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Garnelenzucht ruiniert sensible Ökosysteme

Garnelen waren bis vor wenigen Jahren eine ausgesprochen teure Delikatesse. Heute bieten viele Supermärkte sie zu niedrigen Preisen und in großen Mengen an. Der Grund ist einfach: Die Meerestiere müssen nicht mehr vorwiegend auf hoher See gefangen werden. Industrielle Aquakulturen an den tropischen Küsten Asiens und Lateinamerikas haben das Angebot enorm ansteigen lassen. Doch die moderne Garnelenzucht hat sensible Ökosysteme in vielen Küstenregionen der Welt ruiniert.

Von Andreas Boueke |
    Große Flächen wertvoller Mangrovenwälder fielen ihnen zum Opfer, um Platz für die Aquakultur zu schaffen. Mangroven sind die einzigen Bäume, die im Salzwasser überleben können. Vor dreißig Jahren gab es weltweit noch rund 160.000 Quadratkilometer Mangrovenwälder.
    Inzwischen sind es nur noch halb so viele, sagt Greenpeace.

    Ohne Mangrovenwälder aber, ist die zerstörerische Kraft von Stürmen oder hohen Wellen zum Beispiel um ein Vielfaches größer. Als der Tsunami im Dezember in Südostasien Land erreichte, konnte er viele Küstenregionen ungebremst überfluten. Zuvor abgeholzte Mangrovenwälder hätten den Wellen an vielen Stellen einen Teil ihrer Wucht nehmen und die Katastrophe zumindest abmildern können.

    Zumindest waren die Verwüstungen in solchen Gebieten geringer, denen noch immer Mangrovenwälder vorgelagert sind. Den Touristen und Garnelenliebhabern im fernen Europa bleibt all dies zumeist verborgen. Doch in den Erzeugerländern formiert sich Widerstand. Zum Beispiel im mittelamerikanischen Guatemala. Dort protestieren Küstenbewohner gegen die Expansion der multinational operierenden Garnelenfirmen.

    "Früher, als das Wasser noch sauber war, gab es hier viele Garnelen. Du konntest die besten Tiere auswählen und die kleinen zurück ins Wasser werfen. Das haben die industriellen Garnelenfarmen mit ihrer Verschmutzung zunichte gemacht. "

    Enrique Bonilla ist ein kräftiger Mann, aber fischen geht er schon lange nicht mehr. Heute betreibt er einen kleinen Laden in Champerico, einem Dorf an der Pazifikküste des mittelamerikanischen Landes Guatemala. Das größte Fischereiunternehmen dort heißt PESCA. Kommerzielle Unternehmen wie PESCA siedeln ihre Aquakulturfarmen bevorzugt an Flussmündungen und Meeresarmen an. In diesen Gewässern, den sogenannten Ästuaren, vermischt sich Süßwasser mit Salzwasser. Das schafft besonders günstige Wachstumsbedingungen für Garnelenlarven.

    Der US-Amerikaner Mike Corser hat früher in Honduras, Costa Rica und Ecuador Garnelen gezüchtet, bevor er als Verwalter der Firma PESCA nach Guatemala kam. Der weißhaarige Mann mit braungebrannter Haut räumt ein, dass die Nutzung der Ästuare durch die Garnelenindustrie auch soziale Konflikt mit den Fischerfamilien in Champerico angeheizt hat.

    "Die Ästuare sind ergiebige Fanggründe. Eine Vielzahl von Larven wird aus dem Meer in ihre natürlichen Kanäle gespült. Es ist sehr einfach, dort zu fischen. Man braucht kein Boot wie auf hoher See, keinen Motor, keine großen Netze. Das Problem ist, dass die Fischer in denselben Ästuaren fischen, aus denen wir Wasser in unsere Zuchtbecken pumpen. Das ist ein natürlicher Konflikt. "

    Diesen Konflikt haben die Garnelenfarmen längst für sich entschieden. Seitdem die intensive Garnelenzucht vor etwa zehn Jahren in Guatemala Fuß gefasst hat, ist ein großer Teil der traditionellen Fanggründe zerstört worden. Weil die Garnelen in der Massentierhaltung der Zuchtbetriebe zu Pilzerkrankungen neigen, muss das Wasser ständig erneuert werden.

    An einer Stelle wird Wasser aus den Ästuaren gefiltert und in die Becken gepumpt, an anderer Stelle fließt schaumiges, grünes Wasser durch ein dickes Abflussrohr zurück, kontaminiert durch Pilzsporen und Chemikalien, zum Beispiel Antibiotika, mit denen die Züchter verschiedene Krankheiten bekämpfen. Bei der Zucht von einer Tonne Garnelen werden bis zu achtzig Tonnen Wasser genutzt.

    Nahezu die Hälfte der guatemaltekischen Garnelenproduktion wird in die Europäische Union verschifft. Dort gelten Garnelen als gesund, köstlich und noch immer ist ihr Image umhüllt von einem Hauch von Luxus. Die wenigsten Konsumenten wissen, dass viele Garnelenfarmen heutzutage billiger produzieren als Hühnerfarmen. Die Exporteure stecken hohe Gewinne ein, während sie die sozialen und ökologischen Kosten den betroffenen Gemeinden überlassen. Für die aber bringt die Garnelenzucht keinerlei Vorteile, meint Elmer Lopez, der ehemalige Koordinator des Greenpeace-Büros in Guatemala-Stadt.

    "In Küstenregionen, in denen die Fischer früher viel zu essen hatten, sieht man heute extreme Armut. Früher konnten die Menschen Garnelen fangen. Heute gibt es fast keine mehr. Früher waren die Leute gesund und wohlgenährt, weil sie jeden Tag Meeresprodukte aßen. Heute sieht man unterernährte Kinder. Das sind die offensichtlichsten Veränderungen, die die Garnelenindustrie den Menschen vor Ort gebracht hat. "

    Doch bald schon soll es Alternativen geben. Der deutsche Verband "Naturland" zum Beispiel lässt in Peru und Ecuador Garnelen produzieren, deren Zucht Richtlinien für nachhaltige Aquakultur entspricht.

    Doch unter den derzeitigen Marktbedingungen hat eine solche Produktion einen schweren Stand. Aufgrund des wachsenden Angebots hat sich der Weltmarktpreis innerhalb der vergangenen zwei Jahre halbiert. Trotzdem meint der US-amerikanische Meeresbiologe Alexander de Beausset ["Boßét"], auf lange Sicht gesehen habe die Garnelenindustrie keine Wahl.

    "Wir müssen auf unsere Umwelt achten. Es ist vielleicht einfach, riesige Produktionsflächen anzulegen, aber wenn sie nicht gut verwaltet werden, kommt es zu einem biologischen Rückschlag. Wenn du das Wasser nicht vernünftig nutzt und der Umwelt nicht etwas besseres zurückgibst als was du ihr genommen hast, dann ist es beim nächsten Mal umso schwieriger, erfolgreich zu sein. "