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Für ein lebendigeres Mülheim

In Mülheim an der Ruhr ist nun die Aktionsreihe "Schlimmcity" zu Ende gegangen - nach 70 Veranstaltungen wie Theateraufführungen, künstlerischen Arbeiten und Diskussionen. Ziel der Aktion: das Stadtleben wieder zu beleben.

Von Regina Völz |
    Eine fröhlich-bunte, gut gelaunte Demonstration. Viele junge Leute haben sich in den nächtlichen Protestzug durch die schlafende Innenstadt eingereiht.

    "Weil es hier so schlimm ist, weil es so merkwürdig istm weil keiner hier ist, wir ziehen hier durch eine leere Innenstadt."

    "Wir demonstrieren weil hier nix los ist nichts für Jugend. Das ist schade, weil eigentlich das Leben pulsiert - jetzt soll sich was ändern. Wir müssen auch mal endlich was sagen."

    "Weil's Spaß macht! In Mülheim ist um diese Zeit nie was los – jetzt ist mal was los."

    "Für ne belebte Innenstadt auch abends!"

    Die Initiatoren von Schlimmcity scheinen einen Nerv getroffen zu haben Matthias Frense, Dramaturg vom Ringlokschuppen Mülheim:

    "Wir haben einfach gedacht, dass über dieses Thema so wenig gesprochen wird, aber so heftig gestritten wird, dass wir dringend dieses Thema aufmachen müssen. Die Politik ist ja in der Schräglage, dass sie versucht, gegen diesen marodierenden Zustand gegenzusteuern. Auf der anderen Seite kann sie deshalb den ganzen Nörglern, die sagen, die Politik tut nicht genug... kann sie quasi nicht begegnen, das ist das Dilemma. Deswegen ist es Aufgabe von Kunst und Kultur, das Thema aufzurufen, Foren zu schaffen..."

    Und Begegnungsmöglichkeiten, die gab es in den vergangenen drei Wochen in der sogenannten Dezentrale, in einem leer stehenden Kaufhaus am Ende der Mülheimer Fußgängerzone und im angrenzenden stillgelegten Parkhaus. Nicht nur beim nächtlichen Demonstrationszug, sondern bei insgesamt 70 Veranstaltungen von Disko bis Diskussionsforen, Theater, Konzerten bis hin zu Bobbycar-Rennen oder Rundlauf auf dem Parkdeck. Oder beim "Caravan of love" – der Agentur für Liebesdienste in einem knall lila Caravan mitten in der Fußgängerzone:

    Nummernziehen wie beim Arbeitsamt, der Caravan of love, die Agentur für Liebesdienste. Ein verfänglicher Titel, der lockt: Eine Frau ist gekommen, weil sie gehört hat, dass in der Fußgängerzonen Männer angesprochen würden, eine andere mit Kopftuch und zwei kleinen Kindern, hat schon verstanden. Es geht darum, ohne Geld etwas zu bekommen und zu überlegen, was man selber geben könnte. Sie findet, dass man in einer Stadt mehr miteinander zu tun haben sollte: und sucht über die Agentur für Liebesdienste eine Oma für ihre Kleinen. Ihre Freundin will besser deutsch lernen und möchte Kontakt zu deutschen Familien haben. 30 Menschen haben während der Aktion auf diese weise zueinander gefunden.

    Nach anfänglichem Ärger wegen des Namens Schlimmcity und nachdem ein Banner quer über der Einkaufszone abgeändert wurde in "I love Schlimmcity" begrüßte auch die Mülheimer Werbegemeinschaft die Aktion, letztlich wollen alle eine lebenswerte Innenstadt. Nicht abgesprochen, aber passend lief genau zur selben Zeit der erste Mülheimer Schaufensterwettbewerb. 36 Künstler hatten dafür sehenswert Originelles geschaffen. Frank Prümer vom Vorstand der Mülheimer Werbegemeinschaft:

    "Das waren sicher alles witzige, interessante Veranstaltungen, es ist auch was passiert, die Leute haben teilgenommen. Ich glaube, was mit mehr Nachhall Diskussionen mitbringt, ist schwierig, die Leute zu motivieren. Schade wäre es, wenn aus der Veranstaltung nur der Name übrig bleiben würde."

    So ganz ziehen aber Werbegemeinschaft und die Initiatoren von Schlimmcity doch nicht an einem Strang. Holger Bergmann vom Ringlokschuppen Mülheim, der Schlimmcity entwickelt hat, wollte damit Positionen klären. Er zieht zufrieden Bilanz:

    "Das ist sehr geglückt, dass man auch sagen kann, es gibt einige Punkte, die man zurück der Stadt kommunizieren kann. Das ist sicherlich die absolute Feststellung nach Schlimmcity: der Handel ist nicht mehr der Mittelpunkt der Stadt. Das war vorher schon spürbar jetzt ist es angeklommen."

    Die Idee, die Innenstadt kreativ zu beleben, sich dort aufhalten zu können, Menschen zu begegnen, ohne Geld ausgeben zu müssen, ist aber nicht nur der Werbegemeinschaft fremd. Holger Bergmann und das Team vom Ringlokschuppen in Mülheim haben es mit Schlimmcity und ihrem Stadtspiel in Realversion in manche Köpfe gerückt. Auch die große Ruhrgebiets-Monopolzeitung hat sich mit der Verödung und Wiederbelebung der Innenstädte befasst. Kunst kann sich einmischen und Holger Bergmann ist nach den drei Wochen Schlimmcity überzeugt:

    "Dass alle weiteren Maßnahmen die nur auf Stabilisierung von Handel und Imagebildung im Marketing Sinne des Städtewettbewerbs angedacht sind, Verzögerung des Wandels sind, die die Städte erfahren müssen. Und natürlich, dass Kunst und Kultur ein wichtiger Faktor sein werden, an den Transformationen von Städten mitzudenken, zu begleiten."