Vive la difference - Es lebe die Differenz. Es lebe die Vielfalt - so lautete das Credo des postmodernen Denkens in den 80er Jahren. Gefordert und gefeiert wurde eine Vielfalt nicht nur der Meinungen, Moden und Lebensstile, nein, auch die Wahrheit sollte in den Plural treten. Denn die Lehre von der einen und einzigen Wahrheit sei gefährlich, sie nähre Intoleranz und mache anfällig für Gewalt, erklärte der französische Philosoph Jean Francois Lyotard. Lyotard, ein Leitdenker der Postmoderne, ortete den Ursprung des Übels, den Sündenfall, in den Anfängen der Philosophie.
"Lyotard beginnt schon bei den Griechen, die Vorstellung, dass die Griechen immer versuchen einen Grund für die Wirklichkeit zu finden, bei den Juden ist es dann nicht das Eine, sondern der Eine - Gott - und im Christentum dann beides verschmolzen, Europa stammt aus beiden Quellen, aber gleichzeitig ist für Lyotard immer wieder lesbar, dass damit eben auch eine Alleinherrschaft eines bestimmten Denkens einhergeht, und das sieht er dann im Umschlag - also immer gefährdet, aber umkippend in einen Totalitarismus, also das Denken aus einem Grunde kann seiner Meinung nach totalitär werden, - auch das ist nicht ganz falsch: Platon hat ja schon den ersten totalitären Staat entworfen."
Die Dresdner Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz rekapitulierte noch einmal Lyotards Generalklage gegen jede Art von Allgemeinprinzip und sein Plädoyer für einen umfassenden Pluralismus. Sie selber setzte sich davon ab, wie alle anderen Referenten auf dem Kolloquium. Gemeinsam holte man zur Gegenklage aus: ein Pluralismus a là Lyotard führe in den Abgrund der Überzeugungslosigkeit - wo die Menschen bar jeden Standpunkts den Launen des Zeitgeistes ausgeliefert seien, der ihnen heute dies morgen jenes als Wahrheit serviert. Papst Benedikt XVI nannte das die "Diktatur des Relativismus".
Deshalb seien fundamentale Überzeugungen religiöser und ethischer Natur unverzichtbar, sie bildeten auch das Fundament unserer Demokratie, erläutert der Osnabrücker Politologe Manfred Spieker mit Verweis auf ihre amerikanischen Ursprünge.
"Die angelsächsische Form der Demokratie, im engeren die amerikanische Form der Demokratie, geht davon aus, dass es unbedingte Überzeugungen gibt, die durch keine Mehrheitsentscheidungen aufgehoben werden können, eben die Religionsfreiheiten, dass auch Minderheiten unbedingt geschützt werden müssen, also nicht Mehrheitsbeschlüssen zum Opfer fallen können, während die kontinentaleuropäische Form der Demokratie schon in der Französischen Revolution unter Robbespierre dazu führte, dass man glaubte, über alles abstimmen zu können, und die Feinde, wie man sie nannte, dann auf die Guillotine schicken zu können. "
Das demokratische Prinzip Mehrheit vor Wahrheit gilt eben nicht schrankenlos, sondern nur im Rahmen der Verfassung und bleibt dabei dem Schutz der Grundrechte des Einzelnen verpflichtet.
Die Demokratie erschöpft sich nicht in formalen Strukturen - Wahlen, Abstimmungen und Gesetzesverfahren - sie enthält mehr als bloße Spielregeln, an die sich jeder halten muss.
"Die Spielregeln gründen selbst in Überzeugungen, zum Beispiel muss es einen Grund geben, Spielregeln zu akzeptieren. Ist das wieder nur eine Spielregel? Muss man dann diese Spielregel respektieren und so weiter? So können Sie immer weiter fragen, wenn das ganze nicht mündet in einer tiefen Überzeugung, nützen auch Spielregeln nichts."
So Robert Spaemann, der Nestor eines zeitgenössischen christlichen Philosophierens. Verfassungsstaat und Gesellschaft bedürften fest verankerter moralischer Überzeugungen, die dem politischen Bereich vorausgehen.
"Sie sind eine Bedingung für friedliches Zusammenleben, wenn wir nicht eine tief gegründete Überzeugung hätten, dass Toleranz etwas Wertvolles ist, dann gäbe es keine Toleranz, aus dem Relativismus folgt nicht unbedingt Toleranz. Wenn alle meine sittlichen Überzeugungen nur Meinungen sind, dann kann ich auch eine intolerante Meinung haben, und mit dem Relativismus ist das genauso gut vereinbar wie das Gegenteil."
