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Gase am Seegrund

Geophysik. - Italien hat nicht nur die meisten Vulkane Europas, auch viele Vulkane, die gemeinhin als erloschen gelten, sind immer noch aktiv. Ein Beispiel sind die Albaner Berge, ein Naherholungsgebiet bei Rom. Hier strömt immer noch Kohlendioxid an die Oberfläche. Die Vulkanexperten des geophysischen Nationalinstituts sind alarmiert.

Von Thomas Migge |
    Lago di Albano: Badeanstalt, Pizzeria, Restaurant. Einige Hotels und Ferienhäuser. Wie viele Menschen an diesem kleinen See in den Albaner Bergen leben, sich dort ständig oder nur zeitweise aufhalten, weiß kaum jemand. Auch Maria Luisa Carapezza weiß es nicht. Ihre Anfragen beim Einwohnermeldeamt und der lokalen Tourismusbehörde blieben bislang unbeantwortet. Die Vulkanforscherin Carapezza untersucht seit Jahren den See und seine Umgebung. In ihm schlummert eine tödliche Gefahr - Kohlenstoff.

    "Wir erforschen den See seit vielen Jahren und können mit Bestimmtheit sagen, jedenfalls in diesem Moment, dass Kohlendioxid nur in geringen Mengen in den unteren Wasserschichten des bis zu 170 Meter tiefen Vulkansees vorhanden ist. Der Wasserdruck und die dort kühlen Temperaturen sorgen dafür, dass dieses Gas nicht an die Wasseroberfläche aufsteigt und dort eine gefährliche Gasschicht bildet."

    Maria Luisa Carapezza, Vulkanologin am Nationalen Geophysischen Institut INGV in Rom spricht von der sogenannten Exhalation, vom Ausatmen, Ausdünsten. Vulkane fördern nicht nur Gesteinsschichten und Lockermaterialien wie Asche, Bims und Schlacke, sondern auch Gase zutage. Es gibt vulkanische Gase in unterschiedlichsten Formen. Zum Beispiel das übel riechende Schwefeldioxid SO2 und das unter Umständen gefährliche Kohlendioxid CO2. Kohlendioxid findet sich auch in den tiefen Wasserschichten des Lago di Albano. Der beliebte See im Naherholungsgebiet unweit Roms - auch der Papst hat seine Sommerresidenz in Ufernähe - füllt den ellipsenförmigen, zwei Kilometer breiten und drei Kilometer langen Krater eines Vulkankraters aus. Eines, wie man bisher immer dachte, erloschenen Vulkans. Aber das Studium antiker römischer Texte, die im vierten vorchristlichen Jahrhundert eine Katastrophe in der Umgebung dieses Sees beschreiben, wird von den Vulkanologen des INGV als deutlicher Hinweis auf eine Gasemission gedeutet. Den Vulkan unterhalb dieses Sees stufen die Wissenschaftler also noch als aktiv ein. Denn als erloschen gilt ein Vulkan erst dann, wenn er seit mindestens 5000 Jahren weder Gestein noch Gase an die Erdoberfläche fördert.

    "Wir können aufgrund unserer jüngsten Studien in keiner Weise ausschließen, dass dieser Vulkan wieder aktiv wird. Nicht in dem Sinn, dass er explodiert oder Magma ausläuft. Aber die Exhalation von CO2 könnte sprunghaft ansteigen. Zum Beispiel durch ein Erdbeben, das Vulkangase freisetzt. CO2 würde in so einem Fall aber in den tiefen Wasserschichten gebunden und nicht direkt eine Gefahr darstellen. In Testmodellen haben wir das bereits durchgespielt."

    Würden aber die Wasserschichten des Sees durch einen Erdrutsch an den Berghängen am Seeufer bei einem Erdbeben ins Wasser rutschen, käme es zu einem Mini-Tsunami. Die Folge: Die unteren Wasserschichten drängen zur Wasseroberfläche. Das im Wasser gebundene Kohlendioxid wird freigesetzt und bildet - da es schwerer ist als Sauerstoff - eine Gasschicht oberhalb des Sees. Ähnliches geschah 1986 im afrikanischen Kamerun: Dort entwich aus dem Nios-Kratersee, vermutlich infolge eines Erdrutsches oder einer Vulkaneruption, soviel CO2, dass fast 2000 Menschen und 3000 Tiere an den Seeufern starben. Die Katastrophe kam überraschend, denn die tropische Sonne in Kamerun sorgte stets dafür, dass kaltes Tiefenwasser, mit CO2 übersättigt, nicht an die Seeoberfläche aufstieg. Ein Gleichgewicht, das, wie der Fall dieses Vulkansees deutlich machte, durch geophysische Umstände gestört wurde: Das in der Seetiefe gebundene Gas perlte in die wärmeren Wasserschichten und bildete eine tödliche Wolke.

    Der Albaner See ist wie der Lake Nios - klein und tief. Von einer Gefahr wollen die Experten beim Lago di Albano derzeit nicht sprechen. Die CO2-Konzentrationen liegen so niedrig, dass auch ein Erdrutsch oder ein Erdbeben nur kleine Gasmengen freisetzen würde. Zur Sicherheit kontrollieren Maria Luisa Carapezza und ihre Kollegen vier Mal im Jahr mit einer Sonde die im Wasser gebundenen Gasmengen am Seegrund. Wie lange sie diese Kontrollprüfungen aber noch durchführen können, ist ungewiss. Die Regierung hat die Finanzmittel für die Erforschung erloschener Vulkane gestrichen. Signora Carapezza versucht jetzt das Wissenschaftsministerium davon zu überzeugen, dass von "erloschen" im Fall des Albaner Sees keine Rede sein kann.