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Gefährliche Mischung

Am 18. April vergangenen Jahres wurden drei Christen in der Türkei ermordet, darunter der deutsche Missionar Tillmann Geske. Der Prozess gegen die drei mutmaßlichen Mörder offenbart ein alarmierendes Bild vom Zustand der türkischen Gesellschaft. Gunnar Köhne berichtet.

18.01.2008
    Orhan Cengiz sieht abgekämpft aus. Immer wieder nimmt der kräftig gebaute Jurist seine Brille ab, um sich die müden Augen zu reiben. Zehn Stunden dauerte die Gerichtsverhandlung am vergangenen Montag vor dem Landgericht der ostanatolischen Provinzstadt Malatya. Es ging um den Mord an drei Christen vom 18. April letzten Jahres, darunter der deutsche Missionar Tillmann Geske. Drei Jugendliche hatten ihren Opfern in einem Bibelverlag die Kehlen durchgeschnitten. Ein Verbrechen, das die Welt und die Türkei gleichermaßen schockierte.

    Orhan Cengiz ist einer von insgesamt 15 Verteidigern, die als Nebenkläger die Interessen der Familienangehörigen vertreten. Doch mit jedem Prozesstag schwindet die Hoffnung der Verteidigung, dass den Hinterbliebenen Gerechtigkeit widerfahren wird:

    "Die Hälfte der 32 Aktenordner der Staatsanwaltschaft beschäftigt sich mit den Aktivitäten von christlichen Missionaren in der Türkei, als gehe es um die Auseinandersetzung unter zwei kriminellen Banden und nicht darum, dass drei wehrlosen Menschen die Kehle durchgeschnitten worden ist."

    Zahlreiche Akten und Videobeweise sind bereits verschwunden oder unvollständig. Die Verteidiger durften die Obduktionsfotos und E-Mail-Protokolle der Beschuldigten nicht einsehen. Die drei Jugendlichen im Alter von 19 und 20 Jahren hatten vor der Tat Kontakt zu staatlichen Stellen gehabt: Hier ein Gespräch mit einem Armeeoffizier, dort ein Telefonanruf bei einem Richter. Der Hauptbeschuldigte soll sich gar einmal mit dem Polizeichef von Malatya getroffen haben.

    Ob in Malatya, bei der Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink und beim Anschlag auf den katholischen Priesters Andrea Santoro in Trabzon - Anwalt Cengiz sieht bei allen Anschlägen auf Christen in der Türkei ein auffallendes Muster, das auf Hintermänner schließen lässt:

    "Wenn sie sich die Täter der vergangenen drei Jahre angucken, dann sehen sie auffällige Gemeinsamkeiten: Alle waren wenigstens zeitweise Mitglied einer rechtsextremen Partei, sie stammen aus sozial schwachen Familien, aber waren dennoch in der Lage, ihre Opfer über einen längeren Zeitraum hinweg auszuspähen. In dieser Zeit trafen sie sich mit den unterschiedlichsten Leuten, sie gewinnen Komplizen - aber in den Akten ist darüber hinterher kaum etwas wieder zu finden."

    In der Fernsehserie "Tal der Wölfe" vor zwei Wochen: Der Serienheld Polat Alemdar, ein rücksichtsloser nationalistisch gesinnter Geheimdienstagent mit Verbindungen zur Mafia, muss dieses Mal einen Mord an einem Christen aufklären. Es wird schnell klar: Die Tat wurde ebenfalls von einem Christen begangen, um ihn hinterher den Türken in die Schuhe zu schieben. Der Drehbuchautor der in der Türkei überaus populären Serie, Cüneyt Aysan, glaubt auch persönlich an solche Verschwörungstheorien:

    "In der Türkei gibt es doch kaum Christen. Der Plan ist, die Zahl der Christen durch Mission wieder zu vergrößern, dadurch Gegenreaktionen der Bevölkerung bis hin zu Morden zu provozieren und diese dann den Türken allgemein anzuhängen und die Türkei international zu diskreditieren. Das versucht unsere Hauptfigur Polat eben zu verhindern."

    Dass solche Ansichten in der Türkei längst salonfähig sind und dass die Kampagne gegen Christen auch ein Jahr nach der Ermordung Hrant Dinks weitergeht, lässt bei Menschenrechtlern die Alarmglocken schrillen. Rechtsanwalt Orhan Cengiz meint, dass in den Prozessen gegen die Mörder von Malatya und von Hrant Dink auch über die Zukunft seines Landes entschieden werde:

    "Diese Prozesse sind ein Symbol, denn dieses Land steht auf der Kippe: Entweder rutscht es ab in eine Art Faschismus - wofür es in der Bevölkerung breite Unterstützung gäbe -, oder wir entscheiden uns für den Weg der Demokratie, der Menschenrechte und einer offenen Gesellschaft."