Es gibt Ignoranz, bequemes Wegsehen oder auch Gleichgültigkeit, die sich als Toleranz ausgibt. Denn wirkliche Toleranz, erklärt der Staatswissenschaftler Lothar Häberle verlangt Respekt, Auseinandersetzung und einen eigenen Standpunkt.
"Eine gehaltvolle Toleranz erfordert immer drei Komponenten: das eine ist dass sie die Haltung oder Überzeugung eines anderen ablehnt, aus vernünftigen Gründen, das zweite ist, dass wenn sie etwas ablehnt, auch eine eigene Überzeugung in der Sache haben muss, sonst kann sie es nicht ablehnen, aber drittens, dass es höherwertige Gründe gibt, die diese Ablehnung übertrumpfen, so dass man die andere Person toleriert, auch wenn man ihre Überzeugung weiterhin ablehnt. "
Zu einer solchen geistigen Auseinandersetzung, von Toleranz und Respekt geprägt, trafen sich vor vier Jahren Jürgen Habermas, der liberale Philosoph, und Kardinal Ratzinger, der konservative Theologe und heutige Papst, zu einem Streitgespräch über die Rolle der Religion in einer säkularisierten Gesellschaft.
Habermas, der sich selber als religiös unmusikalisch bezeichnete, betonte, die Religion solle keineswegs nur Privatsache bleiben, sie solle vielmehr ihr normatives Potential einbringen in den Meinungsbildungsprozess, in die Debatten um Stammzellenforschung, den Beginn des menschlichen Lebens und die Würde des Sterbens. Habermas erklärt allerdings auch, dass sich der säkularisierte Staat trotz seiner Wurzeln heute keiner christlichen Leitkultur mehr unterstellen dürfe, Kardinal Ratzinger erwiderte darauf, dass das Gemeinwesen ohne vorstaatliche christliche Werteauffassung nicht existieren könne.
In der Katholischen Akademie in München vor vier Jahren war das ein wirklicher Disput, beim aktuellen Kölner Kolloquium kam es dazu nicht. Denn die Titelfrage: Gefährden unbedingte Überzeugungen die Demokratie? - war nur rhetorisch gestellt. Hier hatte man sich gewissermaßen den Ball selber vorgelegt, um zu antworten: 'Nein, im Gegenteil: die Demokratie braucht unbedingte Überzeugungen, und zwar christlicher Herkunft.'
Gern hätte man auch die andere Seite gehört: Doch Vertreter des derart gegeißelten Relativismus waren nicht eingeladen.
"Lyotard beginnt schon bei den Griechen, die Vorstellung, dass die Griechen immer versuchen einen Grund für die Wirklichkeit zu finden, bei den Juden ist es dann nicht das Eine, sondern der Eine - Gott - und im Christentum dann beides verschmolzen, Europa stammt aus beiden Quellen, aber gleichzeitig ist für Lyotard immer wieder lesbar, dass damit eben auch eine Alleinherrschaft eines bestimmten Denkens einhergeht, und das sieht er dann im Umschlag - also immer gefährdet, aber umkippend in einen Totalitarismus, also das Denken aus einem Grunde kann seiner Meinung nach totalitär werden, - auch das ist nicht ganz falsch: Platon hat ja schon den ersten totalitären Staat entworfen."
Die Dresdner Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz rekapitulierte noch einmal Lyotards Generalklage gegen jede Art von Allgemeinprinzip und sein Plädoyer für einen umfassenden Pluralismus. Sie selber setzte sich davon ab, wie alle anderen Referenten auf dem Kolloquium. Gemeinsam holte man zur Gegenklage aus: ein Pluralismus a là Lyotard führe in den Abgrund der Überzeugungslosigkeit - wo die Menschen bar jeden Standpunkts den Launen des Zeitgeistes ausgeliefert seien, der ihnen heute dies morgen jenes als Wahrheit serviert. Papst Benedikt XVI nannte das die "Diktatur des Relativismus".
Deshalb seien fundamentale Überzeugungen religiöser und ethischer Natur unverzichtbar, sie bildeten auch das Fundament unserer Demokratie, erläutert der Osnabrücker Politologe Manfred Spieker mit Verweis auf ihre amerikanischen Ursprünge.
