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Geboren für die Börsen-Rallye

Biologie.- Dass es an den Börsen hektisch zugeht, ist allgemein bekannt. Auf die Spitze getrieben wird diese Eile aber durch den sogenannten Hochfrequenzhandel, wo Börsianer Entscheidungen in Minuten- oder Sekundenabständen treffen müssen. Forscher aus Cambridge haben nun die biologischen Voraussetzungen für diese Tätigkeit untersucht.

Von Martin Hubert | 06.01.2012
    Sie selbst halten sich wohl für die Elite der Börse. Kritiker meinen, sie seien deren größte Gefahr: Hochfrequenzhändler, die mit Millionenbeträgen hantieren und sie mitunter sekundenschnell hin und her schieben, um Gewinne zu realisieren oder Verluste zu vermeiden. Diese Börsenhändler müssen besonders risikobereit sein, blitzschnell reagieren und eine hohe Konzentrationsfähigkeit besitzen. Das sind alles auch Eigenschaften von Hochleistungssportlern. Den Neurowissenschaftler John M. Coates von der Universität Cambridge brachte das auf eine Idee. Denn bei Spitzensportlern fand man früher schon ein leicht zu messendes Merkmal, das anzeigt, welche biologischen Wurzeln ihre Höchstleistungen haben.

    "Es ist das Größenverhältnis des Zeigefingers zum Ringfinger. Je mehr jemand schon vor der Geburt männlichen Hormonen wie Testosteron ausgesetzt ist , desto kürzer ist sein Zeigefinger im Vergleich zum Ringfinger. Wir halten das für einen verlässlichen Marker, denn bestimmte Gene im Körper sind gleichzeitig für die Entwicklung der Fingerlänge und der Geschlechtsdrüsen zuständig. Wir sehen also eine genetische Verbindung zwischen diesen beiden Eigenschaften."
    Ganz unumstritten ist diese These nicht. Aber einige Studien legen tatsächlich nahe, dass Menschen mit relativ kürzeren Zeigefingern Empfangsstrukturen im Körper besitzen, die besonders sensibel auf männliche Hormone reagieren. John Coates untersuchte daher, ob die Fingergröße auch etwas darüber aussagen kann, wie leistungsfähig Hochfrequenzhändler sind. Sein Team verglich die Finger von 44 männlichen Händlern an der Londoner Börse. Außerdem beobachteten die Forscher fast zwei Jahre lang deren Gewinnentwicklung. Das Resultat :

    "Die relative Fingergröße sagte tatsächlich voraus, wie viel Gewinn die Händler in den beiden Jahren machten. Gemeinsam mit dem Hormonspiegel scheint sie generell die Risikobereitschaft anzuzeigen und auch das Arbeitstempo. Frühere Studien belegten bereits, dass sie mit der Genauigkeit visueller Wahrnehmung und der Reaktionsgeschwindigkeit zusammenhängt, die Hochfrequenzhändler für ihre schnelle Arbeit benötigen. Noch verblüffender war, dass die relative Fingergröße voraussagte, wie lange die Händler im Job blieben."

    Je kürzer der Zeigefinger im Vergleich zum Ringfinger war, desto profitabler arbeiteten die Händler und desto länger hielten sie offenbar den Stress des Hochfrequenzhandels aus. John Coates Studie legt daher nahe, dass eine schon vorgeburtlich einsetzende Mehrproduktion männlicher Hormone die Bereitschaft von Börsenhändlern erhöht, Risiken einzugehen. Und sie steigert die Fähigkeit, Belastungen am Arbeitsplatz zu bewältigen und dauerhaft auszuhalten.

    Heißt das, dass sich das Verhalten an der Börse auf biologische Wurzeln zurückführen lässt? In gewissem Ausmaß schon, meint John Coates. Allerdings unterschätzt er keineswegs die Rolle wirtschaftlicher Organisationsstrukturen.

    "Dies Hochfrequenzhändler erhalten keine längerfristigen Bonuszahlungen, sondern leben von dem Profit, den sie permanent neu erwirtschaften müssen. Diese Managementstrukturen bringen die Händler also dazu, auf den möglichen Gewinn pro Einsatz zu schauen und nicht so sehr auf die langfristige Gewinn-und Verlustrechnung. Offenbar benötigt der Hochfrequenzmarkt also Athleten mit bestimmten natürlichen Eigenschaften, eben einem hohen Testosteronanteil. Aber sie müssen durch die Managementstrukturen auch stimuliert und trainiert werden."

    Händler, die hauptsächlich dem schnellen Profit nachjagen, sind natürlich auch eine Gefahr. Denn sie neigen dazu, das Spiel mit dem Risiko zu übertreiben anstatt an nachhaltige Effizienz zu denken. Wer globale Krisen an den Finanzmärkten verhindern will, müsste daher wohl gleichermaßen die Biologie des Menschen wie die wirtschaftlichen Organisationsstrukturen beachten.