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Gefährliche Heimat

Erstmals reicht Kolumbiens Regierung den Millionen Bürgerkriegsflüchtlingen die Hand: Ein Entschädigungsgesetz soll ihnen die Rückkehr in die Heimat ermöglichen. Doch in die aufkeimende Hoffnung vieler Vertriebener mischt sich Angst.

Von Nils Naumann | 12.01.2013
    Gabriel Garces: "Die Paramilitärs haben mich vertrieben. Sie drohten, mich umzubringen, gaben mir drei Tage, um meine Farm zu verlassen. Ihr Kommandant war ein berüchtigter Killer."

    Alicia Pacheco: "Ich bin von der Guerilla vertrieben worden, zusammen mit meiner Familie. Ich war noch ein Kind. Später habe ich versucht, unser Land zurück zu bekommen. Da haben die neuen Besitzer mich bedroht. Ich habe alles bei den Behörden angezeigt, aber die haben mich nicht beachtet."
    Gabriel Garces und Alicia Pacheco wirken müde, wenn sie von ihrem Schicksal erzählen. In solchen Momenten wenden sie sich ab, ihr matter Blick schweift in die Ferne. Ihre Gesichter sind vorzeitig gealtert, gezeichnet von Krieg, Gewalt und Vertreibung.

    Der 55-jährige Garces und die 43-jährige Pacheco leben in Uraba. Die Region im Nordwesten Kolumbiens gehört zu den Brennpunkten des Bürgerkriegs. Seit Jahrzehnten kämpfen hier linke Guerilleros, paramilitärische Milizen und die Regierung um die Vorherrschaft. Zehntausende Menschen wurden getötet, Hunderttausende vertrieben.

    Jetzt soll alles anders werden. In einem Werbespot der Regierung preisen Kinder das Entschädigungsgesetz. Zum ersten Mal, heißt es da, würden die Opfer des Bürgerkriegs ganz oben auf der Prioritätenliste der Regierung stehen.

    Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos reiste demonstrativ mit dem gesamten Kabinett in die Krisenregion Uraba – um dort für das Entschädigungsgesetz zu werben:

    "Wir wollen Versöhnung, Frieden und Entwicklung. Und dabei wird uns niemand aufhalten. Unsere Vision ist, dass jeder Vertriebene, der einen gerechtfertigten Anspruch auf sein Land hat, zurückkehren kann."

    Rund 20.000 Vertriebene verfolgten die Rede des Präsidenten. Frauen, Kinder, Junge, Alte – zusammengeströmt aus der gesamten Region – mit Bussen, Booten oder zu Fuß. Sie alle kamen trotz Drohungen der Gegner des Entschädigungsgesetzes. Juan Manuel Santos, hellblaues Hemd, helle Hose, trat betont leger auf. Auch seine Wortwahl - für einen konservativen Politiker eher ungewöhnlich:

    "Es geht hier nicht nur um ein Entschädigungsgesetz. Es geht um eine Agrar-Revolution. Sie wird die ländlichen Regionen in ein Gebiet der Entwicklung und des Wohlstands verwandeln. Es ist eine Revolution ohne Waffen – mit der Verfassung und dem Recht in der Hand."

    In kaum einem Staat ist das Land so ungerecht verteilt wie in Kolumbien. 3000 Großgrundbesitzer kontrollieren rund die Hälfte des landwirtschaftlich genutzten Bodens. Und so kamen die Ankündigungen? des Präsidenten bei Vertriebenen wie Gabriel Garces und Alicia Pacheco gut an:

    "Der Auftritt des Präsidenten hat uns Hoffnung gemacht. Wie er zu uns gesprochen hat, dass er uns helfen wird, dass er es ernst meint, dass befriedigt uns."

    Auch Carmen Palencia von der Vertriebenenorganisation Tierra y Vida begrüßt das Entschädigungsgesetz:

    "Wir erwarten, dass damit endlich das geraubte Land den rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben wird."

    Rund fünf Millionen Menschen wurden in den vergangenen Jahren in Kolumbien vertrieben. Nach Angaben von Palencia haben davon rund 1,6 Millionen Land verloren. Die gestohlenen Ländereien haben fast die Größe Österreichs. All das macht das Vorhaben der Regierung zu einer Mammutaufgabe.

    Das Gesetz gilt seit Anfang 2012. Innerhalb von zehn Jahren sollen Entschädigung und Landrückgabe abgeschlossen sein. Doch bisher ist trotz der hohen Erwartungen noch nicht viel passiert. (Viel Zeit verging mit dem Aufbau der notwendigen Bürokratie.) Im Dezember vergangenen Jahres erhielten die ersten 31 Familien Titel für das Land, das ihnen geraubt wurde. Außerdem bekamen sie jeweils rund 10.000 Euro Entschädigung für ihre zerstörten Häuser. Doch die Rückkehr auf die eigene Scholle ist damit noch lange nicht gesichert. Vertriebenen-Aktivistin Carmen Palencia:

    "Das größte Problem ist die extreme Rechte. Die ist organisiert und bewaffnet. Die wollen es nicht zulassen, dass man ihnen das geraubte Land wieder wegnimmt. Dafür töten sie Anführer der Vertriebenen und Antragsteller. Sie machen alles, um das Land nicht zurückgeben zu müssen."

    Seit 2010 wurden mehr als 30 Anführer der Vertriebenenbewegung ermordet. Viele mussten ihre Heimatregionen verlassen. Auch Carmen Palencia bekam Todesdrohungen. Heute lebt sie in der Hauptstadt Bogota. Nach Uraba kommt sie nur noch mit Bodyguards der Zentralregierung:

    "In Uraba ist der Einfluss der Paramilitärs und der Vertreiber immer noch sehr groß, ihre Hintermänner finanzieren Abgeordnete, Bürgermeister und Gouverneure."

    Und so haben viele Vertriebene noch immer Angst. Auch Gabriel Garces:

    "Ein Bauer zählt hier nichts. Ohne Sicherheit sind wir Freiwild. Diese Banditen sind ja noch immer da. Wenn die Regierung uns keine Sicherheit gewährt, dann wäre es gefährlich zurückzukehren. Es kostet diese Leute nichts, einen zu erschießen und irgendwo in den Bergen zurückzulassen."

    Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos hat den Vertriebenen Sicherheit versprochen. Es ist sein Verdienst, dass Menschen wie Gabriel Garces wieder Hoffnung schöpfen. Jetzt muss Santos dafür sorgen, dass dieses neue Vertrauen in die Politik nicht enttäuscht wird. Doch das wird schwierig: zu gering ist der Einfluss der Zentralregierung in den Konfliktregionen. Denn der Bürgerkrieg, in dessen Schatten Millionen Menschen vertrieben wurden, geht weiter. Umso wichtiger wäre ein Erfolg der in Havanna laufenden Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der linken FARC-Guerilla. Auch dort steht das Thema Land im Mittelpunkt.