebe die im Stoffwechsel anfallenden Schadstoffe nicht ausreichend entgiften kann. Professor Dieter Häussinger, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie an der Universitätsklinik Düsseldorf: "Die Gifte gelangen dann auch zum Gehirn und lösen dort dieses Krankheitsbild aus. Wesentlich dabei ist, dass die hepatische Enzephalopathie sich sehr rasch verschlechtern, aber eben auch wieder verbessern kann." Eine Reihe von Faktoren, wie etwa Medikamente, Blutungen, Diätfehler oder Infektionen könnten eine solche bedrohliche hepatische Enzephalopathie bei Leberkranken auslösen. Zwar seien viele Details der unterschiedlichen Gifte und ihrer Effekte im Körper noch unklar, sicher sei jedoch, dass Ammoniak eine zentrale Rolle dabei einnimmt. Die Verbindung entsteht im Stoffwechsel von Aminosäuren und wirkt hochgiftig. Aus diesem Grund wandelt der Körper Ammoniak in den Funktionseinheiten der Leber, den Azini, in ungiftigen Harnstoff um.

    Zwei verschiedene Zelltypen arbeiten in einem Leberazinus wie hintereinander geschaltete Filter eines Klärwerks. Die erste Lage wandelt bis zu 80 Prozent des Ammoniaks zu Harnstoff um. Der zweite Filter, die so genannten Aufräumzellen, entgiften den Rest des Schadstoffs. In der kranken Leber arbeitet dieses Klärwerk nicht mehr ausreichend, der Blutspiegel von Ammoniak steigt an und das Gift gelangt ins Gehirn, wo es die Nervenzellen angreift. Neurologische Ausfälle wie Konzentrations-, Wortfindungsschwierigkeiten und ähnliches sind typische Anzeichen einer frühen, so genannten subklinischen Enzephalopathie. Um sie zu vermeiden, existieren heute Präparate, die Ammoniak im Blut binden und seine Konzentration senken. Allerdings muss dazu der richtige Zeitpunkt der Therapie bekannt sein. Dazu der Mediziner: "Die Diagnostik ist unproblematisch, wenn das Krankheitsbild eine bestimmte Schwere erreicht hat. Es gibt aber Grenzformen, die mit leichten Veränderungen einhergehen, die der Patient meist geschickt überspielt, obwohl er sich seiner Defizite bewusst ist."

    In gut ausgestatteten Kliniken können frühe Anzeichen einer Leber-Enzephalopathie mittels sehr aufwändiger computerpsychometrischer Testverfahren, die bis zu zwei Stunden lang dauern, bestimmt werden. Für den Einsatz beim Hausarzt ist dies indes kaum geeignet. Daher entwickelte Häussingers Team eine praktikablere Methode: eine Brille mit technischen Finessen. "Der Patient sieht in der Brille ein hochfrequent flackerndes Licht, das zunächst wie ein Dauerlicht erscheint. Dann wird die Blinkfrequenz langsam gesenkt, bis der Patient das Flackern wahrnimmt. Diese Frequenz bestimmen wir." Bei gesunden Patienten liegt diese so genannte "kritische Flimmerfrequenz" bei 39 Hertz, während Patienten mit hepatischer Enzephaolpathie das Flackern erst bei deutlich niedrigeren Frequenzen erkennen. Mit der handlichen Erfindung können einerseits sehr frühe Stadien des Leidens erkannt werden, andererseits dauert die Methode nur rund zehn Minuten und kann daher auch ambulant in einer Praxis durchgeführt werden. Therapien mit entgiftenden Medikamenten könnten damit, so hofft der Experte, zukünftig früher begonnen und der Verlauf der Krankheit verlangsamt werden.

    [Quelle: Kay Müllges]