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Gehaltvolle Staubwolken

Astronomie. - Wie die Bausteine des Lebens auf die Erde kamen, ist noch nicht befriedigend geklärt. Astronomen treffen sich derzeit in Tübingen, um dieses Problem näher zu beleuchten.

Von Guido Meyer |
    Wie kam das Leben auf die Erde? Alles eine Folge unendlich vieler Zufälle und glücklicher Umstände – so die eine Theorie. Kometen oder Asteroiden haben den Keim des Lebens als kosmische Boten von außen auf die Erde gebracht – so eine andere Theorie, die die Frage nach dem Ursprung des Lebens jedoch nur an einen anderen Ort im Universum verschiebt. Zwischen Import aus dem All und irdischer Heimarbeit gibt es eigentlich nicht viel Spielraum, so die bisherige Annahme. Doch was, wenn die ersten organischen Moleküle gemeinsam mit der Erde entstanden sind, in derselben Wolke aus Staub und Gas, aus der sich Sonne und Planeten gebildet haben?

    "There is nothing that speaks against efficient formation of these organic species, at least more or less simple ones, in situ, where the planets have formed.”"

    Es spreche nichts dagegen, dass sich zumindest primitive organische Moleküle vor Ort gebildet haben, in derselben protoplanetaren Scheibe, aus der zeitgleich auch die Himmelskörper unseres Sonnensystems hervorgegangen sind. Dies behauptet Dimitri Semenow vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Seine These: In jener Gas- und Staubwolke, die vor 4,5 Milliarden Jahren eine größere Ausdehnung hatte als unser heutiges Sonnensystem, müsse es auch verschiedene "Lebensräume" gegeben haben, "ökologische Nischen" mit unterschiedlichen Bedingungen für die Bildung von Molekülen.

    ""In den obersten Schichten von Gasscheiben haben wir simple Moleküle wie Kohlenwasserstoffe nachgewiesen oder einzelne ionisierte Kohlenstoff-Atome. Diese Elemente bekommen dort, ganz außen, die unmittelbare Strahlung ihres Sterns ab. Es ist eine sehr unfreundliche Umgebung. Weiter nach innen jedoch blockieren zunehmend Staubpartikel die Sonnenstrahlung. Unter ihrem Schutz können sich dort auch komplexere und damit zerbrechlichere Moleküle formen wie Kohlenmonoxid, Formaldehyd, aber auch alle möglichen Formen von Stickstoff- oder Schwefel-Verbindungen."

    Formaldehyd ist das einfachste organische Molekül, Kohlenmonoxid das häufigste Molekül im Weltall, gleich nach Wasserstoff. Und je tiefer die Astronomen bei den Beobachtungen von protoplanetaren Scheiben in deren Inneres geschaut haben, desto entscheidender wurde der Staub. Während er in der Übergangsphase zwischen Außen und Innen die Moleküle noch von der aggressiven Sonnenstrahlung abschirmte, wird er im Innern der Wolke geradezu zum Refugium für die neu entstandenen organischen Moleküle. Semenow:

    "In der Nähe des Zentrums dieser Scheibe ist die Materieansammlung sehr dicht, es ist sehr dunkel und sehr kalt – so kalt, dass die Moleküle geradezu ausfrieren und sich auf den Staubkörnern niederlassen. Gas und Staub gehen eine Verbindung ein und wachsen dabei, so wie ein Schneeball, auf den sich rundherum immer mehr Schneeflocken niederlassen."

    Die Astronomen vom Max-Planck-Institut haben errechnet, dass Wasserstoff, Kohlenstoff und Stickstoff im Innern der Staubwolken zehnmal häufiger zu Molekülketten zusammenfinden als am äußeren Rand. Aus diesen Reaktionen haben sich bis zu 1200 verschiedene chemische Kombinationen ergeben. Semenow:

    "Die Moleküle werden mit der Zeit so schwer, dass sie sich nicht mehr lösen, wenn sie einmal auf ein Staubkorn gefallen sind. Über einen Zeitraum von mehreren Millionen Jahren gehen viele solcher Verbindungen auf dem Staub nieder. Sie sind dann immer noch in der protoplanetaren Scheibe vorhanden, aber nicht mehr als Gas, sondern in Verbindung mit dem Staub."

    Diese Gas- und Materieansammlungen sind dann im Laufe von Milliarden Jahren zu Planeten angewachsen, die möglicherweise die Bausteine des Lebens in Form primitiver organischer Moleküle bereits in sich trugen.