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"Für mich steht Sicherheit an oberster Stelle"

Der Flugverkehr über Europa ist nahezu stillgelegt. Wirtschaftlich bekommen das besonders die Fluggesellschaften zu spüren und fordern teilweise eine Aufhebung. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) sagt, es sei nahezu zynisch, Umsatzeinbrüche mit einem Risiko für Passagiere gegenzurechnen.

Peter Ramsauer im Gespräch mit Bettina Klein | 19.04.2010
    Bettina Klein: "Wenn du den lieben Gott amüsieren willst, dann erzähle ihm von deinen Plänen." Das Sprichwort erinnert daran, dass die Allmacht des Menschen begrenzt ist. Oder weltlich ausgedrückt: die Hindernisse kommen meist aus einer Richtung, die niemand auf dem Schirm hatte. Reisepläne Abertausender werden tagelang durchkreuzt durch Asche auf Island. Eine solche Vorhersage hätte vor einer Woche bestenfalls lächerlich geklungen. Das Thema wird nun inzwischen auch auf EU-Ebene behandelt. Am Telefon begrüße ich den deutschen Verkehrsminister, Peter Ramsauer von der CSU. Schönen guten Morgen!

    Peter Ramsauer: Guten Morgen!

    Klein: Herr Ramsauer, lassen Sie uns zunächst noch einmal auf die Kritik der Fluglinien schauen. Wir halten fest: natürlich geht für Sie die Sicherheit vor, dafür tragen Sie letztlich die Verantwortung, und Sicherheit ist in unser aller Interesse. Dennoch kann man die Frage stellen: war es bisher tatsächlich nicht möglich, anderes Datenmaterial als jenes aus der Computersimulation zu gewinnen?

    Ramsauer: Das ist diese einseitige Information, die ich beklage. Es sind nicht nur Daten, wie manchmal gesagt wird, der englischen Wetterbeobachter eingeflossen, sondern in diese Computersimulationen und Vorhersagen läuft ein Meer von Daten ein, natürlich auch aus Deutschland, natürlich auch aus konkreten Messungen in Deutschland, mit denen wir gestern beispielsweise klar Vulkanasche nachgewiesen haben. Genauso natürlich ist es, dass man sich auch unter anderem der Computersimulationen bedient, das ist eine Selbstverständlichkeit. Alle Wettervorhersagen beruhen maßgeblich auf Computersimulationen. Bei allem Verständnis für die Klagen der Luftfahrtgesellschaften über Umsatzausfälle muss ich aber zweierlei sagen. Erstens: die Luftfahrtgesellschaften wussten seit jeher, wie die internationalen Regeln in so einem Fall sind. Sie kannten ganz genau, wer dann welche Zuständigkeiten und Kompetenzen hat. Sie haben nie darüber geklagt. Deswegen ist es schon etwas absonderlich, dass sie jetzt aufwachen und sagen, das sei alles nicht richtig. Sie haben es vorher gewusst. Und zweitens: Für mich steht, wie Sie bereits gesagt haben, Sicherheit an erster Stelle. Erstens Beachtung der internationalen Regeln, zweitens absolute Sicherheit für den Luftverkehr, für alle am Luftverkehr beteiligten, und es wäre beinahe zynisch, muss ich sagen, zumindest mit mir politisch nicht machbar, wenn man Umsatzeinbrüche sozusagen gegenrechnet mit irgendeinem nicht vertretbaren Risiko für Leib und Leben von Passagieren.

    Klein: Herr Ramsauer, mir ist noch nicht ganz klar geworden, dass es hier tatsächlich um Kompetenzen geht. So weit ich die Fluggesellschaften verstanden habe, geht es ihnen darum, dass sie gesichertes Datenmaterial wollen, und es ihnen nicht so sehr darum geht, wer das ermittelt.

    Ramsauer: Ja, natürlich! Wir haben einmal die amtlichen Ermittlungen, aber zum anderen fließen alle Daten ein, die seit Tagen von den Luftfahrtgesellschaften selbst beigebracht werden. Ich freue mich darüber. Ich freue mich über jeden Jet, der probeweise fliegt, der einwandfreie Daten zurückbringt. Das ist ausgesprochen hilfreich auch für die Entscheidungsfindung.

    Klein: Aber ein erstes Testflugzeug wird ja heute erst aufsteigen, Herr Ramsauer, und es heißt, Sie haben aber schon gestern Datenmaterial gesammelt.

    Ramsauer: Wir haben auf andere Art und Weise Datenmaterial gesammelt, so wie es der Deutsche Wetterdienst und unsere Forschungseinrichtungen immer tun mit den Lasergeräten, die im Einsatz sind, mit denen wir beispielsweise Vulkanasche nachgewiesen haben. Da sind wir dabei und tun dies nicht nur national, sondern wir tun dies international. Ich habe gestern nicht nur mit Kommissar Kallas gesprochen, sondern mit einer Reihe von europäischen Kollegen, und deswegen ist auch falsch, dass die Europäische Union heute erst wach geworden sei. Seit Tagen telefonieren wir miteinander, stimmen uns ab, und im zentralen Krisenstab, den wir vor drei Tagen in Langen bei Frankfurt beim Deutschen Flugsicherungsdienst eingerichtet haben, laufen alle Informationen zusammen.

    Klein: Wie soll es nun weitergehen, Herr Ramsauer? Im Augenblick entscheidet jedes Land der Europäischen Union für sich, wie lange ein Flugverbot gelten soll, wann verlängert wird und wann nicht. Es entsteht in gewisser Weise ein Bild der Uneinheitlichkeit, aber noch ist es ja so: jedes Land entscheidet für sich allein. Soll es dabei bleiben, oder werden Sie daran etwas ändern?

