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Geister auf dem Monitor

Physik. - Neutronen lassen sich - mangels eigener Ladung - von kaum etwas behindern und durchdringen Materie problemlos. Allerdings haben sie magnetische Eigenschaften, und genau die nutzen Physiker für einen neuartigen Detektor.

Von Andre Hatting |
    Laut ist es im Innern des Forschungsreaktors. In der Großanlage pfeifen die Vakuumpumpen und dröhnen die Anlagen, die das Wasser um die Brennstäbe kühlen. Das Kraftwerk am Berliner Hahn-Meitner-Institut liefert aber keinen Strom. Es isoliert Neutronen. Die brauchen Nikolay Kardjilov und seine Kollegen für ihre spezielle Tomographie. Dazu beschießen sie eine Probe mit Neutronen. Im Prinzip ist das der Röntgenaufnahme in der Medizin vergleichbar, sagt Nikolay Kardjilov:

    "Hier verwenden wir die gleiche Methode. Der Unterschied ist, dass wir nicht die Quelle und den Detektor drehen wie in der klassischen medizinischen Tomographieuntersuchung: der Körper steht fest und dann dreht sich eigentlich der Detektor um die Quelle herum. Hier können wir den Reaktor nicht drehen, deswegen drehen wir die Probe im Strahl."

    Anders als Röntgenstrahlen bleiben die Neutronen aber nicht im festen Körper hängen. Sie rauschen hindurch. Das Ergebnis wäre ein weißes Bild, auf dem man gar nichts erkennen könnte. Kardjilov benutzt deshalb einen Trick: Neutronen haben zwar keine Ladung. Aber ein magnetische Moment, Spin genannt. Diesen Spin aller Neutronen im Strahl schalten die Wissenschaftler in dieselbe Richtung. Physiker nennen das Polarisation.

    "Sie können sich das als Kompassnadeln vorstellen, dass die Neutronen kleine Kompassnadeln sind, die in eine Richtung orientiert sind. Sie haben alle die entsprechende Richtung und sie fliegen nach dem Polarisator weiter in Richtung Probe."

    Die magnetischen Felder in der Probe wiederum drehen die "Kompassnadeln" der Neutronen. Diese Reaktion messen die Wissenschaftler mit einem Gerät auf der Rückseite des Untersuchungsobjekts. Das hat die gleiche magnetische Orientierung wie die Neutronen: Es lässt alle Teilchen durch, die unverändert geblieben sind, also nicht abgelenkt wurden. Ein Röntgenbild wäre an diesen Stellen weiß – kein Widerstand. Wenn aber die Neutronen auf ein Magnetfeld in der Probe treffen, dann ändert sich deren magnetische Orientierung, der Spin dreht sich.

    "Der Analysator wird das nicht durchlassen. Dann wird eine Strahlabschwächung detektiert. Und wenn der Spin um 180 Grad gedreht wird, genau zur Spin-down Orientierung, dann wird dieser Strahl oder diese Neutronen werden gestoppt. Das ist komplett schwarz. Dann haben wir eine Intensitätsveränderung oder Intensitätsvariation von sozusagen weiß zu schwarz, alle diese Graustufen, die verschiedenen Orientierungen von diesem Spin entsprechen."

    Für die dreidimensionale Darstellung von Magnetfeldern innerhalb eines festen Körpers hat Nikolay Kardjilov ein Stück Blei magnetisiert und es dann auf sieben Grad Kelvin gekühlt, das sind etwa -266 Grad Celsius. Anschließend haben die Forscher das Magnetfeld abgeschaltet. Auf diese Weise wird die Ladung in dem Blei gefangen. Die von Kardjilov und seinen Kollegen entwickelte spezielle Neutronentomographie macht am Computer sichtbar, wie sich das Magnetfeld im Innern des Bleistücks verteilt hat, wenn man die Probe im Neutronenstrahl dreht: Am Bildschirm sind in dem Bleiklumpen deutlich drei wolkenförmige Flecken erkennbar. Hier trafen die Neutronen auf Magnetfelder. Nikolay Kardjilov:

    "Mit der Temperatur ändert sich auch das Magnetfeld in der Probe. Und bei dieser Temperatur hat sich diese Konfiguration ergeben. Das war bis jetzt nicht möglich, wirklich festzustellen, wo genau das Magnetfeld gefangen wird in der Probe. Zum ersten Mal haben wir es geschafft, das zu visualisieren."

    Ein Problem hat die Methode aber noch: Sie funktioniert nur bei schwachen Magnetfeldern. Der Analysator unterscheidet nicht zwischen einer einfachen 180-Grad-Drehung und mehreren Drehungen des polarisierten Neutrons. Wird der Spin durch eine starke magnetische Ladung zum Beispiel so verändert, dass er sich einmal im Kreis dreht, also um 360 Grad, dann wäre das für den Analysator gleichbedeutend mit 0 Grad. Die Forscher sähen auf dem Monitor anstelle des starken magnetischen Feldes gar keins.