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Gegenwartskünstler vereint mit zwei Klassikern

Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt drei Malergenerationen: William Turner, Claude Monet, Cy Twombly. Die Schau befasst sich mit den Spätwerken der Künstler und stellt die Maler in Bezug zueinander. Der Kurator begründet die Zusammenstellung durch strukturelle Ähnlichkeiten der gezeigten Bilder.

Von Christian Gampert |
    Wer einen Gegenwartskünstler zusammen mit Klassikern der Kunstgeschichte ins Museum hängt, der tut das natürlich, um den Nachgeborenen zu nobilitieren. Im Fall des kürzlich verstorbenen Cy Twombly ist das eigentlich gar nicht nötig: Er ist längst selbst eine Leitfigur der Moderne, und die Idee, ihn, der meist als abstrakter Expressionist katalogisiert wird, mit einem englischen Romantiker und einem französischen Impressionisten zusammenzubringen, mutet zunächst etwas schräg an. Dass Monet den Lichtbildner Turner bewunderte und Twombly einen Monet-Brief sein eigen nannte, ist ja noch kein Grund, eine gemeinsame Ausstellung zu veranstalten.

    Der Ausstellungskurator Jeremy Lewison wird denn auch ganz anderer Interessen bezichtigt: Er sei Berater reicher Privatsammler und Kunsthändler und wolle mit solchen Ausstellungen den sowieso schon hohen Preis für Twombly-Werke nochmals steigern. Das schrieb etwa die "Süddeutsche Zeitung" im Dezember. In der Tat ist der Löwenanteil der Twombly-Werke, die nun in Stuttgart zu sehen sind, aus Privatsammlungen. Sean Rainbird, der demnächst scheidende Direktor der Stuttgarter Staatsgalerie, sagt dazu folgendes:

    "Ich kann das sagen: Es gibt kein finanzielles Interesse bei Jeremy Lewison in dem Zusammenhang Twombly und dem Markt … Schluss."

    Das ist schwer zu überprüfen. Lewisons kuratorischer Ansatz aber ist durchaus nachvollziehbar; er beglaubigt sich durch strukturelle Ähnlichkeiten der gezeigten Bilder. Wobei sich überraschenderweise herausstellt, dass die milchige Leere vieler Twombly-Werke mit dem Nebel und dem hellen Gegenlicht der Turner-Himmel viel mehr zu tun hat als mit Monets flirrenden Seerosenteichen, die, trotz aller Auflösungstendenzen ins Ungegenständliche, sich einer vergleichsweise festeren Formensprache bedienen.

    Es geht hier um die Spätwerke, um die Konfrontation dreier Maler mit der eigenen Gebrechlichkeit und Sterblichkeit – und damit um den Übergang in andere Daseinsformen. Und es geht um eine Neuerfindung der Malerei. Während Turner und Monet noch am Rande des Gegenständlichen balancieren, ist Twombly schon jenseits davon. Während Turner und Monet die Grenzen des Sag- und Zeigbaren ausloten, schmuggelt Twombly schon wieder stammelnde Schriftzeichen in die Bilder. Während Turner und Monet sich in das landschaftliche Vakuum, in die Auflösung der (noch bürgerlichen) Welt hineinbewegen, ist bei Twombly der Zerfall schon komplett, und aus den Trümmern kann er wieder auf den antiken Mythos zurückgreifen, der keinen Trost, aber immerhin Halt gibt.

    Die Ausstellung ist in Kapitel gegliedert, die Überschriften wie "Atmosphäre", "Feuer und Wasser" oder, sehr englisch, "süßeste Lust Melancholie" tragen. Gleich gegenüber der süßen Melancholie hängt (und obsiegt) dann aber Twomblys eher wilder Jahreszeiten-Zyklus, und in einem Raum, der "die Lebenskraft" heißt, sehen wir Monets formaufgelöste "Japanische Brücke" in mehreren Varianten (und es sind nicht die besten) neben einem großformatigen popbunten Etwas von Twombly, das freundlicherweise von einer Privatsammlung, Courtesy Gagosian Gallery, zur Verfügung gestellt wurde. Da das Twombly-Werk aus dem Jahr 2010 stammt und offenbar noch kein Museum als Besitzer hat, könnte es hier mehr um die Finanz- als um die Lebenskraft gehen.

    But anyway: Wendet man sich in die andere Richtung der Raumflucht, dann wird man reich beschenkt. Auf einmal sieht man nämlich, wie obsessiv Turner und Monet dieselben Motive in London und in Venedig bearbeitet haben und wie das Verschwinden der Architektur in Wasser und Licht auch ein Verschwinden des Individuums ist. Turners fast abstrakte Sonnenuntergänge schlagen Monets biedere venezianische Kirchen dabei um Längen. Überhaupt wird Monet von der Schau etwas unterbewertet, er ist in Wahrheit natürlich viel besser. Großartig sind dann die Entsprechungen zwischen Turners in Nebelwolken schwimmenden Seestücken, eine kleinformatige Viererserie in Öl auf Karton, und Twomblys riesiger weißer "Orpheus"-Gesangsfläche von 1979. Es liegen 140 Jahre zwischen diesen Werken – der Visionär Turner wird hier zum Ahnherrn der Moderne.

    Am Ende dann Monets Seerosen, die mit Twomblys wild aufplatzenden Rosenblüten korrespondieren, und Turners über der See aufgehende Sonne: Trotz der Debatten im Vorfeld ist dies eine großartige Ausstellung, eine Reise ins Licht, eine schwebende Welt.