Im Mittelalter war die Gesellschaft klar in Stände gegliedert, Kirche und Fürsten regierten den Alltag. Dann jedoch gab es deutliche Anzeichen einer Veränderung: Um 1350 kam die Pest nach Europa und tötete fast die Hälfte der Einwohner, um 1450 entstand der Buchdruck, 1453 wurde Konstantinopel erobert, 1492 Amerika entdeckt und 1517 stellte die Reformation die Kirche in Frage.
Zudem ging die Mittelalterliche Warmzeit zu Ende und das kühler werdende Klima führte zu Missernten. Kein Wunder, wenn die Menschen Unheil ahnten. Schließlich gab es noch seltsame Ereignisse. Dr. Gerd Mentgen, Privatdozent für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Trier, schildert Ereignisse um 1500:
"Da ist also in den Chroniken davon die Rede, dass überall wundersame Kreuzzeichen gesehen worden seien, in verschiedenen Farben und zwar sowohl auf Kleidungsstücken - insbesondere werden da hervorgehoben also Kopftücher und Schleier von Frauen, aber auch Mönchshabit oder auch andere Kleidungstücke aus Leinen. Aber es hätten auch einige Menschen plötzlich diese Kreuzzeichen auf ihrer Haut gehabt."
Im Jubeljahr 1500 konnten Christen - ohne nach Rom pilgern zu müssen - in den großen Kathedralen besondere Ablässe erwerben. 1501 bestätigten Kleriker die Echtheit von Kreuz- und Bluterscheinungen auf der Kleidung einer jungen Frau im Bistum Lüttich. Dessen Bischof berichtet darüber sogar in einem Brief an Kaiser Maximilian I. Das hatte seinen Grund:
"Es war die Zeit in der die Kreuzzugsbewegung wieder einen großen Rückschlag erlitten hatte, durch die Niederlage durch den Fall von Modone und anderen Städten im östlichen Mittelmeergebiet. Und grade diese Niederlagen wurden durch Flugschriften weithin bekannt gemacht. Das war also in der Christenheit durchaus sehr bekannt. Und aus einer Metzer Stadtchronik geht hervor, dass grade aus der Lütticher Gegend eine Gruppe von Kreuzfahrern aufgebrochen ist im Jahr 1501 - die also ins Heilige Land ziehen wollten - und die hatten sozusagen als Bannerzeichen ihres Unternehmens hatten die eine dieser Reliquien, eines dieser Leinentücher, einen Schleier oder was es auch immer war, mit Kreuzeszeichen und Wunderblut."
Im "Eberhardsklausener Mirakelbuch" in dem der Mönch Wilhelm von Bernkastel gegen 1610 Wunder sammelte, beschreibt er ebenfalls solche Kreuz- und Blutzeichen. Er habe auch selbst eines der Tücher besessen. Doch seine Quellen sind fragwürdig, enthüllt Gerd Mentgen:
"Er berichtet also, dass er ansonsten sich sehr bemüht habe, was es im Einzelnen damit auf sich hatte, dass er aber von den Leuten selbst nichts erfahren hatte, sondern sein Wissen hauptsächlich aus - wie er das nennt - bedruckten "Cartae" schöpfte. Und das sind eben eindeutig Einblattdrucke und Flugschriften, die damals kursierten. Von denen haben sich nicht mehr viele erhalten. Warum sollten die auch aufgehoben werden. Aber das war mit Sicherheit auch ein großes Geschäft, wenn man die damals verbreitet hat. Ich glaube, dass diese vielen Berichte über angebliche Massen, die Zeuge dieser Wunder gewesen seien, sich in Wirklichkeit darauf reduzieren lassen, dass doch nur vom Ansehen solcher Medien davon etwas gewusst haben. "
Viele Darstellungen von Hexen, Magiern, Missbildungen, Katastrophen, Wunderzeichen, Astrologen und Gespenstern dienten damals dazu das neue Medium des Drucks zu vermarkten. Die Flugblätter waren Boulevardmedien und Internet der damaligen Zeit.
Da wird dann ein angeblich 1578 in Straßburg geborenes siebenköpfiges Kind zusammen mit dem im gleichen Jahr von einem Sturm verwüsteten Horb am Neckar zu einem Bild zusammengefasst. Solches Verknüpfen völlig unabhängiger Ereignisse benutzen die Medien bis heute.
