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Fukushima wird uns noch Monate beschäftigen

Auch zwei Monate nach dem Tsunami in Japan und dem Gau in Fukushima ist die Lage besorgniserregend. Selbst wenn die freigesetzte Radioaktivität nicht mehr das Ausmaß der ersten Zeit habe, könnte sich die Lage jederzeit wieder zuspitzen, sagt Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich.

Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Theo Geers |
    Theo Geers: Heute vor zwei Monaten gingen die Bilder des Tsunami um die Welt. Durch die Riesenwelle starben aber nicht nur Tausende Menschen, es wurden auch nicht nur Häuser oder Autos weggeschwemmt; weggeschwemmt wurde auch der Glaube daran, dass Atomkraft beherrschbar sei, und zwar immer. Die Katastrophe von Fukushima, sie zeigt, das Gegenteil ist der Fall, und deshalb haben wir heute noch einmal Dagmar Röhrlich ins Studio gebeten, die seit dem Gau in Fukushima die katastrophale Lage dort weiter beobachtet. Frau Röhrlich, erinnern wir uns erst einmal ganz kurz: Wie fing das eigentlich an?

    Dagmar Röhrlich: Heute vor zwei Monaten, Nachmittags, war es dann in einem Zustand, wo man wusste, im Kernkraftwerk hat die Sternabschaltung geklappt, aber der Strom ist weg und die Reaktorexperten haben da schon graue Haare bekommen, denn bei Siedewasser-Reaktoren, wenn die keinen Strom haben, das ist das Schlimmste, was passieren kann. Es war damals so, dass man noch dachte, mit dem Batteriestrom kann man noch irgendwelche Notsysteme ausreichend lange erhalten, und das hat sich ja dann schon am nächsten Tag als trügerische Hoffnung herausgestellt.

    Geers: Es war in der Tat so, dass die Notstrom-Aggregate, die mit Dieselgeneratoren betrieben wurden, nicht ansprangen. Die wurden durch den Tsunami überschwemmt und waren damit sozusagen außer Gefecht gesetzt. Wenn man jetzt auf Fukushima blickt, Frau Röhrlich, was ist im Moment dort los? Es gibt ja vier Blöcke, die immer noch außer Kontrolle sind, und das muss man sich auch immer wieder vor Augen halten, auch wenn zuletzt aus Japan wenig zu hören war. Die Lage ist nach wie vor katastrophal. Wie ist es in den einzelnen Blöcken?

    Röhrlich: Welcher am schlimmsten dran ist, da könnte ich mich jetzt gar nicht so richtig entscheiden. In Block 1 ist es so, dass die Temperatur zu hoch ist. Wie es genau im Reaktordruckbehälter, wo der Reaktor drinsitzt, aussieht, weiß man nicht. Dort hat man erst mal jetzt ein neues Messinstrument installiert. Die Arbeiter sind ja jetzt drin, nachdem eine Belüftung hinbekommen worden ist, dass die Radioaktivität in dem Haus selbst gesenkt werden konnte. Es wird derzeit eine externe Kühlung installiert, damit man die Temperatur in diesem Reaktor, die viel zu hoch ist, wahrscheinlich herunter bekommt.

    In Block 3 ist die Temperatur Anfang des Monats auch angestiegen. Man weiß nicht so genau warum. Es wird ein Leck vermutet. Man hat deshalb erst mal jetzt die Einspeisung erhöht und baut derzeit eine neue Wasserversorgung. Also auch da bemüht man sich, die Lage unter Kontrolle zu halten, insofern unter Kontrolle zu halten, als es nicht endgültig ausbricht, denn es ist schlimm genug.

    Geers: Sie sagten vorhin, Frau Röhrlich, Sie könnten sich gar nicht so richtig entscheiden, wo es in Fukushima jetzt am Schlimmsten ist. Wir haben jetzt Reaktor 1 und 3 angesprochen. Ist es da jetzt besser oder schlechter als zum Beispiel in Block 4?

    Röhrlich: In Block 4 haben wir eine ganz andere Situation, die genauso gefährlich ist. Dort sind die Abklingbecken, das liegt frei und man hat gesehen, inzwischen auf Bildern, dass Wasser aufsteigt, dass Blasen im Wasser aufsteigen, das Wasser ist viel zu heiß und 30 Prozent der Brennelemente sind zerstört, die Radioaktivität wird da freigesetzt in die Atmosphäre. Die Messungen sagen zwar, dass zurzeit relativ wenig freigesetzt wird aus Fukushima. Von den schlimmen Anfangszeiten sind wir inzwischen ganz weit entfernt. Aber es ist immer noch so, dass Radioaktivität herauskommt, auch wenn das Jod 131 jetzt langsam keine Rolle mehr spielt, weil es einfach abgeklungen ist.

    Geers: Bleibt Reaktor 2, Frau Röhrlich. Was ist da los?

    Röhrlich: Reaktor 2, da hört man sehr wenig von. Es gibt Risse im Sicherheitsbehälter oder einen Riss. Man weiß nicht genau, wie es da aussieht. Die Brennelemente liegen teilweise wahrscheinlich frei und man hat in das Lagerbecken korrosionshemmende Mittel eingefüllt. Was das jetzt im Einzelnen bedeutet, dazu finden sich zurzeit keine Aussagen. Man ist ein bisschen spärlich mit den Nachrichten.

    Geers: Die Nachrichtenlage wird immer dünner aus Fukushima, wenn man das vergleicht mit vor zwei, drei, vier, fünf oder auch acht Wochen. Wie lange wird uns das jetzt noch beschäftigen und könnte es möglicherweise noch wieder schlimmer werden dort?

    Röhrlich: Es kann jederzeit wieder schlimmer werden, wenn die Reaktor-Druckbehälter beispielsweise nicht mehr gekühlt werden können, oder wenn im Abklingbecken 4, das offen liegt, die Kühlung nicht mehr möglich ist. Es ist so, dass uns das mindestens noch Monate beschäftigen wird, ehe man überhaupt irgendeine externe Kühlung darin haben wird. Ehe diese Sache abgeschlossen wird, das wird Jahre dauern, und wahrscheinlich muss man auch wirklich Deckel auf diese Reaktoren bauen, Betondecken darüber setzen, damit man mit der Zeit warten kann, bis man überhaupt an die Brennelemente heran kann. Die sind nicht leicht herauszuholen, das ist eine Sache, die wird noch Jahre dauern.

    Geers: Das erinnert so ein bisschen an Tschernobyl. – Danke schön, Dagmar Röhrlich, zur aktuellen Lage in Fukushima am Ende des zweiten Monats nach der Katastrophe.