"Die angelsächsische Form der Demokratie, im engeren die amerikanische Form der Demokratie, geht davon aus, dass es unbedingte Überzeugungen gibt, die durch keine Mehrheitsentscheidungen aufgehoben werden können, eben die Religionsfreiheiten, dass auch Minderheiten unbedingt geschützt werden müssen, also nicht Mehrheitsbeschlüssen zum Opfer fallen können, während die kontinentaleuropäische Form der Demokratie schon in der Französischen Revolution unter Robbespierre dazu führte, dass man glaubte, über alles abstimmen zu können, und die Feinde, wie man sie nannte, dann auf die Guillotine schicken zu können. "
Das demokratische Prinzip Mehrheit vor Wahrheit gilt eben nicht schrankenlos, sondern nur im Rahmen der Verfassung und bleibt dabei dem Schutz der Grundrechte des Einzelnen verpflichtet.
Die Demokratie erschöpft sich nicht in formalen Strukturen - Wahlen, Abstimmungen und Gesetzesverfahren - sie enthält mehr als bloße Spielregeln, an die sich jeder halten muss.
"Die Spielregeln gründen selbst in Überzeugungen, zum Beispiel muss es einen Grund geben, Spielregeln zu akzeptieren. Ist das wieder nur eine Spielregel? Muss man dann diese Spielregel respektieren und so weiter? So können Sie immer weiter fragen, wenn das ganze nicht mündet in einer tiefen Überzeugung, nützen auch Spielregeln nichts."
So Robert Spaemann, der Nestor eines zeitgenössischen christlichen Philosophierens. Verfassungsstaat und Gesellschaft bedürften fest verankerter moralischer Überzeugungen, die dem politischen Bereich vorausgehen.
"Sie sind eine Bedingung für friedliches Zusammenleben, wenn wir nicht eine tief gegründete Überzeugung hätten, dass Toleranz etwas Wertvolles ist, dann gäbe es keine Toleranz, aus dem Relativismus folgt nicht unbedingt Toleranz. Wenn alle meine sittlichen Überzeugungen nur Meinungen sind, dann kann ich auch eine intolerante Meinung haben, und mit dem Relativismus ist das genauso gut vereinbar wie das Gegenteil."
Es gibt Ignoranz, bequemes Wegsehen oder auch Gleichgültigkeit, die sich als Toleranz ausgibt. Denn wirkliche Toleranz, erklärt der Staatswissenschaftler Lothar Häberle verlangt Respekt, Auseinandersetzung und einen eigenen Standpunkt.
"Eine gehaltvolle Toleranz erfordert immer drei Komponenten: das eine ist dass sie die Haltung oder Überzeugung eines anderen ablehnt, aus vernünftigen Gründen, das zweite ist, dass wenn sie etwas ablehnt, auch eine eigene Überzeugung in der Sache haben muss, sonst kann sie es nicht ablehnen, aber drittens, dass es höherwertige Gründe gibt, die diese Ablehnung übertrumpfen, so dass man die andere Person toleriert, auch wenn man ihre Überzeugung weiterhin ablehnt. "
Zu einer solchen geistigen Auseinandersetzung, von Toleranz und Respekt geprägt, trafen sich vor vier Jahren Jürgen Habermas, der liberale Philosoph, und Kardinal Ratzinger, der konservative Theologe und heutige Papst, zu einem Streitgespräch über die Rolle der Religion in einer säkularisierten Gesellschaft.
Habermas, der sich selber als religiös unmusikalisch bezeichnete, betonte, die Religion solle keineswegs nur Privatsache bleiben, sie solle vielmehr ihr normatives Potential einbringen in den Meinungsbildungsprozess, in die Debatten um Stammzellenforschung, den Beginn des menschlichen Lebens und die Würde des Sterbens. Habermas erklärt allerdings auch, dass sich der säkularisierte Staat trotz seiner Wurzeln heute keiner christlichen Leitkultur mehr unterstellen dürfe, Kardinal Ratzinger erwiderte darauf, dass das Gemeinwesen ohne vorstaatliche christliche Werteauffassung nicht existieren könne.
In der Katholischen Akademie in München vor vier Jahren war das ein wirklicher Disput, beim aktuellen Kölner Kolloquium kam es dazu nicht. Denn die Titelfrage: Gefährden unbedingte Überzeugungen die Demokratie? - war nur rhetorisch gestellt. Hier hatte man sich gewissermaßen den Ball selber vorgelegt, um zu antworten: 'Nein, im Gegenteil: die Demokratie braucht unbedingte Überzeugungen, und zwar christlicher Herkunft.'
Gern hätte man auch die andere Seite gehört: Doch Vertreter des derart gegeißelten Relativismus waren nicht eingeladen.