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Geburt einer Insel

Im Niedersächsischen Wattenmeer entsteht zurzeit zwischen den ostfriesischen Inseln Borkum und Juist eine neue Insel. Die Kachelotplate war einst eine Sandbank, heute ist sie fast vier Quadratkilometer groß. Geologen benannten die entstehende Insel nach dem französischen Wort cachalot für Pottwal.

Von Sinja Schütte |
    Weißer Sand und rundherum blaues Meer - fast wie eine Südsee-Insel sieht sie aus, die Kachelotplate. Das jedenfalls zeigt eine Luftaufnahme der Insel im Internet. Aber die Sandbank westlich von Juist ist keineswegs ein Urlaubsparadies, sondern Forschungsobjekt, sagt der Geschäftsführer vom Forschungszentrum Terra Mare in Wilhelmshaven, Gerd Liebezeit:

    "Die klassischen Inseln sind ja fertige Inseln mit fertig ausgebildetem Dünensystem, die Kachelotplate hat bestenfalls Minidünen, die gerade einen bis eineinhalb Meter hoch sind. Da haben wir die Gelegenheit, zu verfolgen, wie wachsen die Dünen auf, welche Rolle spielen die Pflanzen, welche Rolle spielen die Insekten bei der Verteilung von Pflanzenmaterial, welche Rolle spielen Strömungen und woher kommt der Sand, der dazu führt, dass die Plate in der Höhe hin aufwächst?"

    Zurzeit sind einige Dünen bis zu eineinhalb Meter hoch. Drei Stürme im Winter, unter anderem "Kyrill", haben die Sanddünen zum Teil auf nur einen halben Meter schrumpfen lassen. Warum die Insel nicht im Meer verschwindet, sondern immer noch wächst, erklärt sich der Meereschemiker so:

    "Was uns sehr überrascht hat, ist, dass sich diese Kachelotplate offensichtlich auf einem alten Platensystem gebildet hat, so wie wir das aus dem Wattenmeer kennen. Das sind Sandplaten oder auch Schlickplaten, die fest liegen und dann sozusagen als Bremse für den Sand fungieren."

    Die Sandbank fünf Kilometer westlich von Juist ist seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Erstmals wird sie 1960 als hochwasserfreie Plate oder als Insel auf historischen Karten über die Küstenlandschaft erwähnt. Vor vier Jahren erklärt der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasser, Küsten- und Naturschutz die Plate offiziell zur Insel:

    "Da ist sie soweit aus dem Wasser rausgekommen ist, dass sie nicht bei jedem Hochwasser mit Wasser bedeckt war. Das ist ja das Kriterium einer Insel, dass sie dauerhaft rausguckt."

    Doch nicht nur das Alter der Kachelotplate werde erforscht, sagt der Meereschemiker. Untersucht werde auch, wie und warum sich im Sand Süßwasser bildet:

    "Alle voll entwickelten Inseln im Niedersächsischen Wattenmeer haben so genannte Süßwasserlinse, das ist Süßwasser, das im Prinzip auf salzigem Boden schwimmt und was sie früher auf den Inseln auch zur Trinkwasserversorgung benutzt haben und wir können verfolgen, wie sich so eine Süßwasserlinse bildet und das ist teilweise recht weit fortgeschritten."

    Die Kachelotplate ist für viele Vögel inzwischen ein optimaler Rastplatz geworden. Pfuhlschnepfen, Eiderenten und Seeschwalben wurden schon auf der Insel gesichtet, weiß Peter Becker. Der stellvertretender Leiter des Instituts für Vogelforschung in Wilhelmshaven schätzt, dass die Vögel auf der Kachelotplate in Zukunft mehr als nur rasten wollen:

    "Es könnte sein, dass die Kachelotplate irgendwann Brutgebiet wird. Die Vögel haben da ein sehr gutes Auge und sehen, wann so eine Insel attraktiv und sicher genug ist, dass man dort brüten kann."

    Die Kegelrobben haben die Insel vor Juist schon längst für sich entdeckt. Im Winter räkelten sich auf den Sandbänken elf Kegelrobben-Babys. Insgesamt wurden in diesem Jahr bei Zählflügen 54 der Meeressäuger auf den Sandbänken der Insel gesichtet, berichtet Richard Czeck von der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer in Wilhelmshaven:

    "Kegelrobben brauchen Liegeplätze, an denen der Nachwuchs ungestört aufgezogen werden kann. Sie liegen da mehrere Wochen und gehen nicht wie Seehunde gleich bei der ersten Flut mit ihrer Mutter schwimmen."

    Die Kachelotplate wird zur Kinderstube der Kegelrobben. Denn hier können sie ungestört liegen, erklärt der Biologe:

    "Die Kachelotplate ist Ruhezone. Das ist hier der größte Schutzstatus hier im Nationalpark. Gerade wegen dieser Besonderheit, die wir an dieser Stelle haben, ist es wirklich die größte Konzentration von Kegelrobben in diesem Gebiet, sollte die Kachelotplate weder von Touristen noch von Bootsfahrern angelaufen werden und das Gebiet sollte möglichst großräumig gemieden werden."

    Wie sich die neue Insel Kachelotplate entwickelt, werden die Wissenschaftler zunächst bis Dezember beobachten. Dann werden sie erste Ergebnisse vortragen.