Die Altgermanistin Dr. Christa Tuczay hat an der Universität Wien untersucht, wie es um das handwerkliche und naturwissenschaftlich-technische Können damaliger Zauberkünstler bestellt war. Das Wissen um Zaubertricks reicht ja weit über 2000 Jahre zurück:
"Es existieren ja immer wieder Anleitungen um solche Maschinerien zu bauen. Man muss auch bedenken, dass zum Beispiel die Araber im Mittelalter alle möglichen mechanischen Kunstwerke - Dampfbetriebene, Luftbetriebene, Wasserbetriebene - konstruiert haben. Also man hat auch an den Höfen solche Automaten quasi gesammelt."
Es müssen also nicht unbedingt Dämonen im Spiel gewesen sein, wenn etwas unerklärlich war, sondern es waren manchmal angewandte Naturwissenschaft und Handwerk.
"Es hat sich teilweise auch überschnitten. Das heißt also man hat vermutet, dass gewisse Einsichten in irgendwelche technischen Gegebenheiten eben auch von Dämonen verursacht würden, oder dass die Dämonen einem irgendwelche Zauberbücher zur Hand geben, an denen man das lernen kann. Also es hat verschiedenste Schattierungen, Varianten gegeben, wo dann die Dämonen ins Spiel gekommen sind, oder auch nicht."
Dabei stritt man am Ausgang des Mittelalters über die Fähigkeiten der Dämonen, berichtet Christa Tuczay:
"Auf der einen Seite versuchte man zu sagen - so wie Paracelsus - dass die Dämonen im Prinzip nicht so viel Einfluss hätten, während wenn man bedenkt den Hexenhammer, kann man deutlich sehen, dass der dämonische Einfluss sehr wohl ganz konkret gewissen Frauen zugeschrieben wurde."
Als der Dominikaner Heinrich Kramer in Innsbruck mit der Inquisition scheiterte, verfasste er 1486 den Hexenhammer, eine Sammlung aller damals gängigen Vorstellungen von Hexerei. Er hatte bis in 17. Jahrhundert 29 Auflagen. Grundlage war die Hexenbulle von Papst Innocenz, die die spätere Hexenverfolgung vorbereitete. Der Hexenhammer betrachtet Frauen als minderwertig und deshalb Dämonen und der Magie zugetan, während Männer als Wissenschaftler der reinen Lehre und Erkenntnis verpflichtet seien.
Dass der vielseitige 1493 geborene Arzt, Philosoph, aber auch Astrologe und Mystiker Paracelsus anderer Meinung war, wundert wenig. Die Hexerei wurde erst 1532 strafbar.
Dämonen, Magie, Ängste und ihre bildliche Darstellung hatten damals Hochkonjunktur; das zeigt der Erfolg der Bilder von Hieronymus Bosch. Dr. Erwin Pokorny vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien fand darin Scherz und Schaudern. Dramatische Szenen werden entschärft durch drollige Details. Es zeigt sich,
"dass eben Bosch auf der Tradition der Drolerien aufbaut. Die Drolerien in der Architektur des Mittelalters, später in den Marginalien, in den Raddekorationen der Buchmalerei. Und er war der Erste, der diese Motive in die große Malerei übertragen hat."
Pseudorealistisch steht da ein Baummensch mit Booten als Schuhen, neben blauem Teufel mit Entenschnabel, abstrusen Vermischungen von Mensch und Tier. Dabei ist die Farbgebung im "Garten der Lüste" hell und kräftig, während das Wiener "Weltgericht Triptychon" düster, bedrohlich und voller Abstrusitäten erscheint. Erinnern die Farben an Computerspiele, so die Figuren an Comic-Zeichnungen, wie etwa bei Disney, wo auch Mensch und Tier verschmolzen werden. Dabei kopierte Bosch Vorbilder von Wasserspeiern bis zu Werken anderer Künstler, erfand aber auch Vieles selbst:
"Einen Teil hat er kopiert. Der Großteil war sehr originell und er hatte natürlich eine große Werkstatt und eine große Nachfolge. Insofern ist es vielleicht nicht so falsch mit Disney zu vergleichen, weil doch andere auch mit seinem Namen signiert haben. Also es gibt Bilder, die sind nicht Bosch und es steht groß Hieronymus Bosch drauf, ähnlich, wie später bei Breughel. Insofern ist ein Vergleich mit Disney nicht so falsch. Und Figuren von ihm waren so erfolgreich, dass man sie noch 200 Jahre später bei David Teniers findet."
