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Geert Wilders vor Gericht

Der niederländische Geert Wilders und seine islamfeindliche Partei PVV sorgen europaweit für Empörung. Nun muss sich der Rechtspopulist vor Gericht verantworten - wegen Diskriminierung und Volksverhetzung.

Von Kerstin Schweighöfer | 04.10.2010
    Das Amsterdamer Bezirksgericht am Parnassusweg 220: Hier wird heute der Prozess gegen Geert Wilders weitergeführt. In Anwesenheit von Journalisten aus aller Welt, Rechtsexperten, Jurastudenten - und treuen Anhängern von Wilders:

    Auch das Rentnerehepaar Andrea und Jan Kramer will sich keinen Prozesstag entgehen lassen und jeden Morgen von Rotterdam nach Amsterdam fahren.

    Für Wilders. Und für die Meinungsfreiheit, betonen die beiden. Für sie ist der umstrittene Rechtspopulist der einzige, der imstande sei, die vermeintliche Islamisierung der Niederlande zu verhindern.

    Dass Wilders jetzt wegen seiner Islamkritik der Prozess gemacht werde, sei eine Schande, schimpfen die Kramers:

    Wilders muss sich wegen zwei Delikten vor Gericht verantworten: Erstens Aufstachelung zu Hass und Diskriminierung, zweitens Beleidigung einer Bevölkerungsgruppe wegen ihrer Religion, wobei es in beiden Fällen um Muslime geht.

    So hatte Wilders in der Tageszeitung "de Pers" dazu aufgerufen, die Grenzen zu schließen und keinen Islamisten mehr herein zu lassen. Im "Volkskrant" betonte er, das kriminelle Verhalten marokkanischer Jugendlicher gehe auf ihre Kultur und Religion zurück; Islam und Kriminalität ließen sich nicht voneinander trennen. Wilders nennt den Koran ein faschistisches Buch, das verboten werden müsse. Er vergleicht den Koran mit Hitlers "Mein Kampf" – ein Vergleich, an dem er auch nach dem Prozessauftakt festhält:

    "Ich werde das weiterhin sagen, denn in beiden Fällen geht es um Bücher totalitärer Ideologien."

    Mit diesem Vergleich ging Wilders eindeutig zu weit, sagt Gerard Spong. Er gehört zu den bekanntesten Anwälten der Niederlande und hat sich dafür eingesetzt, dass Wilders deswegen der Prozess gemacht wird.

    "Die Meinungsfreiheit hat Grenzen. Mit der Anklage wird deutlich gesagt: Bis hierher und nicht weiter."

    Falsch, sagt einer von Spongs Kontrahenden, der Utrechter Strafrechtsexperte Theo de Roos. Es gehe hier um eine politische Debatte, für die man nicht das Strafrecht bemühen dürfe. Der 62-jährige Professor hat mit Wilders nichts am Hut, er bezeichnet dessen Aussagen sogar als "ranzig", als widerlich. Dennoch wäre de Roos bereit gewesen, im Wildersprozess als Zeuge der Verteidigung aufzutreten:

    "Die Meinungsfreiheit ist ein zu verletzbares Gut, um gleich das Strafrecht auf sie anzusetzen. Das sollte reserviert bleiben für Fälle, in denen durch bestimmte Aussagen oder Aufrufe akute Gefahr entsteht. Wenn Leben auf dem Spiel stehen. Die Amerikaner nennen das 'clear and present danger'. Aber wenn es um Meinungen geht, so verkehrt oder schrecklich man sie auch finden möge, dann muss man sie mit politischen Argumenten zu widerlegen versuchen."

    Wilders kann zu einer Haftstrafe von maximal zwei Jahren verurteilt werden. Ob es soweit kommt, ist fraglich. Eine Verurteilung wegen Beleidigung einer Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer Religion halten viele Experten sogar für ausgeschlossen. Denn in diesem Falle können die Richter auf einen Präzedenzfall zurückgreifen: Im letzten Jahr wurde ein Mann von der höchsten juristischen Instanz der Niederlande, dem Hohen Rat, freigesprochen: Er hatte ein Plakat in seinem Fenster aufgehängt mit den Worten: "Stoppt das Krebsgeschwür Islam!"

    "Damit hatte er sich jedoch nicht strafbar gemacht", erklärt Professor de Roos. "Denn, so lautete das Urteil: Die Verunglimpfung einer Religion ist nicht automatisch auch eine Beleidigung aller Gläubigen."

    Im anderen Anklagepunkt "Aufstachelung zu Hass und Diskriminierung" sieht es schlechter für Wilders aus: Da könnte sich das Gericht an Präzedenzfällen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg orientieren.

    Und dort war erst im letzten Mai Jean Marie Le Pen abgeblitzt, der frühere Leiter der rechtsextremen französischen Partei "Front National": Aufgrund verletzender und diskriminierender Aussagen in einem Interview mit der Tageszeitung "Le Monde" war Le Pen zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt worden. Aber, so stellte der Straßburger Hof klar: "Die Aufstachelung zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen eine ethnisch oder religiös bestimmte Gruppe ist nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt."