Vor der irischen Küste bei Galway erheben sich in einem Kilometer Wassertiefe unzählige Seehügel. 100 Meter erreichen diese steilflankigen Kalkberge. Es seien Kathedralen im Meer, beschreibt Jean Pierre Henriet von der Universität Gent, von Lebewesen erbaut:
Wir finden solche Seehügel während der gesamten Erdgeschichte. Von den Anfängen des Lebens an haben sich zuerst Mikroben und später auch Korallen, Moostierchen, Schwämme oder Seelilien zusammengeschlossen, um Seehügel, gewaltige Städte am Meeresgrund, zu bilden.
Anfangs waren es, von den Dimensionen her, eher Dörfer, aber im Lauf der Jahrmilliarden wuchsen die Bauten, bis hin zu den modernen Seehügeln, die gewaltiger sind als alle ihre Vorläufer. Während die ersten "Hügelchen" in Form von Matten aus Cyanobakterien noch auf die flachen Wasserzonen begrenzt waren, wachsen die Seehügel von heute im tiefen Wasser, entlang der Kontinentränder, hin zum Abbruch in die Tiefsee. Sie bauen sich aus den Skeletten abgestorbener Riffbildner samt "Mitbewohnern" auf - und auf vielen leben Tiefwasserriffe.
Wie diese Hügel entstehen, ist mysteriös. Wir glauben, dass mehrere Faktoren zusammenspielen müssen. Es gibt zum einen den Zusammenhang zu Öl- und Gaslagerstätten. Dass Kohlenwasserstoffe aus dem Untergrund sickern, mag den Startschuss geben, um den Meeresboden für die Entstehung eines Seehügels zu präparieren. Das Leben selbst baut dann diese Hügel auf, das heißt, das Meer muss zum anderen mit seinen Strömungen genügend Nahrung für die Organismen heranschaffen.
Schließlich leben die tierischen Baumeister vom Plankton. Aber ehe sie ihre Tiefsee-Kathedralen bauen können, brauchen sie ein Fundament:
Sie brauchen eine solide Basis, und da kommen Bakterien ins Spiel, die das Sediment festigen können. Seehügel entstehen wahrscheinlich nur in Kooperation zwischen verschiedenen Lebensformen.
Den Anfang bilden Bakteriengemeinschaften, die das Methan nutzen, das aus dem Meeresboden sickert. Aber dazu muss das Gas erst einmal aus der Lagerstätte den Meeresboden erreichen, also über poröse Gesteinsschichten hinauf wandern. Am Meeresgrund tritt das Methan dann an Schwächezonen aus, etwa an "pockmarks", also Kratern, die den Boden wie Pockennarben übersäen, oder an gewaltigen Schlammvulkanen.
Cluster aus Seehügeln entstehen entlang der Wanderungswege von Methan, wo es an die Oberfläche kommt und dort von Mikroben zu Karbonat, zu Kalk, oxidiert wird. Das konnten wir vor der Küste Afrikas beobachten, wo an den steilen Böschungen von Schlammvulkanen kleine Kalkberge wachsen. Wir glauben, dass sie den Meeresboden vorbereiten, und später Korallen und Schwämme diese Stellen dankbar nutzen.
Auch vor der irischen Küste erheben sich Seehügel über kleinen Methanansammlungen im Untergrund, die von tiefer gelegenen, größeren Reservoirs gespeist werden. Die Bedeutung der Seehügel zeichnet sich erst allmählich ab:
In Modellen haben wir bis vor kurzem den Meeresboden als geschlossenes System betrachtet und nur das Wechselspiel zwischen Ozean und Atmosphäre berücksichtigt. Jetzt sehen wir, dass der Fluss aus dem geologischen Reich unter dem Meeresboden in die Ozeane hinein genau so wichtig ist wie der zwischen dem Meer und Atmosphäre.
Während der Gasaustausch an der Grenze Meer-Luft durch Wellen und Wind kontinuierlich läuft, ist er an der Grenze Erde-Meer eher sporadisch. Es muss sich erst genug Methan ansammeln, ehe es durchbrechen kann. Insgesamt ist dieser Methanfluss ungeheuer hoch. Das Zusammenspiel von Geosphäre und Wasser sei ebenso wichtig wie das von Meer und Luft, so Henriet, das sei die erste Erkenntnis des Projekts "Geomound". Die zweite sei paläontologischer Natur, denn man muss das Bild von der geologisch-biologischen Entwicklung der Tiefsee überdenken. Bislang galten Seehügel als Zeichen für Flachwasser - aber anscheinend muss das nicht so sein. Die Tiefsee als Lebensraum könnte schon sehr viel länger ein wichtiges Ökosystem gewesen sein als bislang gedacht.