Bosch hat offenbar die Ängste seiner Zeit in Bilder verwandelt, wobei die abstoßenden Krüppel und Bettler ein Spiegel der weit verbreiteten Angst seiner Zeitgenossen vor sozialem Abstieg sein dürften.
Das Vertrauen in Kirche und Obrigkeit sank und die Bereitschaft zum Aberglauben wuchs. Hofastrologen verliehen den Entschlüssen ihrer Fürsten größeres Gewicht. Sogar die Kirche unterstützte den Glauben an Gespenster.
Rainer Hugener untersuchte am Historischen Seminar der Universität Zürich eine Geistergeschichte von 1600 im Benediktinerinnenkloster Seedorf im Kanton Uri. Die Gespenster drängten zu Grabungen im Garten, die neben Hinweisen auf ein früheres Kloster auch 40 Skelette und einen Schild zu Tage förderten, der heute im Landesmuseum Zürich ist. Für die katholische Kirche waren Gespenster der Beweis für das Leben nach dem Tode:
"Zumindest indirekt haben diese Geister für die katholischen Menschen der Innerschweiz den Beweis erbracht, dass man selber rechtgläubig, also katholisch ist."
Die Kirche nutzte die Geistererscheinung, um einen ungeliebten Karnevalsbrauch durch ein 40-stündiges Gebet zu ersetzen, hatte also gegen die Existenz der Geister nichts einzuwenden.
Die Protestanten, die es ja nun auch gab, sahen dagegen in jeder Geistererscheinung eine Täuschung, sei es durch einen Trick oder durch Dämonen.
Dank eines Berichtes des Stadtschreibers ist der Vorfall gut dokumentiert. An ihm lässt sich aber auch zeigen, wie rasch die Erinnerung Vorgänge verfälschen kann:
"Die Geschichte hat sich völlig geändert im Lauf der Zeit. Anfänglich waren das gute Geister, die dem Kloster Heil versprochen haben. Im Lauf der Zeit, binnen weniger Jahre, wurde diese Geschichte ganz anders erzählt. Es wurden aus diesen guten Geistern wurden plötzlich böse Geister, die kopflos und brennend durch die Gegend irrten und harmlose Reisende belästigten. Das ist eigentlich sehr typisch, dass halt eben die Erinnerung sich anpasst an Denkformen, Denkmuster, Deutungsmuster. Und da werden dann die Ereignisse eben irgendwie in "schubladisierter" Form erinnert."
Die Geister müssen sich dann eben so verhalten, wie man es von Gespenstern erwartet. Diese Umdeutung von Geschichten und Geschichte ist heute noch vertraut, wenn es etwa um die eigene Rolle im zweiten Weltkrieg oder bei den Studentenunruhen von 1968 geht.
Am Ende des Mittelalters führte das zur Hexenverfolgung. Der erwähnte Hexenhammer, obwohl voller Fehler, hatte daran sicher Anteil. Aber warum diese Theorie beim Volk ankam, ist damit nicht erklärt. Erst recht nicht, warum die meisten Beschuldigten Frauen waren.
Dazu gibt es eine Reihe interessanter Theorien. Christine Neufeld, Professorin für Englisch und Literatur an der Eastern Michigan Universität in den USA, weist auf einen Aspekt hin, der bisher wenig beachtet wurde:
"In dem Mittelalter gibt es in den Bußtexten mehr und mehr Interesse in der Mündlichkeit, Schwüren und solche Sachen. Und da kann man sehen, dass da eine ideologische Unterscheidung ist zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen."
Unter dem Stichwort "Philosoph und Zänkische" wird das auf den Punkt gebracht; etwa in einem Holzschnitt, der die wortgewaltige Xanthippe zeigt, wie sie ihrem Gatten Sokrates einen Nachttopf über den Kopf gießt, weil der auf ihre Worte nicht reagierte.
