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Gallaudet in der Krise

Die Gallaudet-Universität in Washington DC gilt als Mekka für Gehörlose. Doch nun demonstrieren Hunderte von Studenten gegen die Ernennung einer neuen Präsidentin. Sie haben Angst, dass die gehörlose Akademikerin nicht die Interessen der Studierenden vertritt. Genauso umstritten ist, was neue Hörtechnologien und Kommunikationsmöglichkeiten für Gallaudet und ihren Versuch bedeuten, sich neu zu erfinden. Während die Studenten auf die amerikanische Gebärdensprache setzen, um miteinander zu kommunizieren, schicken immer mehr Eltern ihre gehörlosen Kinder in reguläre Schulen und Universitäten.

Von Heike Wipperfürth |
    Über die Arroganz der Leiter seiner Alma Mater, der Gallaudet Universität in Washington, kann Joshua Finkle nur verständnislos den Kopf schütteln:

    " Es ist fast so wie damals, als die ganze Welt gegen Bush war, weil er Krieg gegen den Irak führen wollte. Jordan und Jane Fernandes haben die ganze Welt der Gehörlosen gegen sich. Sie wissen, dass sie Unrecht haben, tun aber trotzdem, was sie beschlossen haben. "

    Das Unrecht ist, dass Jane Fernandes die Nachfolgerin des Gallaudet-Präsidenten I. King Jordan werden soll. Seit zwei Wochen demonstrieren hunderte von Studenten und Professoren gegen ihre Ernennung, weil sie nicht ihre Interessen vertritt. Sie befürchten, dass Fernandes neue Technologien wie moderne Hörgeräte und nicht die amerikanische Gebärdensprache unterstützt, die als offizielle Sprache auf dem Universitätsgelände gilt.

    Die 1864 gegründete, weltweit einzige Universität für Gehörlose mit ungefähr 1700 Studenten aus 31 Ländern war schon immer ein Widerstandsnest. Heftige Studentenunruhen hatten vor 18 Jahren zur Ernennung I. King Jordan zum ersten tauben Präsidenten geführt. Vizekanzlerin Fernandes, die taub geboren wurde, soll das Amt im Januar übernehmen. Davor warnt Rasty Rosen, ein gehörloser Professor an der Columbia University in New York. Er bemängelt, dass Fernandes nicht genug gegen Rassismus und Audismus - das ist die Benachteiligung von Menschen mit Gehörproblemen - auf dem Campus unternommen hat.

    Kommunikationsprobleme zwischen Angestellten und Studenten gibt es auch immer noch, bestätigt Christian Vogler, ein gehörloser Wissenschaftler aus Hamburg, der am Gallaudet Forschungsinstitut tätig ist. So erstickte zum Beispiel 1990 ein Student im Würgegriff eines Campuspolizisten; er hatte sich nicht verständlich machen können. Christian Vogler:

    " Sechzehn Jahre später können viele Campuspolizisten immer noch nicht genug American Sign Language, um mit den Studenten zu kommunizieren, obwohl dies eine hohe Priorität sein sollte, allein zur Sicherheit und zum Wohlbefinden der Gehörlosen auf dem Campus. "

    Mittlerweile bekommt Gallaudet die rapiden Veränderungen in der Hörtechnologie zu spüren. Mit neuen Hörgeräten und Implantaten im Ohr lernen immer mehr taube Kinder, sich in einer hörenden Welt zu bewegen. Seit das Behindertendiskriminierungsgesetz verlangt, dass reguläre US-Universitäten Hörbehinderten beim Studium helfen sollen, verliert Gallaudet an Bedeutung - und muss um Studenten kämpfen, sagt Joshua Finkle:

    " Der Wettbewerb ist härter geworden. Gallaudet muss mehr tun, um Studenten auf den Campus zu holen. "

    Gegen ein zu großes Angebot an Technologie und Kommunikationsmöglichkeiten wehren sich allerdings viele Studenten. Sie brauchen keine Hörgeräte, weil sie sich durch flinke Gesten und Mimik miteinander unterhalten. Für sie ist nur wichtig, dass die neue Präsidentin für die amerikanische Gebärdensprache eintritt. Finkle:

    " Sie wollen jemand, der sie versteht. Der daran glaubt, dass die Ausbildung der Gehörlosen auch die Anerkennung der amerikanischen Gebärdensprache bedeutet, und nicht, dass man alles mal ausprobieren muss, Dolmetscher und Implantate und so. Die sind ja in Ordnung. Aber sie verschlechtern die Aussichten der gehörlosen und schwerhörigen Menschen auf eine gute Ausbildung. Die Studenten wollen, dass die neue Präsidentin die amerikanische Gebärdensprache und die Gehörlosenkultur auf eine höhere Ebene bringt - und das kann Jane einfach nicht. "

    Eine Meinung, die der Wissenschaftler Christian Vogler teilt. Er weiß auch, wie viel Gallaudet seinen Studenten bedeutet - und dass sie darum kämpfen werden:

    " Es gibt keine andere Uni, an der die Gehörlosenkultur einen so großen Stellenwert hat wie hier. Es gibt keine andere Universität, wo Gebärdensprache quasi die Amtssprache ist. Gallaudet bedeutet für viele Gehörlose ein Stück Identität, nicht einfach eine Uni. "