Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Gefährliche Untermieter

Medizin. – Cholera gehört zu den verheerendsten Seuchen der Menschheit. Allerdings lassen sich bei der Durchfallerkrankung saisonale Muster erkennen, so dass sich Wissenschaftler fragen, wo der Erreger in der Zwischenzeit überdauert. Schwedische Forscher haben vielleicht die Lösung gefunden.

Von Volker Mrasek | 09.09.2005
    Niemand möchte freiwillig mit ihnen in Berührung kommen. Gunnar Sandström dagegen holte sich Cholera-Erreger ganz bewusst ins Haus - in sein Sicherheitslabor im Karolinska-Institut in Stockholm, Abteilung für Klinische Bakteriologie:

    "Die Bakterien, die wir in unserer Studie benutzt haben, stammen vom letzten großen Cholera-Ausbruch. Er ist fünf bis sechs Jahre her."

    In Afrika nahm die Epidemie damals ihren Anfang. Die Cholera gilt als "Seuche der Armen" und unsauberes Trinkwasser als Haupt-Infektionsquelle. Doch so viele Opfer die Krankheit auch immer wieder fordert, in Afrika und Fernost, in Mittel- und Südamerika: Das Leben des Erregers, des Bakteriums Vibrio cholerae - es liegt noch immer weitgehend im Dunkeln. Sandström:

    "Es gibt Monate, in denen kein einziger Cholera-Fall auftritt. In dieser Zeit bleiben die Bakterien verschwunden. Wir können sie dann in der Natur nicht finden. Aber es muss ja irgendein Versteck geben, in dem sie überdauern."

    Sandström und seine Arbeitsgruppe am Karolinska-Institut könnten das Geheimnis jetzt gelüftet haben. Bei Kulturversuchen im Labor stellten sie fest: Cholera-Bakterien missbrauchen andere einzellige Organismen als heimlichen Unterschlupf. Oder, wie es Sandström formuliert: als trojanische Pferde. Dazu dienen ihnen Amöben. Das sind die schlüpfrigen Wesen, die uns noch aus dem Biologie-Unterricht geläufig sind, weil sie sich unter dem Mikroskop immer so komisch fließend fortbewegten. Von diesen Amöben gibt es etliche Arten in der aquatischen Umwelt. Sie leben unauffällig in Tümpeln, Sümpfen und Seen. Für ihre Laborversuche wählten die schwedischen Mikrobiologen eine weitverbreitete Sorte. Sandström:

    "Wie wir sehen konnten, überleben die Cholera-Bakterien in den Amöben. Sie werden nicht gefressen. Sie überleben! Und nach einer Weile beginnen sie sogar, sich zu vermehren. Und auch das - in der Amöbe!"

    Von einer solchen "intrazellulären Lebensweise" des Cholera-Erregers habe man bislang nichts gewusst, sagt Sandström. Die Vermutung war eher, dass er sich als eine Art blinder Passagier an Plankton-Organismen im Wasser heftet, zusammen mit anderen Bakterien. Und dass die Mikroben dann einen Biofilm ausbilden und sich darin verbergen. Durch die Arbeit der Schweden erscheint nun eher denkbar, dass die Vibrio-Bakterien sich in freilebenden Amöben verkrümeln:

    "In schwierigen Zeiten bilden Amöben eine sogenannte Zyste aus. Das ist ein Dauerstadium, in dem sie selbst bei starker Hitze und ohne Wasser überleben können. Wir haben Cholera-Bakterien auch in den Zellwänden dieser Zysten gefunden. Das heißt: Wenn die Amöben wochen- oder monatelange Dürreperioden in ihrer Kapselform überstanden haben, dann tragen sie immer noch die Cholera-Bakterien."

    Sandström ist sicher, dass der Mensch Cholera-Bakterien auch in dieser Form aufnimmt - als Parasiten, die sich - versteckt in einer "trojanischen Amöbe" - Zugang zum Körper verschaffen. Wo sie dann später ihre Giftstoffe produzieren, die gefürchteten "Cholera-Toxine". Für Sandström eröffnen sich damit neue Möglichkeiten im Kampf gegen die "Seuche der Armen":

    "Es gibt Antibiotika, die speziell gegen Bakterien in den Zellen von Wirtsorganismen wirken. Wir sollten prüfen, ob sich mit diesen Mitteln nicht auch der Cholera-Erreger bekämpfen lässt."

    Inzwischen hat Sandström seine Laborversuche ausgeweitet. Und damit begonnen, möglichst viele bekannte Subtypen des Cholera-Erregers zu testen. Bei allen habe sich bisher gezeigt, dass sie in der Amöbenzelle überleben und sich vermehren, sagt Sandström. Es scheint also etwas dran zu sein an der Theorie von den Cholera-Bakterien, die sich in "trojanischen Amöben" tarnen.