Natürlich sahen sich Kirchenmänner, Fürsten und Patriarchen auf der Seite des Philosophen, während sie - etwa in den Spielen des Hans Sachs - Frauen die Rollen von zankenden, unvernünftigen Tratschtanten zuwiesen. Der Begriff "Altweibergewäsch" ist heute noch abwertend gemeint.
Christopher Marlows "Doktor Faustus", oder Shakespeares "Sturm" nehmen sowohl die Auseinandersetzung mit Zauberei, als auch mit dem anderen Geschlecht auf. Es scheint, als ob die Unsicherheit - durch die Schwäche von Glauben, Kirche und Obrigkeit - so weit ging, dass sich die Menschen ihrer Identität versichern mussten:
"In den Bühnenstücken, in den Flugblättern kommt es immer auf: Was heißt es eigentlich ein Mann zu sein? Was heißt es eigentlich ein Weib zu sein?"
Der Umbruch vom geordneten Mittelalter in eine neue Zeit irritierte die Menschen offenbar so sehr, dass sie ihre eigene Geschlechterrolle in Frage stellten.
Das sieht Geschichtsprofessor Charles Zika von der Universität im australischen Melbourne ähnlich. Er befasst sich mit der Darstellung von Hexerei im Mittelalter und fragte sich woher die Idee zur Hexenverfolgung kam.
"Es kam nicht nur aus theologischen, dämonologischen oder Rechts-Texten, sondern der bildlichen Darstellung ähnlicher Ideen. Und ein Schwerpunkt anfangs des 16. Jahrhunderts war, die Darstellung des Verhältnis der Geschlechter, also zwischen Mann und Frau. Mir scheint das eines der besonders betonten Elemente bei der Darstellung von Hexerei. Die Hexerei wurde Frauen zugeschrieben. Es war klar, dass sie Agenten der Unordnung seien und im Bund mit den üblen Mächten der Welt."
Hinzu kam eine zweite Entwicklung: Je schlimmer die Lage zu werden schien, und je mehr Angst und Unsicherheit wuchsen, desto mehr und desto mächtigere Schuldige brauchte man zur Erklärung.
" Also die Bilder von Hexerei nehmen traditionelle Elemente auf und entwickeln dann neue. Es gibt einen Wechsel vom einzelnen Zauberer hin zur Hexe, die zu einer größeren Gruppe gehört. Es ist nicht nur, dass sie in Gruppen zusammenarbeiten, sondern, dass sie so eine Gefahr für Gruppen darstellen. Das ist eine Gefahr für ihre Gemeinde. Sie schaden der religiösen und sozialen Gemeinschaft."
Diese schleichende Entwicklung ging vom Geschlechterkampf aus. Denn erst um 1590 nehmen Künstler theologische Aspekte in ihre Bilder und Flugblätter zur Hexerei auf.
"Im Laufe des 16. Jahrhunderts betonen die Künstler langsam die Verbindung zum Teufel stärker. Am Ende zeigen sie Hexen nicht nur als dessen Diener, sondern auch seine Hilfe und Anleitung beim Hexen. Also wird Hexerei zu einer viel bedrohlicheren Bewegung, die gegen die gesellschaftlichen Institutionen gerichtet ist. Sie gefährdet die Fundamente des Gesellschaft."
Ganz ähnliche Abläufe und Muster findet man bei der Judenverfolgung, oder bei der Ausgrenzung von anderen Minderheiten, wann immer die Mehrheit ihrer selbst nicht sicher ist.
Anja Eisenbeiß, vom Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Heidelberg, die diesen Gedankenaustausch anregte, hofft, dass es gelang auf solche Mechanismen aufmerksam zu machen. Angesichts von Klimawandel, Lebensmittelkrise, Energieverteuerung, von Auseinanderdriften von Arm und Reich, von politischer und finanzieller Instabilität, könnten auch heute Unheilsahnungen zu Verhaltensmustern führen, wie am Ende des Mittelalters. Für Anja Eisenbeiß ist deshalb wichtig:
"Zumindest die Idee von immer wiederkehrenden gleichen Mechanismen, die passieren. Und da ist es für mich jetzt auch sehr spannend, dass wir dieses interdisziplinäre Publikum haben, und dass ich einfach sehe: In der Geschichtswissenschaft werden ähnliche Modelle beobachtet, wie bei den Sprachwissenschaften, wie ich sie aus den Bildern kenne, und da zu merken: Es gibt bestimmte Modelle, die sich wiederholen. Das kann eben eine Sensibilisierung bringen."
