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Gaddafi als Europas Grenzschützer

Libyen ist ein wichtiges Transitland für illegale Migranten, die sich nach Europa aufmachen. Vor diesem Hintergrund, aber auch mit Blick auf die reichen Ölvorkommen des Wüstenstaates, ist das politische Gewicht Libyens gewachsen. Vor allem Italien sucht den Schulterschluss mit dem Nachbarn auf der anderen Seite des Mittelmeers. Karl Hoffmann berichtet.

    Hüben kommen sie meist halbtot an. In Sizilien, in Lampedusa müssen die Immigranten immer wieder notversorgt werden. Die Fahrt übers Meer kostet viele die letzten Kräfte: denn drüben in Libyen wurden sie vorher schon Monate lang wie Sklaven ausgebeutet:

    "Dort habe ich als Fahrer geschuftet. Sechs Monate Lohn haben sie mir dann einfach nicht bezahlt, drüben in Libyen. Sie haben mich davongejagt, da habe ich mich in Boot gesetzt und bin nach Italien gefahren. Und was hat das kostet? Ich habe 1200 Dollar bezahlt."

    Wer erst mal in Libyen gelandet ist, der muss sehen, dass er schleunigst weiterkommt. Judith Greize ist derzeit im Auftrag des deutschen Flüchtlingsrats im Mittelmeerraum unterwegs . Auf Schiffen südlich von Lampedusa befragte sie Immigranten, um herauszufinden, was mit jenen passiert, die nicht aus Libyen wegkommen oder wieder dorthin zurückgebracht werden

    "Libyen ist für Flüchtlinge der Alptraum schlechthin. Der Weg von ganz Afrika bleibt eigentlich nur Libyen, um nach Europa zu kommen. Flüchtlinge werden dort inhaftiert. Wir haben jetzt mehrere Zeugnisse, dass grade Eritreer, also potenzielle Asylbewerber, in den letzten Monaten zurückgeschoben worden sind über See und dann im Lager gelandet sind. Und da bleiben sie dann auch für Monate. Also die Menschenrechtssituation ist untragbar."

    Umso erstaunlicher klangen da die Worte des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi nach einem seiner Besuche in Tripolis

    "Ich bin glücklich, dass wir uns wohl als die besten Freunde der Libyer in Europa bezeichnen können."

    Verständlich wird die italienische Nachsicht erst dann, wenn man die wahren Interessen Italiens und Europas an Libyen unter die Lupe nimmt. Auf einen Nenner gebracht lauten sie: Energie statt Flüchtlinge, meint Judith Greize vom Flüchtlingsrat:

    "Libyen sitzt natürlich auf Erdöl, die ganze Energie ist wichtig grade für Italien, und das zweite ist, dass Libyen als Staat, wo die Flüchtlinge losfahren, das Land ist, wo Migration begrenzt werden kann. Also werden da auch Lager finanziert, damit die Leute da auch bleiben."

    Vor drei Jahren ist die Gaspipeline von Libyen nach Sizilien in Betrieb gegangen, seither strömen zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr Richtung Norden. Italien bezahlt nicht nur mit klingender Münze, sondern auch in Sachwerten, um den Flüchtlingsstrom aus dem Süden zu stoppen, Hubschraubern, Waffen und Militärfahrzeugen zur Überwachung der 4000 Kilometer langen Grenze quer durch die Wüste Sahara. An der afrikanischen Nordküste wurden unter italienischer Anleitung drei Aufnahmelager für etwa 1000 Menschen gebaut. Regierungschef Prodi setzte in dieser Frage zurecht auf die stillschweigende Unterstützung der europäischen Verbündeten, die es leid sind, wegen der immer neuen toten Immigranten an Europas Südflanke der Untätigkeit bezichtigt zu werden.

    "Entweder wir werden uns klar, dass das eine gemeinsame europäische Aufgabe ist, oder wir werden immer wieder solche Unglücke erleben."

    Libyen eine Mitschuld an dem grausamen Schicksal vieler Verfolgter zu geben, die auf ihrem Weg Richtung Europa im Land oder vor Libyens Küsten ums Leben kommen, das liegt der römischen Regierung aber fern. Jüngst war Seif el Islam, der Sohn von Staatschef Gaddafi, als Emissär in Rom. Sein Vater bereite einen historischen Besuch in Italien vor, um endlich die Zusage zur Finanzierung der libyschen Küstenautobahn als Entschädigung für die italienische Besatzung während der Kolonialzeit zu erhalten . Und natürlich werde Italien auch im Falle der bulgarischen Krankenschwestern wegen möglicher Entschädigungszahlungen eine wichtige Vermittlerrolle spielen. Die Zeit scheint für Gaddafi reif, um demnächst in allen Ehren in Europa empfangen zu werden.