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Gehirn-Jogging mit Elektrode

Medizin. - Bei mehr als zwei Dritteln der jährlich 200.000 Schlaganfallpatienten in Deutschland bleiben Bewegungsbeeinträchtigungen und Lähmungen zurück. Forscher aus mehreren deutschen Kliniken wollen die Rehabilitation nun spürbar verbessern, indem sie den Patienten eine kleine Elektrode in den Schädel auf die Gehirnrinde implantieren. Im Mai wurde ein solcher Eingriff erstmals in Europa am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf durchgeführt

Von Frank Grotelüschen | 02.07.2008
    "Hier sehen Sie die Hirnrinde."

    Oberarzt Friedhelm Hummel nimmt ein Hirnmodell aus Kunststoff in die Hand.

    "Das ist der Zentralsulcus."

    Langsam fährt er mit dem Zeigefinger über die Furchen und Windungen.

    "Und da haben Sie vor dem Zentralsulcus die motorische Hirnrinde, die für die Steuerung der Hand und des Beins zuständig ist."

    Dann bleibt der Finger auf einer der Windungen stehen.

    "Und wir implantieren die Elektrode genau in dem motorischen Areal."

    Das, was Friedhelm Hummel vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf am Kunststoff-Modell zeigt, haben er und seine Kollegen vor einigen Wochen bei einem Schlaganfall-Patienten gemacht: Sie haben ihm ein kleines Loch in den Schädel gebohrt, um ihm eine schmale Elektrode aus Kunststoff unter die Schädeldecke einzusetzen - etwa drei Zentimeter lang, ausgestattet mit zwei elektrischen Kontakten.

    "Dann wird die kleine Elektrode auf das Gehirn gelegt - nicht in das Gehirn. Die Gehirnhäute werden nicht eröffnet. Was sehr wichtig ist für mögliche Risiken und Nebenwirkungen der Therapie."

    Ein weiteres Gerät wird unterhalb des Schlüsselbeins des Patienten eingesetzt: der Stimulator. Ähnlich wie ein Herzschrittmacher erzeugt er elektrische Impulse, die durch ein dünnes, unter der Haut verlegtes Kabel zur Hirnelektrode geleitet werden. Wenn nun der Schlaganfall-Patient so wie bei jeder gewöhnlichen Reha seine Hand trainiert, soll die Elektrode zeitgleich schwache Stromstöße auf die Hirnrinde geben.

    "Die Hypothese ist, dass durch diese elektrische Stimulation die Erregbarkeit dieser Hirnrinde etwas erhöht wird. Und das würde sich darin zeigen, dass das Training effizienter ist und somit am Schluss eine bessere Funktion herauskommen würde."

    Ein Schlaganfallpatient muss geduldig trainieren, damit das geschädigte Hirn regelrecht umlernt, wie es die Bewegung einer Hand steuert. Die schwachen Stromstöße der Elektrode sollen dieses Umlernen leichter machen und damit das Training effektiver - so jedenfalls die These.

    "Was in dieser Studie untersucht wird: Ob eine Kombination aus dieser Stimulation mit einem sehr intensiven Training auf eine längere Sicht einen besseren Therapieerfolg bringt, also eine bessere Funktion der gelähmten Hand, im Vergleich zum intensiven Training alleine. Es gibt Vorstudien aus den USA, wo einzelne Patienten ein Telefon vorher nicht nutzen konnten und dann nach diesem Training mit der Stimulation doch soweit waren, dass sie den Telefonhörer wieder benutzen konnten."

    Bei der aktuellen deutschen Studie geht man nun einen Schritt weiter: Und zwar versuchen die Ärzte, bereits während der Operation die beste Position für die Elektrode zu finden. Und das geht so:

    "Man bewegt die Elektrode auf der Hirnrinde um eine kleine Distanz hin und her, stimuliert und schaut, ob man eine motorische Antwort von den Muskeln bekommt. Dadurch kann man genau das Areal suchen, das man möchte."

    Bis Ende 2009 wollen die Forscher etwa 20 Schlaganfallpatienten eine Hirnelektrode einsetzen. Das Ergebnis der Studie soll dann in zwei Jahren auf dem Tisch liegen. Doch selbst wenn die Sache Erfolg hat: Bevor das Verfahren zur Routine wird, müssen wohl noch größere Studien mit mehr Patienten aufgelegt werden.