Zudem ging die Mittelalterliche Warmzeit zu Ende und das kühler werdende Klima führte zu Missernten. Kein Wunder, wenn die Menschen Unheil ahnten. Schließlich gab es noch seltsame Ereignisse. Dr. Gerd Mentgen, Privatdozent für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Trier, schildert Ereignisse um 1500:
"Da ist also in den Chroniken davon die Rede, dass überall wundersame Kreuzzeichen gesehen worden seien, in verschiedenen Farben und zwar sowohl auf Kleidungsstücken - insbesondere werden da hervorgehoben also Kopftücher und Schleier von Frauen, aber auch Mönchshabit oder auch andere Kleidungstücke aus Leinen. Aber es hätten auch einige Menschen plötzlich diese Kreuzzeichen auf ihrer Haut gehabt."
Im Jubeljahr 1500 konnten Christen - ohne nach Rom pilgern zu müssen - in den großen Kathedralen besondere Ablässe erwerben. 1501 bestätigten Kleriker die Echtheit von Kreuz- und Bluterscheinungen auf der Kleidung einer jungen Frau im Bistum Lüttich. Dessen Bischof berichtet darüber sogar in einem Brief an Kaiser Maximilian I. Das hatte seinen Grund:
"Es war die Zeit in der die Kreuzzugsbewegung wieder einen großen Rückschlag erlitten hatte, durch die Niederlage durch den Fall von Modone und anderen Städten im östlichen Mittelmeergebiet. Und grade diese Niederlagen wurden durch Flugschriften weithin bekannt gemacht. Das war also in der Christenheit durchaus sehr bekannt. Und aus einer Metzer Stadtchronik geht hervor, dass grade aus der Lütticher Gegend eine Gruppe von Kreuzfahrern aufgebrochen ist im Jahr 1501 - die also ins Heilige Land ziehen wollten - und die hatten sozusagen als Bannerzeichen ihres Unternehmens hatten die eine dieser Reliquien, eines dieser Leinentücher, einen Schleier oder was es auch immer war, mit Kreuzeszeichen und Wunderblut."
Im "Eberhardsklausener Mirakelbuch" in dem der Mönch Wilhelm von Bernkastel gegen 1610 Wunder sammelte, beschreibt er ebenfalls solche Kreuz- und Blutzeichen. Er habe auch selbst eines der Tücher besessen. Doch seine Quellen sind fragwürdig, enthüllt Gerd Mentgen:
"Er berichtet also, dass er ansonsten sich sehr bemüht habe, was es im Einzelnen damit auf sich hatte, dass er aber von den Leuten selbst nichts erfahren hatte, sondern sein Wissen hauptsächlich aus - wie er das nennt - bedruckten "Cartae" schöpfte. Und das sind eben eindeutig Einblattdrucke und Flugschriften, die damals kursierten. Von denen haben sich nicht mehr viele erhalten. Warum sollten die auch aufgehoben werden. Aber das war mit Sicherheit auch ein großes Geschäft, wenn man die damals verbreitet hat. Ich glaube, dass diese vielen Berichte über angebliche Massen, die Zeuge dieser Wunder gewesen seien, sich in Wirklichkeit darauf reduzieren lassen, dass doch nur vom Ansehen solcher Medien davon etwas gewusst haben. "
Viele Darstellungen von Hexen, Magiern, Missbildungen, Katastrophen, Wunderzeichen, Astrologen und Gespenstern dienten damals dazu das neue Medium des Drucks zu vermarkten. Die Flugblätter waren Boulevardmedien und Internet der damaligen Zeit.
Da wird dann ein angeblich 1578 in Straßburg geborenes siebenköpfiges Kind zusammen mit dem im gleichen Jahr von einem Sturm verwüsteten Horb am Neckar zu einem Bild zusammengefasst. Solches Verknüpfen völlig unabhängiger Ereignisse benutzen die Medien bis heute.