    Ramsauer: Das ist so nicht ganz richtig. Alle Länder verfahren nach den internationalen Regeln der ICAO. Das ist die internationale Luftfahrtbehörde, eine renommierte Behörde, der 190 Länder angehören, deren Regelwerk wir uns verpflichtet haben. Nach diesen Vorgaben fallen natürlich in den einzelnen Ländern von den nationalen Flugsicherungen dann die Entscheidungen für die jeweiligen einzelnen Flughäfen. Wir haben also hier ein flexibles System. Daran muss man sich aber halten, an dieses Regelwerk. Stellen Sie sich vor, man würde hier einfach sich darüber hinwegsetzen, es würde irgendein Flugzeug vom Himmel fallen, was vielleicht gar nichts zu tun hätte mit Vulkanasche. Sie würden mich dann fragen, Herr Minister, können Sie ausschließen, dass dieser Absturz etwas mit Vulkanasche zu tun gehabt hat, und dann möchte ich das Geschrei auf der anderen Seite erleben. Für mich steht Sicherheit an oberster Stelle.

    Klein: Also es bleibt dabei, jedes Land entscheidet für sich, wie lange die Flughäfen geschlossen bleiben?

    Ramsauer: Natürlich muss jedes Land entscheiden für jeden einzelnen Flughafen, ob Starts oder Landungen erlaubt werden. Das ist aber keine Einzelstaatelei, sondern beruht auf einem klaren Entscheidungsbaum. Wir stimmen uns europäisch ab, wie auch berichtet worden ist. Auch heute wieder jetzt in wenigen Stunden die ersten Telefonate mit den Kollegen und dann die Zusammenschalte heute um 18 Uhr, und davon abgeleitet werden dann Einzelentscheidungen. Das sind ganz klare Entscheidungsstrukturen, die ich für richtig halte.

    Klein: Herr Ramsauer, das Flugverbot in Deutschland und in weiten Teilen Europas währt bereits Tage. Was, wenn es tagelang, vielleicht sogar wochenlang so weitergeht? Muss die Bundesregierung Maßnahmen in Sachen Krisenmanagement einleiten?

    Ramsauer: Ich verstehe Ihre Frage ehrlich gesagt nicht. Sie tun so, als sei nichts geschehen. Wie gesagt, ich habe vor über drei Tagen einen zentralen Krisenstab eingerichtet bei der Deutschen Flugsicherung. Wir haben eine Reihe von weiteren dezentralen Krisenstäben. Der zentrale Krisenstab tagt rund um die Uhr, ich schalte mich rund um die Uhr seit Tagen in die Beratungen ein. Es wird alle drei Stunden in Telefonschaltkonferenzen mit allen Beteiligten gesprochen, im übrigen auch mit Vertretern der deutschen Fluglinien, und auch diesen muss es darum gehen, Sicherheit zu gewährleisten.

    Klein: Meine Frage zielte eigentlich eher darauf: viele Menschen, glaube ich, fragen sich inzwischen, was, wenn für bisher nie da gewesene lange Zeiträume wie jetzt der gesamte Flugverkehr, zumal der interkontinentale Flugverkehr ausfällt? Was dann?

    Ramsauer: Er wird nicht ausfallen, der interkontinentale Flugverkehr. Es ist zum Beispiel so, dass oberhalb von 6.500 Metern in Deutschland geflogen werden kann. Insofern ist der Luftraum nicht gesperrt, denn über dieser Fläche kann momentan nichts nachgewiesen werden. Das Problem ist der Aufstieg und der Abstieg von Luftfahrzeugen. Ich kann nur eines tun: alle Flexibilitäten, alle Spielräume, die auf verantwortbarer Basis nutzbar sind, diese auch zu nutzen. Das hat sich gestern auch gezeigt, indem wir für einige Stunden ausgesuchte Flughäfen freigegeben haben.

    Klein: Die wirtschaftlichen Schäden für die Fluggesellschaften, aber nicht nur für die, sind schon jetzt enorm, eine knapp zweistellige Millionensumme pro Fluglinie und Tag, so die Schätzungen. Ist das ein normales Geschäftsrisiko, das die Airlines in diesem Falle selbst schultern müssen?

    Ramsauer: Die Luftfahrtgesellschaften wissen, dass sie vom Wetter abhängig sind. Im Winter hatten wir eine Reihe von Flugausfällen, eben wegen der Wetterbedingungen. Das ist ganz klar, dass mit solchen Risiken zu rechnen ist, und ich wehre mich hier gleich, um das klarzustellen, gegen jeden Ruf an den Staat.

    Klein: Gegen jeden Ruf an den Staat, auch wenn es um Schadensersatzleistungen für andere Branchen geht, die möglicherweise durch längere Flugausfälle in Mitleidenschaft gezogen werden?

    Ramsauer: Heute kann Ihnen noch niemand abschließend sagen, welche wirtschaftlichen Schäden das insgesamt hervorruft. Wir haben eine verzahnte Wirtschaft, wir haben neben geschädigten Branchen natürlich auch andere Branchen, die davon erheblichen Nutzen davontragen. Aber genauso wenig, wie wir bei diesen, die jetzt davon profitieren, beispielsweise der Bahn, zusätzliche wirtschaftliche Gewinne abschöpfen können, können wir andere, beispielsweise die Luftfahrtunternehmen, von solchen Umsatz- und Gewinnausfällen entbinden. Sie zahlen natürlich deshalb auch umso weniger Steuer.

    Klein: Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) im Gespräch mit dem Deutschlandfunk zu den anhaltenden Flugverboten in Deutschland. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Ramsauer: Gerne.