Die Altgermanistin Dr. Christa Tuczay hat an der Universität Wien untersucht, wie es um das handwerkliche und naturwissenschaftlich-technische Können damaliger Zauberkünstler bestellt war. Das Wissen um Zaubertricks reicht ja weit über 2000 Jahre zurück:
"Es existieren ja immer wieder Anleitungen um solche Maschinerien zu bauen. Man muss auch bedenken, dass zum Beispiel die Araber im Mittelalter alle möglichen mechanischen Kunstwerke - Dampfbetriebene, Luftbetriebene, Wasserbetriebene - konstruiert haben. Also man hat auch an den Höfen solche Automaten quasi gesammelt."
Es müssen also nicht unbedingt Dämonen im Spiel gewesen sein, wenn etwas unerklärlich war, sondern es waren manchmal angewandte Naturwissenschaft und Handwerk.
"Es hat sich teilweise auch überschnitten. Das heißt also man hat vermutet, dass gewisse Einsichten in irgendwelche technischen Gegebenheiten eben auch von Dämonen verursacht würden, oder dass die Dämonen einem irgendwelche Zauberbücher zur Hand geben, an denen man das lernen kann. Also es hat verschiedenste Schattierungen, Varianten gegeben, wo dann die Dämonen ins Spiel gekommen sind, oder auch nicht."
Dabei stritt man am Ausgang des Mittelalters über die Fähigkeiten der Dämonen, berichtet Christa Tuczay:
"Auf der einen Seite versuchte man zu sagen - so wie Paracelsus - dass die Dämonen im Prinzip nicht so viel Einfluss hätten, während wenn man bedenkt den Hexenhammer, kann man deutlich sehen, dass der dämonische Einfluss sehr wohl ganz konkret gewissen Frauen zugeschrieben wurde."
Als der Dominikaner Heinrich Kramer in Innsbruck mit der Inquisition scheiterte, verfasste er 1486 den Hexenhammer, eine Sammlung aller damals gängigen Vorstellungen von Hexerei. Er hatte bis in 17. Jahrhundert 29 Auflagen. Grundlage war die Hexenbulle von Papst Innocenz, die die spätere Hexenverfolgung vorbereitete. Der Hexenhammer betrachtet Frauen als minderwertig und deshalb Dämonen und der Magie zugetan, während Männer als Wissenschaftler der reinen Lehre und Erkenntnis verpflichtet seien.
Dass der vielseitige 1493 geborene Arzt, Philosoph, aber auch Astrologe und Mystiker Paracelsus anderer Meinung war, wundert wenig. Die Hexerei wurde erst 1532 strafbar.
Dämonen, Magie, Ängste und ihre bildliche Darstellung hatten damals Hochkonjunktur; das zeigt der Erfolg der Bilder von Hieronymus Bosch. Dr. Erwin Pokorny vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien fand darin Scherz und Schaudern. Dramatische Szenen werden entschärft durch drollige Details. Es zeigt sich,
"dass eben Bosch auf der Tradition der Drolerien aufbaut. Die Drolerien in der Architektur des Mittelalters, später in den Marginalien, in den Raddekorationen der Buchmalerei. Und er war der Erste, der diese Motive in die große Malerei übertragen hat."
Pseudorealistisch steht da ein Baummensch mit Booten als Schuhen, neben blauem Teufel mit Entenschnabel, abstrusen Vermischungen von Mensch und Tier. Dabei ist die Farbgebung im "Garten der Lüste" hell und kräftig, während das Wiener "Weltgericht Triptychon" düster, bedrohlich und voller Abstrusitäten erscheint. Erinnern die Farben an Computerspiele, so die Figuren an Comic-Zeichnungen, wie etwa bei Disney, wo auch Mensch und Tier verschmolzen werden. Dabei kopierte Bosch Vorbilder von Wasserspeiern bis zu Werken anderer Künstler, erfand aber auch Vieles selbst:
"Einen Teil hat er kopiert. Der Großteil war sehr originell und er hatte natürlich eine große Werkstatt und eine große Nachfolge. Insofern ist es vielleicht nicht so falsch mit Disney zu vergleichen, weil doch andere auch mit seinem Namen signiert haben. Also es gibt Bilder, die sind nicht Bosch und es steht groß Hieronymus Bosch drauf, ähnlich, wie später bei Breughel. Insofern ist ein Vergleich mit Disney nicht so falsch. Und Figuren von ihm waren so erfolgreich, dass man sie noch 200 Jahre später bei David Teniers findet."
Bosch hat offenbar die Ängste seiner Zeit in Bilder verwandelt, wobei die abstoßenden Krüppel und Bettler ein Spiegel der weit verbreiteten Angst seiner Zeitgenossen vor sozialem Abstieg sein dürften.
Das Vertrauen in Kirche und Obrigkeit sank und die Bereitschaft zum Aberglauben wuchs. Hofastrologen verliehen den Entschlüssen ihrer Fürsten größeres Gewicht. Sogar die Kirche unterstützte den Glauben an Gespenster.
Rainer Hugener untersuchte am Historischen Seminar der Universität Zürich eine Geistergeschichte von 1600 im Benediktinerinnenkloster Seedorf im Kanton Uri. Die Gespenster drängten zu Grabungen im Garten, die neben Hinweisen auf ein früheres Kloster auch 40 Skelette und einen Schild zu Tage förderten, der heute im Landesmuseum Zürich ist. Für die katholische Kirche waren Gespenster der Beweis für das Leben nach dem Tode:
"Zumindest indirekt haben diese Geister für die katholischen Menschen der Innerschweiz den Beweis erbracht, dass man selber rechtgläubig, also katholisch ist."
Die Kirche nutzte die Geistererscheinung, um einen ungeliebten Karnevalsbrauch durch ein 40-stündiges Gebet zu ersetzen, hatte also gegen die Existenz der Geister nichts einzuwenden.
Die Protestanten, die es ja nun auch gab, sahen dagegen in jeder Geistererscheinung eine Täuschung, sei es durch einen Trick oder durch Dämonen.
Dank eines Berichtes des Stadtschreibers ist der Vorfall gut dokumentiert. An ihm lässt sich aber auch zeigen, wie rasch die Erinnerung Vorgänge verfälschen kann:
"Die Geschichte hat sich völlig geändert im Lauf der Zeit. Anfänglich waren das gute Geister, die dem Kloster Heil versprochen haben. Im Lauf der Zeit, binnen weniger Jahre, wurde diese Geschichte ganz anders erzählt. Es wurden aus diesen guten Geistern wurden plötzlich böse Geister, die kopflos und brennend durch die Gegend irrten und harmlose Reisende belästigten. Das ist eigentlich sehr typisch, dass halt eben die Erinnerung sich anpasst an Denkformen, Denkmuster, Deutungsmuster. Und da werden dann die Ereignisse eben irgendwie in "schubladisierter" Form erinnert."
Die Geister müssen sich dann eben so verhalten, wie man es von Gespenstern erwartet. Diese Umdeutung von Geschichten und Geschichte ist heute noch vertraut, wenn es etwa um die eigene Rolle im zweiten Weltkrieg oder bei den Studentenunruhen von 1968 geht.
Am Ende des Mittelalters führte das zur Hexenverfolgung. Der erwähnte Hexenhammer, obwohl voller Fehler, hatte daran sicher Anteil. Aber warum diese Theorie beim Volk ankam, ist damit nicht erklärt. Erst recht nicht, warum die meisten Beschuldigten Frauen waren.
Dazu gibt es eine Reihe interessanter Theorien. Christine Neufeld, Professorin für Englisch und Literatur an der Eastern Michigan Universität in den USA, weist auf einen Aspekt hin, der bisher wenig beachtet wurde:
"In dem Mittelalter gibt es in den Bußtexten mehr und mehr Interesse in der Mündlichkeit, Schwüren und solche Sachen. Und da kann man sehen, dass da eine ideologische Unterscheidung ist zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen."
Unter dem Stichwort "Philosoph und Zänkische" wird das auf den Punkt gebracht; etwa in einem Holzschnitt, der die wortgewaltige Xanthippe zeigt, wie sie ihrem Gatten Sokrates einen Nachttopf über den Kopf gießt, weil der auf ihre Worte nicht reagierte.
Natürlich sahen sich Kirchenmänner, Fürsten und Patriarchen auf der Seite des Philosophen, während sie - etwa in den Spielen des Hans Sachs - Frauen die Rollen von zankenden, unvernünftigen Tratschtanten zuwiesen. Der Begriff "Altweibergewäsch" ist heute noch abwertend gemeint.
Christopher Marlows "Doktor Faustus", oder Shakespeares "Sturm" nehmen sowohl die Auseinandersetzung mit Zauberei, als auch mit dem anderen Geschlecht auf. Es scheint, als ob die Unsicherheit - durch die Schwäche von Glauben, Kirche und Obrigkeit - so weit ging, dass sich die Menschen ihrer Identität versichern mussten:
"In den Bühnenstücken, in den Flugblättern kommt es immer auf: Was heißt es eigentlich ein Mann zu sein? Was heißt es eigentlich ein Weib zu sein?"
Der Umbruch vom geordneten Mittelalter in eine neue Zeit irritierte die Menschen offenbar so sehr, dass sie ihre eigene Geschlechterrolle in Frage stellten.
Das sieht Geschichtsprofessor Charles Zika von der Universität im australischen Melbourne ähnlich. Er befasst sich mit der Darstellung von Hexerei im Mittelalter und fragte sich woher die Idee zur Hexenverfolgung kam.
"Es kam nicht nur aus theologischen, dämonologischen oder Rechts-Texten, sondern der bildlichen Darstellung ähnlicher Ideen. Und ein Schwerpunkt anfangs des 16. Jahrhunderts war, die Darstellung des Verhältnis der Geschlechter, also zwischen Mann und Frau. Mir scheint das eines der besonders betonten Elemente bei der Darstellung von Hexerei. Die Hexerei wurde Frauen zugeschrieben. Es war klar, dass sie Agenten der Unordnung seien und im Bund mit den üblen Mächten der Welt."
Hinzu kam eine zweite Entwicklung: Je schlimmer die Lage zu werden schien, und je mehr Angst und Unsicherheit wuchsen, desto mehr und desto mächtigere Schuldige brauchte man zur Erklärung.
" Also die Bilder von Hexerei nehmen traditionelle Elemente auf und entwickeln dann neue. Es gibt einen Wechsel vom einzelnen Zauberer hin zur Hexe, die zu einer größeren Gruppe gehört. Es ist nicht nur, dass sie in Gruppen zusammenarbeiten, sondern, dass sie so eine Gefahr für Gruppen darstellen. Das ist eine Gefahr für ihre Gemeinde. Sie schaden der religiösen und sozialen Gemeinschaft."
Diese schleichende Entwicklung ging vom Geschlechterkampf aus. Denn erst um 1590 nehmen Künstler theologische Aspekte in ihre Bilder und Flugblätter zur Hexerei auf.
"Im Laufe des 16. Jahrhunderts betonen die Künstler langsam die Verbindung zum Teufel stärker. Am Ende zeigen sie Hexen nicht nur als dessen Diener, sondern auch seine Hilfe und Anleitung beim Hexen. Also wird Hexerei zu einer viel bedrohlicheren Bewegung, die gegen die gesellschaftlichen Institutionen gerichtet ist. Sie gefährdet die Fundamente des Gesellschaft."
Ganz ähnliche Abläufe und Muster findet man bei der Judenverfolgung, oder bei der Ausgrenzung von anderen Minderheiten, wann immer die Mehrheit ihrer selbst nicht sicher ist.
Anja Eisenbeiß, vom Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Heidelberg, die diesen Gedankenaustausch anregte, hofft, dass es gelang auf solche Mechanismen aufmerksam zu machen. Angesichts von Klimawandel, Lebensmittelkrise, Energieverteuerung, von Auseinanderdriften von Arm und Reich, von politischer und finanzieller Instabilität, könnten auch heute Unheilsahnungen zu Verhaltensmustern führen, wie am Ende des Mittelalters. Für Anja Eisenbeiß ist deshalb wichtig:
"Zumindest die Idee von immer wiederkehrenden gleichen Mechanismen, die passieren. Und da ist es für mich jetzt auch sehr spannend, dass wir dieses interdisziplinäre Publikum haben, und dass ich einfach sehe: In der Geschichtswissenschaft werden ähnliche Modelle beobachtet, wie bei den Sprachwissenschaften, wie ich sie aus den Bildern kenne, und da zu merken: Es gibt bestimmte Modelle, die sich wiederholen. Das kann eben eine Sensibilisierung bringen."